# taz.de -- Pressefreiheit in Kolumbien: Druckmittel Visum | |
> Freien Korrespondent*innen wird in Kolumbien durch Änderungen bei der | |
> Visumvergabe zunehmend die Arbeit erschwert. Das könnte Taktik sein. | |
Bild: Journalist*innen müssen in Kolumbien immer wieder um Freiheit kämpfen, … | |
BOGOTÁ/taz | Ein Anarchist, der über die Rettung der Pressefreiheit | |
spricht: Das hat es wohl noch nie gegeben im kolumbianischen Kongress. Doch | |
die pandemiebedingte Videobotschaft des niederländischen Journalisten | |
Adriaan Alsema hat einen ernsten Grund: Änderungen im Visumsrecht könnten | |
die Arbeit ausländischer Journalist*innen im Land weiter erschweren. | |
„Wir können nicht frei sein, solange wir das Ziel von Screenings, | |
Einschüchterungen, [1][Diskriminierung und Spionage] sind“, sagt der | |
Direktor und Gründer des englischsprachigen Nachrichtenportals [2][Colombia | |
Reports in dem Video], in dem er stellvertretend für ausländische | |
Kolleg*innen spricht. „Wir müssen frei von der Unsicherheit arbeiten | |
können, durch konsularische Willkür unser Eigentum, unsere Freunde und | |
unsere Lebenspartner zu verlieren.“ | |
Das Video und der Artikel von Alsema haben nicht nur in den kolumbianischen | |
Medien für ungewohnt große Resonanz gesorgt. Auch namhafte kolumbianischen | |
Kollegen, wie [3][die Investigativjournalisten Daniel Coronell], der aus | |
Sicherheitsgründen in Miami lebt, und [4][Julián Martínez solidarisierten | |
sich]. | |
Hintergrund des Video-Appells sind Fälle von ausländischen | |
Journalist*innen, die Probleme mit ihren Visa-Anträgen hatten. Details aus | |
dem Schriftverkehr hatten bei ihren Kolleg*innen die Alarmglocken schrillen | |
lassen. Denn wenn stimmt, was die Visumsabteilung da schreibt, erfüllt wohl | |
kaum eine*r der Korrespondent*innen künftig mehr die Bedingungen, um | |
dauerhaft aus Kolumbien zu berichten. Fatal in einem Land, das mehr als 50 | |
Jahre bewaffneten Konflikt hinter sich hat und wo Korrespondent*innen oft | |
Themen angepackt haben, die einheimische Medien meiden. Es bliebe nur noch | |
das Besucher-Journalisten-Visum für Kurzrecherchen. | |
## Die meisten sind Freiberufler*innen | |
Für das Arbeitsmigranten-Visum bräuchten sie einen Arbeitsvertrag und einen | |
Studienabschluss in Journalismus. Letzteres ist verfassungswidrig, weil | |
kolumbianische Journalist*innen ebenfalls keinen brauchen, wie die Stiftung | |
für Pressefreiheit (Flip) eigentlich schon 2018 klarstellte. Viele | |
Korrespondent*innen haben studiert, aber nicht unbedingt Journalismus. | |
Immer weniger Medien leisten sich ein Netz aus Korrespondent*innen, noch | |
weniger mit Verträgen, weshalb die meisten Freiberufler*innen sind. Dass | |
sie sich wie bisher fürs Arbeitsmigranten-Visum bewerben können, schließt | |
die Behörde explizit aus. | |
Journalist Adriaan Alsema sieht darin Taktik: „Die Regierung will komplett | |
kontrollieren, was in Kolumbien publiziert wird. Wenn jemand schlecht von | |
ihr redet, folgen Bedrohungen.“ Viele kolumbianische Journalist*innen seien | |
eingeschüchtert und schutzlos. „Uns Ausländer können sie nicht umbringen, | |
weil das das Bild von dem Land ohne Gewalt im Ausland stören würde. Sie | |
können uns aber das Leben schwermachen, vor allem bei den Visa.“ | |
Egal ob Taktik oder nicht: Sollten sich die Spielregeln geändert haben, | |
könnte der Aufenthalt für Korrespondent*innen zu teuer werden. Einige | |
Journalist*innen schilderten der taz, was künftig wieder blühen könnte. | |
Ihre Namen wollen sie dazu aber nicht in der Zeitung lesen. Eine | |
Korrespondentin berichtet, dass sie der Diplom-Anerkennungsprozess | |
umgerechnet über 600 Euro gekostet habe. Ein Korrespondent mit einem | |
Journalismusdiplom einer renommierten Uni gab nach mehr als einem halben | |
Jahr Kampf mit dem Bildungsministerium auf. „Ich habe gemerkt, das wird nie | |
etwas.“ Er reiste aus und als Tourist wieder ein – doch als Tourist darf er | |
eigentlich nicht arbeiten. | |
Die FIip hat aus aktuellem Anlass das Außenministerium in einer Petition | |
[5][zu einer Klarstellung aufgerufen]. Die Antwort steht noch aus, sagt | |
Flip-Anwältin Raissa Carillo. Die Stiftung wusste zuletzt von neun Fällen | |
von Korrespondent*innen, die sich im Einzelfall sehr unterscheiden. Die | |
Gemeinsamkeit: „Sie sind freie Journalisten.“ Das Außenministerium hat die | |
Anfrage der taz bis Redaktionsschluss nicht beantwortet. In einer in der | |
Zeitung[6][El Tiempo zitierten Stellungnahme] nannte es fehlende Dokumente | |
als Grund für die Probleme. Auf die Themen Freiberuflichkeit und Abschlüsse | |
ging das Amt nicht ein: „Kolumbien ist offen für Journalisten aller | |
Nationalitäten, welche uneingeschränkt ihrer Arbeit im Staatsgebiet | |
nachgehen können.“ | |
23 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Spionageaffaere-in-Kolumbien/!5679985/ | |
[2] https://colombiareports.com/colombia-blocking-journalist-visas-in-ongoing-a… | |
[3] https://twitter.com/DCoronell/status/1317795123955224576?s=20 | |
[4] https://twitter.com/JulianFMartinez/status/1318076161210068993?s=20 | |
[5] https://twitter.com/FLIP_org/status/1316135715827220480?s=20 | |
[6] https://www.eltiempo.com/politica/gobierno/cancilleria-se-pronuncia-tras-de… | |
## AUTOREN | |
Katharina Wojczenko | |
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