# taz.de -- Polizeigewalt in Kolumbien: Tod in der Hand der Polizei | |
> In Kolumbien stirbt ein Mann nach einer brutalen Festnahme. Das Video | |
> löst heftige Unruhen in Bogotá aus, es gibt zehn Tote. | |
Bild: Unruhen in Bogotá am 9.September | |
Bogotá taz | Das [1][Video] ist schwer zu ertragen. Der Mann liegt auf dem | |
Rücken. Zwei Polizisten stehen über ihm, drücken ihn zu Boden. Mehrfach ist | |
das metallische Rasseln des Tasers zu hören und wie der Mann bittet, damit | |
aufzuhören. „Er sagt ihnen, dass sie bitte aufhören sollen, wir filmen | |
sie“, sagt der Mann, der mit seinem Handy die Szene aufnimmt. Die | |
Polizisten fixieren den Mann am Boden. | |
Seine Stimme wird schwächer. „Bitte, bitte, bitte“, sagt er immer wieder: | |
„Sie tun mir weh.“ In derselben Nacht stirbt Javier Ordóñez in einem | |
Krankenhaus in Bogotá. Allerdings nicht, wie zunächst vermutet, an den | |
Folgen des brutalen Taser-Einsatzes. Es kommt noch schlimmer. | |
Laut einem [2][Vorabbericht über das rechtsmedizinische Gutachten] haben | |
sieben Polizisten später noch auf der Wache auf ihn eingeprügelt und ihm | |
neun Mal den Schädel gebrochen. Videos aus der Wache deuten darauf hin. | |
Auch dass die Polizisten einen alten Streit mit dem Anwalt hatten. Ordóñez | |
hatte am Körper Spuren von Schlägen an Rücken, Verletzungen an inneren | |
Organen. | |
Javier Ordóñez war Anwalt, aber er verdiente das Geld für seine Familie als | |
Taxifahrer. Seine beiden Kinder lebten bei ihm, die Mutter in Barcelona. | |
## Es hat sich einiges angestaut | |
Seit am Mittwoch das Video bekannt wurde, kommt Bogotá nicht zur Ruhe. | |
Hunderte sind auf die Straße gegangen, um gegen Polizeigewalt zu | |
protestieren. Der erst friedliche Protest kippte teilweise in Vandalismus | |
um. Auf manchen Bildern erinnert die Stadt an ein Inferno. Busse wurden | |
angezündet, Fenster an Banken eingeschlagen und Geschäfte geplündert. | |
Mindestens ein Drittel aller Polizeiwachen ist in Flammen aufgegangen. | |
Spätnachts kreisen Hubschrauber, Krankenwagensirenen ertönen. In Bogotá und | |
der Nachbarstadt Soacha sind bei den Protesten mindestens zehn Menschen | |
gestorben, die meisten an Schussverletzungen, alle unter 30 Jahre, darunter | |
ein Minderjähriger. Mehr als 400 Menschen wurden verletzt, darunter auch | |
Polizisten. | |
Bogotás Bürgermeisterin Claudia López verurteilte am Donnerstag den | |
Vandalismus von einigen Demonstrant*innen und die Polizeigewalt: „Als | |
Stadt Bogotá können wir bestätigen, dass es zu einem wahllosen Einsatz von | |
Gewalt und Waffen an mehreren Orten der Stadt kam von Seiten der Polizei, | |
die für diesen Waffengebrauch natürlich keine Erlaubnis hatte.“ Das | |
bewiesen Videos aus den sozialen Netzwerken und von städtischen | |
Überwachungskameras. „Das ist ein direktes Attentat auf wehrlose, in | |
überwiegender Mehrheit jugendliche Bürger“, sagte López. Sie hat Ordóñez… | |
Angehörigen Rechtsbeistand angeboten und fordert eine Polizeireform. | |
Es hat sich einiges angestaut. „Es geht nicht nur um Javier Ordóñez“, sagt | |
Juanita Moreno (Name geändert). „Es geht auch um das, weshalb wir seit | |
November protestiert hatten, bis die Pandemie uns stoppte.“ Zum Beispiel | |
die mangelhafte Umsetzung des Friedensabkommens, die [3][Morde an den | |
Bürgerrechtler*innen] und die jüngste Massaker-Welle, bei der vor | |
allem Jugendliche ermordet wurden. Das Gefühl, dass der Staat einen im | |
Stich lässt und seine Macht missbraucht. | |
Die 30-Jährige arbeitet für den Distrikt in der Sozialabteilung. Seit ihrem | |
Studium dokumentiert sie mit ihrem Handy bei Protesten | |
Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei. „Einige Studienfreunde sind | |
demonstrieren gegangen und für immer verschwunden.“ Am Mittwoch ging sie | |
auf die Straße, um aus der Distanz zu filmen. Sie habe schon viele | |
Demonstrationen erlebt, doch nie sei der Anteil an Randalierenden so hoch | |
gewesen. Davon halte sie nichts. | |
Trotzdem sei sie von Polizisten gepackt und brutal in einen | |
Gefangenentransporter verfrachtet worden, wobei sie mehrfach mit dem Taser | |
in den Rücken geschossen wurde. Dabei habe sie keinen Widerstand geleitet. | |
In dem Wagen waren auch mehrere Minderjährige und ein Junge mit einer | |
offenen Kopfwunde, der später Blut erbrach und wegen Verletzungen im | |
Bauchraum operiert werden musste. | |
Auf der Wache musste sie sich in der Toilette vor einer Beamtin nackt | |
ausziehen. Ein Beamter habe drei Stunden ihr Handy durchgesehen, E-Mails, | |
soziale Medien, Whatsapp-Nachrichten. Am Ende hätten alle für dieselben | |
Vergehen ein Bußgeld bekommen, aber alle in unterschiedlicher Höhe. „Das | |
ist so willkürlich“, sagt Moreno. „Aber ich habe eine Arbeit, ich kann | |
nicht Widerspruch einlegen und dafür mehrere Tage immer wieder auf die | |
Wache gehen, wo am Ende sowieso den Polizisten geglaubt wird.“ | |
Nach allem, was bisher bekannt ist, hatte Javier Ordóñez mit Freunden | |
daheim Bier getrunken. Als sie Nachschub holen wollten, wurden sie von der | |
Polizei aufgehalten, weil sie gegen das Versammlungsverbot und das | |
Alkoholverbot im öffentlichen Raum wegen der Covid-19-Pandemie verstoßen | |
hätten. Die Polizisten wurden vom Dienst suspendiert. | |
11 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=oUbvq26RWPY | |
[2] https://www.bluradio.com/nacion/javier-ordonez-murio-por-golpe-contundente-… | |
[3] /Morde-in-Kolumbien/!5678156 | |
## AUTOREN | |
Katharina Wojczenko | |
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