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# taz.de -- Kinderstimmen zur Corona-Pandemie: „Angst habe ich nicht“
> Der Kampf gegen das Virus hat das öffentliche Leben zum Stillstand
> gebracht. Wie gehen Kinder mit den Einschränkungen um?
Bild: Kinderansichten: Jim (6) hat ein Monster gemalt, das gerne fiese Corona-V…
## „Man wird ganz schön seiner Freiheit beraubt“
„Es ist schon schön, sich seine Zeit selber einteilen zu können und auch
mal unter der Woche auszuschlafen. Wir haben natürlich Aufgaben für die
Schule zu erledigen, aber es wird ja nicht unbedingt erwartet, dass wir das
zu den üblichen Schulzeiten tun. Mit unseren Lehrern und untereinander
stehen wir über den Untis Messenger in Verbindung – das ist eine App, die
viele Schulen nutzen. Am Anfang hat die gesponnen, weil sie völlig
überlastet war. Inzwischen funktioniert es.
Für jeden Kurs gibt es einen eigenen Chatroom, da können wir uns in der
Gruppe austauschen. Die Aufgaben müssen wir in einem bestimmten Zeitraum
abarbeiten und dann per Mail oder direkt über den Messenger einschicken.
Manchmal bekommt man eine Rückmeldung oder Korrekturen, je nach Lehrer. Bei
mir funktioniert’s bisher ganz gut, ich schaffe es noch, mich zu
disziplinieren. Was soll ich sagen – manchmal hat man regelrecht Lust,
etwas für die Schule zu tun, weil ja sonst nichts los ist.
Normalerweise würde ich jetzt nachmittags rausgehen und Leute treffen. Was
mir echt fehlt, sind die [1][Bundesliga- und NBA-Spiele]. Ich war in der
letzten Zeit auch öfter bei Hertha im Stadion, das wird jetzt lange nicht
mehr möglich sein.
Letztens habe ich für meine Oma, die in Berlin lebt, eingekauft und ihr ein
paar Bücher gebracht, die ich online für sie bestellt hatte. Die Sachen
habe ich vor der Tür abgestellt, wir haben uns dann nur kurz mit
[2][Sicherheitsabstand unterhalten]. Um Verwandte mache ich mir auch schon
ein bisschen Sorgen. Ich selbst habe keine Angst vor Corona, aber – wie
soll ich sagen – Respekt. Ich lese auf Twitter eine Menge dazu, unter
Hashtags wie #COVID19 gibt’s täglich ’ne Million Tweets. Ich unterhalte
mich aber auch mit meiner Mutter viel über das Thema.
Mit meinem älteren Bruder habe ich letztens darüber gesprochen, dass unsere
Generation gerade zum ersten Mal etwas so Einschneidendes erlebt. Also
eigentlich ja nicht nur unsere Generation. Ganz so krass wie in Italien und
Spanien ist es zwar noch nicht, aber man wird ja schon ganz schön seiner
Freiheit beraubt. Das ist echt was Besonderes. Ach ja, mein Bruder: Der ist
sonst eigentlich die meiste Zeit unterwegs, und jetzt muss er auf einmal
auch in der Wohnung sitzen. Richtig viel beteiligt er sich leider trotzdem
nicht am Haushalt.“
Jakob, 15, aus Tempelhof
## „Man muss geduldig mit gestressten Eltern sein“
„Alle denken nur negativ über die Coronakrise. Aber gibt es auch Vorteile?
Ja, man findet sie überall im Alltag! Viele Leute in Italien machen zum
Beispiel Musik, auf den Balkons, alle tanzen dazu, ob alt oder jung. In
Venedig werden plötzlich wieder in den Kanälen Tiere gesichtet, Fische und
Krebse. [3][Das Klima erholt sich!] Vor allem in China, weil es dort so
viele Fabriken gibt, in denen nicht mehr gearbeitet wird.
Viele Kinder lernen jetzt zu telefonieren. Zum Beispiel mein Bruder. Er ist
sechs Jahre alt, er hat früher immer nur Ja, Hallo, Okay und Tschüs am
Telefon gesagt, jetzt kann er schon bald richtig Geschichten erzählen am
Telefon. Ich selber lerne jetzt, mit den sozialen Netzwerken umzugehen.
Viele Kontakte werden wieder hergestellt. Eine Freundin von mir hatte mit
einer alten Freundin gar nichts mehr zu tun, aber jetzt hat sie ihr einen
Brief geschrieben. Sie hat sofort zurückgeschrieben, damit hatte meine
Freundin gar nicht gerechnet. Nun haben sie wieder Kontakt.
Die Natur wird gerade total beliebt, Tausende von Leuten gehen in die
Natur. Viele fühlen sich jetzt freier, weil sie nicht dauernd Termine haben
und auch mal darüber nachdenken können, wie sie eigentlich leben wollen und
was ihnen eigentlich wichtig ist. Viele Eltern haben jetzt mehr Zeit für
ihre Kinder. Es gibt wirklich viele Vorteile. Trotzdem muss man vorsichtig
bleiben, lernen, sich oft die Hände zu waschen, auch wenn’s manchmal nervt.
Man muss geduldig mit gestressten Eltern sein. Und man sollte lernen, nicht
zu hamstern und auf die anderen zu achten!“
Mei, 11 Jahre, aus Panketal
## „Ich find’s doof, dass die Spielplätze gesperrt sind“
„Dass ich seit drei Wochen keine Schule mehr hab, gefällt mir eigentlich
ganz gut. Ich muss nur jeden Tag ein bisschen Mathe, ein bisschen Deutsch
machen. Klar, meine Freunde aus der Schule sehe ich nicht, aber ich habe
einen Freund im Haus, da habe ich es ganz gut. Eine Weile kann das so
bleiben, aber nicht die ganze Zeit.
Das Arbeiten zu Hause ist in Ordnung, wir haben jetzt auch eine App, die
heißt „Anton“, zum Lernen. Das gefällt mir ganz gut, aber ich arbeite
lieber in meinen Heften. Digital finde ich nicht so gut, ich schreibe die
Zahlen und Worte lieber mit dem Stift. Dass man bei „Anton“ immer ein Spiel
machen kann nach dem Arbeiten, ist ganz in Ordnung, aber sooo gut sind die
Spiele jetzt auch nicht.
Draußen kann man ja gerade leider nicht so viel machen. Ich fahre manchmal
Inliner oder Fahrrad auf dem Platz der neuen Rütli-Schule. Ich find’s doof,
[4][dass die Spielplätze gesperrt sind] – aber ich kann es auch verstehen.
Corona ist ja ein sehr schlimmes Virus, das für alte Leute gefährlich ist
oder für Leute, die über neun sind oder Asthma haben. Manche sagen, man
könnte ja auch einfach die alten Leute in Quarantäne machen und wir könnten
alle wieder rausgehen. Aber dann kann man immer noch andere anstecken, und
das ist ja auch doof. Darum sollen alle in der Wohnung bleiben. Meine
Meinung dazu.
Ich hoffe, meine Cousine darf an Ostern kommen, sonst wird es blöd. Zum
Glück haben wir einen Garten, andere Kinder, die jetzt nur in der Wohnung
sein dürfen, tun mir leid. Wie soll das gehen, einer muss Hausaufgaben
machen, ein Geschwister will spielen, eins lesen? Das ist doch schlimm!“
Ramin, 8 Jahre, aus Neukölln
## „Abstand halten ist komisch – und auch schon normal“
„Wenn ich jetzt [5][im Supermarkt Abstand halten muss] oder vor der
Bäckerei stehe und nicht rein darf, weil schon zu viele Leute drin sind,
dann finde ich das zugleich komisch und irgendwie auch schon normal. Oder
wenn man vor der Ampel steht und alle einen Meter Abstand halten, dann
fällt mir auf, wie merkwürdig eigentlich gerade alles draußen ist. Ich
denke sonst aber gar nicht so viel über das Virus nach, ich weiß auch
nicht, warum. Ich habe keine Angst, dass es mich betreffen könnte. Ich
finde aber, es macht alles anstrengender als vor der Krisenzeit. Die
Schulaufgaben sind anstrengender. Ich kann meine Lehrerin nicht mehr
fragen, wenn ich nicht weiterweiß. Meine Eltern sind zwar da, aber die
müssen ja auch zwischendurch arbeiten.
Was ich gut finde, ist, dass ich mir meine Schulfächer ganz frei einteilen
kann. Sonst haben wir fast immer in der letzten Stunde Mathe, das nervt,
weil man dann schon immer total müde ist. Jetzt mache ich Mathe immer in
der zweiten Stunde. Ich habe jetzt meinen eigenen Stundenplan. Das könnte
von mir aus immer so sein.
Wir haben schulfrei, aber wie Ferien fühlt es sich nicht an. Um acht Uhr
fange ich mit den Schulaufgaben an. Ich stelle mir eine Stoppuhr auf eine
dreiviertel Stunde, das war meine Idee. Immer nach zwei Schulstunden mache
ich 20 Minuten Pause. Dann gehe ich manchmal joggen, am liebsten alleine,
auch wenn Mama manchmal mitkommen will. Oder ich gehe einkaufen oder gehe
Pfandflaschen wegbringen. Dann gibt’s Mittagessen, das mache ich auch mal
selbst, Nudeln zum Beispiel. Nachmittags gehe ich raus, auf die Wiese
hinter unserem Haus.
Was gut ist an der ganzen Sache: Ich darf abends öfter mal Kino-Abend
machen und mir einen Film aussuchen. Auch wenn am nächsten Tag ja
eigentlich Schule ist.“
Moritz,10 Jahre, aus Pankow
## „Wie Ferien mit ein bisschen Schule“
Die vergangenen drei Wochen ohne richtige Schule waren ein bisschen
langweilig, weil ich meine Freunde nicht sehen konnte und weil ich auch
meine Lehrerin nicht gesehen habe. [6][Niemand von meinen Freunden ist in
der Notkinderbetreuung]. Viele meiner Freundinnen sind weggefahren aus
Berlin; bei anderen wollten die Eltern nicht, dass ich sie treffe. Ich
vermisse sie. Und wenn ich sie wiedersehe, werde ich ihnen sagen, wie sehr
ich mich freue, sie wiederzusehen.
Meiner Lehrerin kann ich immer schreiben, wenn ich eine Frage habe oder
wenn sie mir etwas geschrieben hat. Das finde ich gut. Aber ich habe fast
nie Zeit, ihr zu schreiben: Wir machen ja Schule zu Hause mit meinen Eltern
von 8.30 Uhr bis 11 Uhr, dann gibt es Essen, und am Mittag gehen wir raus –
wenn es geht, auch ein bisschen länger. Ich war viel Inlineskaten und
Ballspielen im Park.
Ich habe dennoch das Gefühl, etwas gelernt zu haben. Zum Beispiel dank der
App, die meine Lehrerin für die Klasse eingerichtet hat. Etwa den
Überschlag in Mathe oder auch die vier Fälle in Deutsch. Vor dem Virus habe
ich eigentlich keine Angst. Für Kinder soll es ja nicht so gefährlich sein.
Aber ich sorge mich schon darum, dass ich es vielleicht habe, aber keine
Symptome kriege und es deswegen weitergebe. Der geplante Besuch bei Oma an
Ostern fällt deswegen aus. Wir telefonieren dafür oft mit ihr, sogar mit
Bild.
Ich schaue jetzt immer die Kindernachrichten auf Kika. Und ich finde, die
Politiker sollten jetzt schon mal sagen, ob die Schulen nach Ostern endlich
wieder geöffnet werden. Unklar ist ja auch, wie viele das Virus überhaupt
haben, weil nicht so viel getestet wird. Die Politik sollte nicht nur
Schutzmasken herstellen lassen, sondern auch mehr Tests.
Mir ist auch nicht klar, ob Ausgangssperre in Berlin besteht oder nicht.
Ich gehe ja immer noch raus, und mit einer Person könnte ich mich ja noch
treffen. Vielleicht wäre eine richtige Ausgangssperre über Ostern sinnvoll
– da fährt ja eh keiner weg. Wenn ich dann nicht mehr raus könnte, fände
ich das nicht so schlimm. Ich habe ja noch meine zwei Jahre jüngere
Schwester, mit der ich viel spiele, und ich lese ganz viel.
Ich muss mit meinen Eltern schauen, wie ich mehr digitale Bücher aus der
Bibliothek kriege. Ich finde gut, dass in den Supermärkten Schilder stehen,
die das Hamstern verbieten. Angst habe ich nicht, trotz der komischen
Situation. Es ist halt wie Ferien mit ein bisschen Schule. Ich bin viel zu
Hause, da habe ich keine Angst.“
Rosa, 9 Jahre, aus Prenzlauer Berg
6 Apr 2020
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