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# taz.de -- Neue Kinder- und Jugendbücher: Da macht sogar Handy-Henri mit
> Erzählungen von Anete Melece, Philip Waechter, Anke Kuhl und Jason
> Reynolds führen ans Meer, zu Verwandten oder in die Vergangenheit
Bild: Szene aus: Philip Waechter: „Toni will ans Meer“
Magisch anziehend wirken die farbenprächtigen Illustrationen in dem
Bilderbuch „Der Kiosk“. Mit kraftvollem Pinselstrich erzählt Anete Melece
die fantastische Geschichte einer Kioskverkäuferin. Den Buchdeckel
aufgeklappt blickt man mitten hinein in Olgas beengten Verkaufsraum, einem
fröhlichen Kosmos aus Zeitschriften, Süßigkeiten und anderen nützlichen
Dingen.
Seit vielen Jahren schon arbeitet die freundliche, dicke Frau in dem rosa
Kiosk mit dem gelben Turm auf dem Dach. Täglich reicht Olga ihren Kunden
Zeitungen, Lottoscheine, Lollis oder Getränke durchs Fenster. Große,
Kleine, Sportliche, Alte – sie kennt ihre Namen und auch ihre Wünsche.
Am Abend dann liest die Verkäuferin gern in ihrem Zeitschriftensortiment
und träumt sich fort aus dem kleinen Kiosk an ferne Orte. Als sie eines
Tages samt des Häuschens umstürzt, stellt sie überraschend fest, dass sie
den Kiosk tragen kann. So beginnt sie mit dem Laden wie einen Mantel
übergestülpt durch die Straßen zu flanieren.
## Unprätentiös gezeichnet
Anete Meleces unprätentiös gezeichnete Figuren erinnern entfernt an das
heitere Personal aus den Bilderbuchklassikern von Ali Mitgutsch. Doch auch
wenn es auf den Seiten in „Der Kiosk“ ebenfalls viel zu entdecken gibt, ist
die Neuerscheinung der 1983 in Riga geborenen Zeichnerin kein Wimmelbuch.
Vielmehr nutzt Melece, die in Luzern Animation studierte und heute in
Zürich lebt, ihre Erfahrung als Trickfilmerin. Gekonnt übertrug sie die
abwechslungsreiche und dynamische Bilddramaturgie des Animationsfilms in
das Format des Kinderbuchs.
Auf einer Brücke im Park begegnet die Kioskfrau wieder dem Mann mit dem
kläffenden Hund. Plötzlich verheddert sie sich in dessen Leine. Der Kiosk
und seine Besitzerin stürzen in den Fluss. Ganz anders als gedacht beginnt
so für Olga eine lang erträumte Reise.
## Optimistisch eingestellt
Auch in Philip Waechters neuem Comic „Toni will ans Meer“ erlebt der junge
Erzähler einen Sommer mit überraschenden Wendungen. Toni, dem man schon in
dem 2018 erschienenen Band [1][„Toni. Und alles wegen Renato Flash“]
begegnen konnte, ist ein ziemlich gewitzter Junge – fußballbegeistert,
gesellig und von Grund auf optimistisch eingestellt. Gerne lebt er mit
seiner gut gelaunten Mutter und der Katze Miezi in der Stadt – vielleicht
in Frankfurt am Main.
Doch nun beginnen die großen Ferien und deshalb will Toni unbedingt ans
Meer. Aber für den Urlaub ist auf einmal kein Geld da. Kein Argument findet
Toni. Einfallsreich wie schon bei der Beschaffung von blinkenden
Fußballschuhen in „Renato Flash“ wird der Junge umgehend aktiv.
Natürlich wird so viel Tatendrang belohnt. Toni gewinnt in einem
Preisausschreiben einen Aufenthalt im vornehmen Hotel Tannenblick.
## Großer Spaß
In neun farblich abgesetzten Kapiteln erzählt der 1968 geborene Illustrator
mit unverwechselbar leichtfüßigem Stil vom großen Spaß unterwegs in den
Ferien zu sein. So ist die Ankunft in dem steifen Luxushotel für Mutter
und Sohn nur der Auftakt ihrer Reise. Denn solch einen Urlaub wollen sie
nicht einmal geschenkt. Dank guter Freunde, geliehenem Auto und Zelt ziehen
die beiden weiter Richtung Meer.
Bereits in seinem [2][Bilderbuch „Endlich wieder zelten“] (2015) nutzte
Philip Waechter den Campingplatz als ergiebiges Setting für die Schilderung
paradiesischer Zustände aus der Kinderperspektive.
In dem jüngsten Comic nun lernt Toni beim Zelten nicht nur einen
anhänglichen Hund, sondern bald auch Luc, Klara, Jo, Feil, Ali, Karlo und
Richard kennen. Gemeinsam und ganz unter sich verbringen die Kinder
aufregende Tage. Dabei wird Waechters tolerante und respektvolle Haltung in
dem vorletzten Kapitel „Die Rallye“ besonders deutlich.
Ausgerechnet mit Handy-Henri, der permanent an seinem Smartphone klebt,
soll Toni bei dem Wettbewerb ein Zweierteam bilden. Doch trotz der
ungünstigen Ausgangslage, finden die so verschiedenen Jungen auf völlig
verblüffende Weise bei dem Wettbewerb zueinander. In Zeiten von
Kontaktsperre und Corona-Ferien erscheint „Toni will ans Meer“ ebenso
tröstlich wie vergnüglich.
## In echt passiert
Neben Philip Waechter zählt auch Anke Kuhl zu den bekannten Mitgliedern der
Frankfurter Ateliergemeinschaft Labor. Mit Illustrationen zu dem vielfach
ausgezeichneten Aufklärungsbuch „Das Liebesleben der Tiere“ reüssierte sie
zuletzt 2017. Ihr autobiografischer Comic „Manno! Alles genau so in echt
passiert“ liegt nun [3][im Klett Kinderbuch Verlag vor] und handelt von
einer Kindheit in Westdeutschland Ende der 1970er Jahre.
Im Zentrum der zahlreichen Bildepisoden stehen die achtjährige Anke und
ihre etwas ältere Schwester Eva. Mit Eltern und Großeltern leben sie
gemeinsam in einem Haus mit Garten. Aus der Perspektive der Mädchen
zeichnet Kuhl mit Buntstift ausdrucksstark und humorvoll ein
facettenreiches Familienpanorama, das die großen und kleinen Ereignisse
des Alltags eindrücklich festhält.
So erzählt „Manno!“ vom Fechten mit Klobürsten, von Haarsprayfrisuren oder
Telefonstreichen genauso wie von Ehekrisen, Autounfällen und russischer
Kriegsgefangenschaft. Auf spannende Weise machen Anke Kuhls festgehaltenen
Kindheitserinnerungen deutlich, wie sehr es sich lohnt, den Raum für
unabhängige Ideen und Erfahrungen schon früh zu verteidigen.
## Aufs Land
In „Brüder. Mutig wie wir“, dem jüngsten Jugendroman von Jason Reynolds,
werden Genie und sein vierzehnjähriger Bruder Ernie in den Sommerferien
aufs Land zu den Großeltern geschickt, die sie bisher nur vom Telefon
kannten.
Die Geschwister aus Brooklyn fremdeln zunächst mit dem Alltag in der
Provinz Virginias. Nun müssen sie früh aufstehen, Erbsen ernten und den Hof
von Samanthas Hundekacke säubern. Doch besonders die herzlich zupackende
Art ihrer Großmutter sowie die Freundschaft mit Tess, dem Mädchen aus der
Nachbarschaft, erleichtern ihnen die Ankunft in North Hill.
Dennoch entgeht den Brüdern nicht, dass besonders das Leben des blinden
Großvaters voller Absonderlichkeiten steckt, aber auch, dass ihr Vater mit
seiner Herkunft im Groll gebrochen hat.
## Seltsamer alter Mann
Trotzdem ist besonders Genie, der zwanghaft Fragen notiert, aber nun ohne
Internet deren Lösung nicht googeln kann, fasziniert von dem seltsamen
alten Mann mit der Sonnenbrille. Selbst der tragische Unfall im Wald ändert
daran nichts.
Auch wenn der Einstieg in den Roman zunächst etwas umständlich erscheint,
gelingt es dem afroamerikanischen Autor doch überzeugend, eine
hintergründige Familiengeschichte aus Genies Perspektive zu entwickeln.
Unaufdringlich verhandelt er darin Themen wie Waffenbesitz, kreolische
Küche, Alkoholismus oder die Erfahrung der Sklaverei und wirft einen
aufmerksamen Blick auf die ländliche Gesellschaft des Südens der USA. Durch
die beharrlichen Fragen des Enkels erkennen wir hinter der
Widersprüchlichkeit des Großvaters auch die Geschichte des Landes.
27 Mar 2020
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## AUTOREN
Eva-Christina Meier
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