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# taz.de -- Erntehelfer in Spanien: Was kosten die Erdbeeren?
> Tausende Afrikaner ernten in Spanien Obst und Gemüse. Sie leben in
> unzumutbaren Verhältnissen. Mit dem Coronavirus verschlimmert sich ihre
> Lage.
Bild: Hungerlohn gegen frischen Tomatensalat. In einem Gewächshaus in Almería…
„Ich bin es leid. Wir haben gestreikt, damit das alles hier ein Ende hat.
Ohne Erfolg. Jetzt mit dem Virus verschlimmert sich unsere Lage noch“,
schimpft Lamine Camara. „Das alles“ sind die Lebensbedingungen der
afrikanischen Landarbeiter in Südspanien.
Alleine in der Provinz Huelva, dort wo Spanien an den Atlantik und an
Portugal grenzt, hausen rund 5.000 Afrikaner in 49 Slumsiedlungen. Es sind
aus Paletten und Plastikfolie zusammengezimmerte Hütten. Fünf bis sieben
Personen leben auf engstem Raum. Mit der Covid-19-Pandemie eine tickende
Zeitbombe.
„Sie haben kein Wasser und keinen Strom. Und seit der Ausgangssperre, die
die Regierung wegen der Coronaviruskrise verhängt hat, ist der Speisesaal
für Bedürftige im Dorf vier Tage die Woche geschlossen“, sagt Camara. Der
Mann, der vor 16 Jahren aus Guinea-Conakry kam, [1][lebt in Lepe, wo sich
alleine zehn Slumsiedlungen] befinden. Er ist einer der Sprecher des
Kollektivs der Arbeiter aus Afrika (CTA).
Spaniens Landwirtschaft wäre ohne die Afrikaner, von denen viele nicht
einmal über Papiere verfügen, undenkbar. Olivenernte im andalusischen Jaén,
dann Erdbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren und Zitrusfrüchte in Huelva,
anschließend die Apfelernte im katalanischen Lleid- das sind nur einige
Stationen im Laufe des Jahres. Seit den letzten Wochen kommen immer mehr
Wanderarbeiter in die Provinz Huelva.
## Die Grenze zu Marokko ist dicht
Normalerweise heuern die Unternehmer für die Erdbeerernte in Huelva
Zehntausende Helfer – meist Frauen – aus Marokko an. Sie werden in
Wohnanlagen auf den Feldern untergebracht. In Spitzenzeiten werden noch
weitere Helfer benötigt.
Es ist der Moment der Subsahara-Afrikaner. „Wer im Land ist, egal ob mit
oder ohne Papiere, wird dieses Mal sicher mehr Arbeit haben, als in anderen
Jahren“, ist sich Camara sicher.
Denn aus Marokko kam zwar das erste Kontingent Anfang des Jahres. Doch
jetzt, wo die Ernte auf ihren Höhepunkt zusteuert, sind die Grenzen dicht.
Aber Europa will trotz Coronakrise beliefert werden.
Die Landarbeitergewerkschaft SAT macht sich Sorgen um die
Arbeitsbedingungen. „Schutzmasken gibt es in den meisten Plantagen keine“,
weiß José Antonio Brazo, SAT-Sprecher in Huelva.
## Schlecht geschützt und unterbezahlt
In den Lagerhallen und an den Verpackungsablagen sehe es etwas besser aus.
Aber längst nicht alle hielten dort die Coronavirus-Vorschriften ein.
„Bezahlt werden auf dem Feld maximal 30 Euro am Tag, [2][obwohl 44,46 netto
gesetzlich für 6,5 Stunden vorgeschrieben sind]“, fügt Brazo hinzu.
Mohamed Atad aus dem marokkanischen Marrakesh, arbeitet auf einer Plantage
in Moguer, unweit der Provinzhauptstadt Huelva. Er ist schon lange im Ort
und lebt mit seiner Familie in einer Wohnung und nicht wie viele seiner
Kollegen in einer der drei Slumsiedlungen. „Bei uns in der Lagerhalle hat
nur der eine Maske, der sie selbst gekauft hat“, sagt er.
Mittlerweile sei es unmöglich Schutzmasken oder Desinfektionsgel zu finden.
Diese Artikel sind überall im Land ausverkauft. Apotheken werde nicht mehr
beliefert. Alles geht in die durch Covid-19-Fälle völlig überforderten
Krankenhäuser.
Mindestabstand ist in den Folienzelten ein Fremdwort. „Die Reihen der
Erdbeerplantagen sind 50 Zentimeter voneinander entfernt“, sagt Atad. Es
würden oft bis zu zehn Arbeiter auf einem Anhänger oder in einem
Lieferwagen von Einsatz zu Einsatz gefahren.
## Ausgangssperre statt Grundversorgung
Das CTA hat einen langen Brief an die spanische Regierung geschrieben, um
sofortige Hilfe zu fordern. Darin zitieren die Anwälte der Organisation den
[3][neuesten Bericht des UN-Sonderberichterstatters zu extremer Armut und
zu Menschenrechten, Philip Alston].
Die Arbeiter in den Slumsiedlungen in Huelva würden wie „Tiere leben“, und
ihre „Bedingungen stehen den schlimmsten Situationen, die ich überall auf
der Welt gesehen habe, um nichts nach“, heißt es im UN-Bericht.
Die CTA fordert von der Regierung in Madrid Wasser, Strom, die Einrichtung
von Bädern und Toiletten, Nahrungsversorgung, Müllabfuhr und
menschenwürdige Unterbringung, sowie ein Nahverkehrssystem für die Arbeiter
vom Wohnort zum Feld.
Eine offizielle Reaktion auf den Brief gibt es bisher nicht. Der
Katastrophenschutz der spanischen Armee (UME), der auch in Südspanien im
Einsatz ist, kam vergangenen Donnerstag in die Slums rund um Lepe.
Doch die Soldaten hatte weder Hilfsgüter noch Hygieneartikel dabei. „Sie
teilten uns lediglich mit, dass wir uns nicht bewegen dürfen“, sagt Camara.
Und das in Siedlungen ohne Strom für einen Kühlschrank und wo der nächste
Wasserhahn oder Lebensmittelladen meist Kilometer entfernt ist.
27 Mar 2020
## LINKS
[1] http://revista.lamardeonuba.es/colectivo-de-trabajadores-africanos-los-jorn…
[2] https://www.srf.ch/news/panorama/ausbeutung-im-gewaechshaus-gemuese-aus-spa…
[3] https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=25524&amp…
## AUTOREN
Reiner Wandler
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