Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ausstellung in München: Die Farc-Frauen
> Die Fotografin Ann-Christine Woehrl hat den Übergang kolumbianischer
> Ex-Guerilleras der Farc in den Alltag dokumentiert.
Bild: Milena, Bogotá, September 2017 (Bildausschnitt)
„Ich wollte raus aus meinem trostlosen Leben“, sagt Sandra. Die Familie in
ihrem kolumbianischen Dorf war bitterarm. Am frühen Morgen musste sie
loslaufen und Milch holen, tagsüber half sie dem Vater auf dem Feld, die
Mutter musste sich um ihren schwer behinderten Sohn kümmern. Einen Lehrer
gab es nicht, abends brachte ihr die Mutter notdürftig Lesen und Schreiben
bei. „Nachts schlich ich mich aus unserem Wellblechhäuschen und war weg.“
Im Alter von 16 Jahren ging sie zur Farc-Guerilla, den „Revolutionären
Streitkräften Kolumbiens“. Vor 18 Jahren war das.
Für das erste Foto zog sich Sandra noch einmal die alte graugrüne
Kampfuniform an, schnallte sich den Rucksack auf den Rücken und blickte
unverwandt in die Kamera. Das zweite Bild zeigt ihr Gesicht, die braune
Haut, die schwarzen Haare in Nahaufnahme, sie schminkt sich gerade die
Lippen grell rot.
Vor drei Jahren ist Sandra ausgestiegen bei den Kämpfern, musste sie
aussteigen, denn die Farc kam [1][nach dem Friedensschluss] mit der
Regierung unter Präsident Juan Manuel Santos raus aus dem Dschungel, runter
von den Bergen und gab ihre Waffen ab.
Mit 11.000 Kämpferinnen und Kämpfern war die links-revolutionäre Farc
zeitweise die größte Guerillatruppe der Welt und kontrollierte erhebliche
Teile des Landes. Doch der Krieg war vorbei, und seine ehemaligen Krieger
waren plötzlich da.
## „Ich möchte mich mitteilen“
Eine Ausstellung im Münchner „Museum Fünf Kontinente“ zeigt nun in Fotos
und Texten, was aus Sandra und fünf weiteren Farc-Frauen geworden ist; sie
werden in der Schau nur beim Vornamen genannt. Wie sie sich in den für sie
völlig neuen – und weiterhin brüchigen – Frieden einleben. Wie sie erst
einmal mit nichts beginnen – gab es für sie doch keine andere Realität als
die Guerilla. Die Münchner Fotografin Ann-Christine Woehrl und die
Journalistin Cornelia von Schelling begleiteten sie über zwei Jahre hinweg.
Titel: [2][„Der Frieden trägt den Namen einer Frau – Kolumbien im Wandel.�…
Entstanden sind zurückhaltende und gerade deshalb so eindrückliche
Farbfotos von den Ex-Kämpferinnen in ihren verschiedensten neuen
Lebenssituationen, in ihrem Wandel.
In den Texten wird ihnen weitgehend selbst das Wort gelassen, was sich mal
sehr revolutionär-verklärend liest, mal nüchtern-dokumentarisch, immer
wieder aber vor allem beklemmend. Über Sandras Vergangenheit heißt es etwa:
„Sie lernt den Umgang mit Karabinern, Schnellfeuergewehren,
Maschinenpistolen und Handgranaten.“
Auch die Familie von Milena Reynes war arm und kaputt, deshalb schloss sie
sich mit 14 Jahren der Farc an. Der biografische Hintergrund ist bei allen
Frauen ähnlich. Milena stieg auf, hatte am Ende eine hohe Position. Sie war
Pressesprecherin der Guerilla und die Frau eines Hauptkommandanten. Jetzt
ist sie 30 Jahre alt und von Bogotá, wo sie lebt, nach München zur
Ausstellungseröffnung gekommen. „Es geht mir um das Sichtbarmachen“, sagt
sie, „ich möchte mich mitteilen.“
## Zurück in den Dschungel
Milena erscheint als hippe junge Frau mit rosafarbenen Haaren, grauem
Mützchen, grellen Ohrringen und massiver Schminke im Gesicht. Auf einem
Foto umhüllt sie vor einem Empfang ihren Kopf mit einem bunten Tuch, auf
einem anderen hält sie bei einer Pressekonferenz der ehemaligen Farc ihre
fast noch neugeborene Tochter auf dem Arm und lacht sie an. Auf einem
dritten sitzt sie wie eine ganz und gar unspektakuläre Frau auf dem Sofa.
In München erzählt Milena von ihrem heutigen Leben: Vom Mann ist sie
getrennt, zu ihrer Familie hat sie nach 13 Jahren als Guerillera wieder
Kontakt aufgenommen. Sie wohnt nun mit ihrer Schwester und dem Kind in
einer Wohnung in der Hauptstadt, studiert Soziologie an der Universität und
sieht sich als „Aktivistin“.
Von zwei Leibwächtern wird sie rund um die Uhr bewacht, denn Farc-Leute
sind bei vielen Kolumbianern weiterhin verhasst. 170 frühere Kämpfer sind
schon ermordet worden“, erzählt sie. Ein Foto von ihr wurde für das
Ausstellungsplakat und das Titelbild des Buchs genommen. Darauf trägt sie
ein knappes schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „WANTED AND WILD“.
Sie hätten die Frauen bei einem „entscheidenden historischen Moment
begleitet“, erzählt die Fotografin Woehrl. „Davor waren sie versteckt,
unsichtbar.“ Nach dem hoffnungsvollen Frieden von Ende September 2016 wird
Kolumbien nun von dem neuen rechtsgerichteten Präsidenten Iván Duque
regiert, verfällt – gerade jüngst erst wieder – in Gewalt und wird von
verschiedenen Gruppen terrorisiert. Einige wenige Farc-Kämpfer sind
zurückgegangen in den Dschungel.
Schwierig ist die Lage auch, weil die Bevölkerung in einem – nicht
bindenden – Referendum den Vertrag mit knappen 50,23 Prozent abgelehnt
hatte. Weiterhin gibt es andere linke Rebellen, die Drogenkartelle, die
Paramilitärs.
Nach der Abgabe ihrer Waffen sind die Farc-Kämpfer in sogenannte
Übergangszonen gekommen, wo sie behelfsmäßig untergebracht wurden. Viviana,
40 Jahre alt, lebt immer noch dort. Sie setzt sich für Kooperativen wie
einen Käseladen ein, sie kocht im Camp. Auf einem Foto schleppt sie,
inmitten von viel Grün, schwere Holzpfähle – die Felder werden für den
Bohnenanbau vorbereitet. Ein weiteres Bild zeigt sie beim Waschen im Freien
am Gemeinschaftsbecken, hinter sich eine Hauswand mit den aufgemalten
Porträts von Fidel Castro und Ché Guevara in jungen Jahren.
In der Ausstellung sind die Bilder der Frauen in ihren alten Uniformen nur
auf fast durchsichtigen Stoff gedruckt, verblichen. Das geht. Im Buch aber
sind sie farbenstark auf großen Fotos zu sehen, stilisiert als romantische
Heldinnen. Das ist Macho-Guerilla-Geprotze auf weiblich. Viele Bürger
machen die Farc für Terror, Mord, Erpressung und die skrupellose
Zusammenarbeit mit den Drogenbanden verantwortlich. Der Bürgerkrieg führte
zu geschätzt 300.000 Toten und 6 Millionen Binnenflüchtlingen. Die
fotografierten Frauen wurden, als sie mit 14 oder 16 Jahren einstiegen, als
Kindersoldatinnen missbraucht.
## Drei Abtreibungen
Die Farc-Nachfolgepartei wird von der Bevölkerung offenkundig nicht
unterstützt, bei der Wahl kam sie auf unter 2 Prozent. Der Fotografin und
der Journalistin ist hoch anzurechnen, dass sie die Erzählungen der Frauen
dokumentieren und nicht bewerten, dass sie ihre Realität abbilden.
Frauen seien bei der Farc fast gleichberechtigt gewesen, werden diese etwa
zitiert, 40 Prozent der Kämpfer waren weiblich. Doch war es verboten,
Kinder zu bekommen. So musste die Kämpferin Nasly dreimal abtreiben, nun
wird sie glücklich mit einem Babybauch fotografiert. Drei der sechs Frauen
haben nach der Guerilla-Zeit rasch Kinder geboren.
Eine Frage an die Ex-Pressesprecherin Milena Reynes, auf deren Sweatshirt
der Spruch steht: „Viva Fidel.“ Was wäre, wenn die Farc diesen Krieg
gewonnen hätte und nun herrschen würde? „Ein Traum“, sagt sie. „Es gäbe
keinen Kapitalismus mehr, sondern Sozialismus.“ Die Fotografin Woehrl
meint: „Sehr vieles ist noch nicht verarbeitet.“
27 Nov 2019
## LINKS
[1] /Ein-Jahr-nach-dem-Friedensabkommen/!5463209
[2] https://www.museum-fuenf-kontinente.de/ausstellungen/der-frieden-traegt-den…
## AUTOREN
Patrick Guyton
## TAGS
Kolumbien
Farc
Guerilla
Südamerika
wochentaz
Kolumbien
Sammlung
Iván Duque
Iván Duque
Iván Duque
Fotografie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Abkommen mit den Farc-Guerilla: Frieden als Fundament
Die kolumbianische Regierung hatte allen Kämpfer:innen ein Stück Land
versprochen. Doch die Betroffenen müssen sich selbst helfen.
Ex-Guerilleros in Kolumbien: Flucht statt Frieden
Ehemalige Kämpfer*innen der Farc-Guerilla fliehen aus ihrer Siedlung in der
Region Ituango. Es sei eine Zwangsvertreibung, sagen sie.
Sammlung italienischer Fotografinnen: Staubsaugen und Subversion
Terrorbräute, Mafia, Dolce Vita, Riten und Religion: Alles zu sehen in der
Ausstellung „Resistance & Sensibility“ im Fotografie Forum Frankfurt.
Protestbewegung in Kolumbien: „Das hätte auch ich sein können“
Der 18-jährige Abiturient Dilan Cruz stirbt durch ein Gummigeschoss der
Polizei in Bogotá. Er wird zum Symbol von Kolumbiens Protestbewegung.
Massenproteste in Kolumbien: Kolumbien steht auf
Über 200.000 Menschen gehen in Kolumbien gegen die Rechtsregierung von
Präsident Iván Duque auf die Straße. Es bleibt überwiegend friedlich.
Nach der Präsidentschaftswahl: Sorge um Kolumbiens Frieden
Mit Iván Duque wird ein Gegner des Friedensvertrags mit der Farc-Guerilla
Präsident von Kolumbien. Was bedeutet das?
Ausstellung in der Fondation Cartier: Licht und Schatten im tropischen Cali
Die Ausstellung „Clair Obscure“ zeigt eine absolut sehenswerte
Retrospektive des kolumbianischen Fotografen Fernell Franco.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.