| # taz.de -- Spionageaffäre in Kolumbien: Militär bedroht Pressefreiheit | |
| > Die kolumbianische Armee hat systematisch Zivilisten und Journalist*innen | |
| > ausspioniert. Auch Korrespondenten von US-Medien sind betroffen. | |
| Bild: Die Bespitzelung begann unter General Nicacio Martínez. Links von ihm: P… | |
| Bogota taz | Es ist der größte Spionageskandal in der jüngsten Geschichte | |
| Kolumbiens: Nach Recherchen der Wochenzeitschrift Revista Semana haben | |
| Teile der Armee fast ein Jahr lang Organisationen und mindestens 130 | |
| Menschen ausspioniert – [1][die Mehrheit sind Journalist*innen]. | |
| Betroffen sind außerdem der Amerikadirektor von Human Rights Watch, José | |
| Miguel Vivanco, ein Anwaltskollektiv, das Opfer von | |
| Menschenrechtsverletzungen vertritt, Gewerkschaftler, Oppositionspolitiker, | |
| ein ehemaliger Regierungsmitarbeiter und hochrangige Militärs. Die meisten | |
| haben sich kritisch mit Armee und Regierung auseinandergesetzt. | |
| In den Akten haben Einheiten des Militärs sensible persönliche | |
| Informationen zusammengetragen: Telefonnummern, Adressen, Organigramme mit | |
| Namen von Verwandten, Freund*innen, Kolleg*innen, Kontakten und Quellen | |
| und Bewegungsprofile angelegt. | |
| Unter den Bespitzelten sind auch Korrespondenten von US-Medien wie Wall | |
| Street Journal, National Geographic, dem Radionetzwerk NPR und Time. Der | |
| prominenteste Betroffene ist Nicholas Casey, der ehemalige Leiter des | |
| Andenbüros der New York Times. | |
| ## Überraschender Rücktritt | |
| Er hatte im Mai über die neuen Zielvorgaben für Tötungen der Armee | |
| berichtet – und der Sorge einiger Militärs, dass diese zu neuen „Falsos | |
| Positivos“ führen könnten. So wurden unschuldige Zivilisten bezeichnet, die | |
| die Armee ermordete und als Guerilleros verkleidete, um Kopfprämien zu | |
| kassieren. Nach dem Bericht mussten Casey und Fotograf Federico Ríos aus | |
| Sicherheitsgründen das Land verlassen, später trat der damalige | |
| Verteidigungsminister Guillermo Botero zurück. | |
| Mit dieser Veröffentlichung wurde offenbar auch die Bespitzelungsakte von | |
| Casey angelegt. Unklar ist, wer das Sammeln von Informationen veranlasste. | |
| Die Bespitzelung begann, als General Nicacio Martínez das Heer leitete, und | |
| hörte Anfang Dezember auf. Am 27. Dezember trat Martínez überraschend „aus | |
| privaten Gründen“ zurück – laut [2][Revista Semana] ein Vorwand. Martínez | |
| streitet ab, von der Bespitzelung gewusst zu haben, und bezeichnet sich | |
| selbst als „Opfer einer Diffamierungskampagne“. | |
| Eigentlich sollte Martínez Kolumbiens neuer Abgesandter bei der Nato | |
| werden. Am Samstag ließ [3][Präsident Iván Duque] ihm ausrichten, dass er | |
| sich umentschieden habe. Ebenfalls am Wochenende verkündete der | |
| Verteidigungsminister die Entlassung von elf Offizieren. Der Leiter der | |
| Geheimdienstabteilung reichte seinen Rücktritt ein. | |
| ## Junge Journalist*innen besonders gefährdet | |
| Die Spionageaffäre bringt vor allem kolumbianische Journalist*innen und | |
| Medien, die in den Akten auftauchen, in Gefahr, etwa das Team des | |
| Onlinemediums Rutas del Conflicto. Die Redaktion recherchiert und | |
| dokumentiert Menschenrechtsverletzungen in den Regionen. Viele, die hier | |
| arbeiten, sind unter 30 – und fast alle tauchen in den Akten auf. | |
| Aber auch die Veröffentlichung von Revista Semana könnte kolumbianische | |
| Journalist*innen zusätzlich gefährden. Mehrere Journalist*innen, die | |
| hier mit Foto und Namen auftauchen, wussten nach taz-Recherchen vorab | |
| nichts davon. Der Fotojournalist Andrés Cardona, 31 Jahre alt, sagt, er sei | |
| erschrocken, als er sein Foto im Internet sah. Cardona ist Kriegswaise, | |
| viele seiner Verwandten wurden im Bürgerkrieg ermordet oder vom Militär | |
| vertrieben. Seine Familiengeschichte dokumentiert er in einem | |
| Langzeitprojekt. | |
| Er arbeitet mit internationalen Medien zu Menschenrechtsverletzungen und | |
| illegaler Abholzung. Seit 2019 habe er akute Sicherheitsprobleme, sagt | |
| Cardona. Im Juni bedrohten ihn Unbekannte in der Nähe seiner Wohnung mit | |
| dem Tod. Er ließ seine Daten in der Onlineversion nachträglich schwärzen. | |
| „Aber die gedruckte Zeitschrift ist draußen. Jetzt bin ich exponiert.“ | |
| Deshalb will er nun versuchen, für eine Weile ins Exil zu gehen. | |
| Die Opposition im Parlament hat angekündigt, ein Misstrauensvotum gegen | |
| Verteidigungsminister Carlos Holmes Trujillo und Präsident Duque zu prüfen. | |
| Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die kolumbianische Wahrheitskommission | |
| forderte das Verteidigungsministerium zudem auf, alle Unterlagen | |
| herauszugeben. | |
| Bisher sind noch nicht alle Betroffenen der Überwachung informiert. Die | |
| Organisation [4][Reporter ohne Grenzen] und die UN forderten Aufklärung und | |
| Schutzmaßnahmen für Journalist*innen. | |
| 6 May 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Pressefreiheit-in-Kolumbien/!5482701 | |
| [2] https://www.semana.com/ | |
| [3] /Skandal-um-Stimmenkauf-in-Kolumbien/!5672044 | |
| [4] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/kolumbien/alle-meldungen/meldung/journ… | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Wojczenko | |
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