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# taz.de -- Immigranten in Spanien: Verloren in der Stadt der Oliven
> Viele Immigranten kamen mit einem Traum von Glück nach Spanien. Doch der
> ist ausgeträumt. Was bleibt, ist das Elend. Denn immer mehr Einheimische
> suchen Arbeit als Erntehelfer.
Bild: Viele Illegale versuchen mit kleinen Booten auf die Iberische Halbinsel o…
ALMERIA taz | Es ist stockdunkel, als Clotaire Malack aus seinem Schlafsack
kriecht, wie jeden Morgen seit Monaten. Einen Wecker braucht der 31-Jährige
nicht, auch wenn es erst fünf Uhr ist. Frühmorgens, sagt er, wecken ihn die
Gedanken an seine Geschwister, die zu Hause im Senegal auf ein besseres
Leben warten. Clotaire steht vorsichtig auf. Neben ihm schlafen zwei
Landsleute, auf Karton, zwischen Müllcontainern. Sein Atem bildet in der
Dunkelheit Wölkchen. Jetzt ist es kalt in Jaén, in der Nacht sinken die
Temperaturen schon mal unter null Grad.
Clotaire ist einer der afrikanischen Glückssucher, die sich in Europa ein
bisschen Wohlstand holen wollen. Gerade sucht er ihn in den Olivenhainen
der südspanischen Provinz Jaén, in einer Stadt namens Úbeda. Er ist nicht
allein, mit ihm suchen tausende Immigranten in Andalusien Arbeit bei der
Olivenernte. Nur wenige von ihnen finden einen Schlafplatz, denn in den
Obdachlosenherbergen dürfen sie nur drei Nächte bleiben, noch weniger
finden Arbeit.
##
"Was können wir dafür, dass die Migranten keine Arbeit finden?", fragt
Eduardo Domínguez, Arbeitsvermittler vom Bauernverband Coag in Andalusien.
"Wir haben sie nicht gerufen." Der Spanier verschränkt hinterm Schreibtisch
die Arme. Er kann Fragen nach den illegalen Einwanderern nicht mehr hören.
Seit einem Jahr schon machen sie Schlagzeilen, weil sie immer dort, wo
gerade geerntet wird, auf der Straße leben.
"Die Migranten ziehen von Ernte zu Ernte, weil sie in den vergangenen
Jahren noch bei jeder Kampagne einen Job gefunden haben", sagt Diego
Cañamero, Sprecher der Landarbeitergewerkschaft SOC. "Aber jetzt sind die
Spanier zurück auf den Feldern, weil sie ihre Arbeit auf den Baustellen
verloren haben. Die Arbeitsämter haben jeden Einzelnen angeschrieben und
zur Ernte geladen."
Die Situation der afrikanischen Migranten wird sich weiter verschlechtern.
Dann, wenn die spanischen Bauarbeiter kein Arbeitslosengeld mehr bekommen
und zurück auf die Felder müssen, auf denen sie in Zeiten des Baubooms
nicht arbeiten wollten. "Die Migranten sind wie Werkzeuge, die nicht mehr
gebraucht werden", sagt Cañamero.
Vor wenig mehr als einem Jahr kündigte Clotaire seine Stelle als
Berufssoldat in Dakar, dann stieg er in ein Flugzeug nach Lissabon. Er
hatte sich bei einem Vermittler ein Schengen-Visum besorgt, 3.000 Euro für
drei Monate bezahlt und 800 Euro fürs Flugticket. Er wollte nicht in einem
Holzkahn sein Leben riskieren.
Das Geld für das Visum musste er sich leihen, doch er würde es schnell
zurückbezahlen, daran hatte er keine Zweifel. Er war ja auf dem Weg nach
Europa, wo das Geld auf der Straße liegt. Seinen kleinen Geschwistern würde
er ein eigenes Haus kaufen, sich selbst die Angst vor der Zukunft nehmen,
die auf ihm lastet, seit seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben
gekommen sind und er, der Älteste, die Verantwortung für seine acht
Geschwister übernahm.
Doch seit Clotaire in Europa angekommen ist, gleitet sein Ziel in immer
weitere Ferne. Heute weiß er nicht einmal mehr, mit welchem Geld er morgen
sein Essen kaufen soll. Er sagt, er habe einen Fehler gemacht.
Von Lissabon fuhr er direkt nach El Ejido, der Stadt mit der höchsten
Gewächshausdichte Spaniens, wo fast das ganze Jahr lang Saison ist, zur
Zucchini- und Auberginenernte. Ein Freund aus dem Senegal, ein erfahrener
Erntehelfer, hatte ihm gesagt, dort gebe es immer Arbeit. Die Stadt am
Mittelmeer ist die erste Anlaufstelle für einen Großteil der Einwanderer
ohne Papiere. Sechs Monate stand er an einer Kreuzung, bot seine
Arbeitskraft feil. Niemand wollte sie.
Um es zur Erdbeerernte in Huelva zu schaffen, musste er seine Digitalkamera
verkaufen, mit der er Europa seinen Geschwistern zeigen wollte. Dort lebte
er vier Monate in einer Hütte aus Plaste und Pappkartons, Erdbeeren
pflückte er nur an zwei Tagen. Im Sommer war er in Katalonien, er schlief
zwischen den Apfelplantagen, einen Job fand er nicht. Ein Mitarbeiter vom
Roten Kreuz gab ihm schließlich das Geld für ein Busticket. Clotaire fuhr
nach Úbeda, der "Olivenstadt", wie er sie nennt.
##
"Mit dem Lohn für die Arbeiter ist es wie mit dem Preis für das Gemüse: Je
größer das Angebot, desto weniger wird bezahlt." Manuel Sabio Perez,
Landwirt in El Ejido, der Gewächshausstadt, wischt sich den Schweiß von der
Stirn und grinst. Der kleine Mann steht in seinem Gewächshaus, die Sonne
scheint und die Temperaturen liegen unter dem Kunststoffdach weit über 30
Grad, draußen sind es 15. Neben ihm reihen sich zehntausende
Tomatenpflanzen. Unter der schmutzigen Plane brechen gerade drei Afrikaner,
einer davon aus Marokko, kleine Blüten von den Stielen der
Auberginenpflanzen, nur die Dicksten lassen sie stehen. In ein paar Monaten
wird das Gemüse in Deutschland, Frankreich und Holland in den Regalen
liegen.
Ob die Arbeitserlaubnis der Erntehelfer echt ist? Dafür würde Sabio seine
Hand nicht ins Feuer legen. Bis zu 60.000 Euro muss zahlen, wer Arbeiter
ohne Papiere beschäftigt. "Seit Beginn der Wirtschaftskrise schauen die
Behörden besonders genau", sagt der Landwirt. "Jeden Tag fragen mich
Migranten nach Arbeit, ich schreibe ihren Namen und ihre Telefonnummer auf,
aber ich kann sie nicht beschäftigen", sagt er. Die Liste von Manuel Sabio
aus El Ejido ist lang, mehr als hundert Namen stehen dort. Jeden Tag werden
es mehr.
Als Clotaire den Bordstein im morgendlichen Dunkel hinter sich lässt, ist
sein Gang aufrecht, seine Schultern sind gestreckt. Knapp 200 Meter läuft
er entlang der Landstraße zum Arbeitsmarkt, dort, wo die Bauern
frühstücken. An der Bar schaut er keinem in die Augen. Er spricht keinen
Bauern an. "Ich will niemanden belästigen", sagt Clotaire. "Sie wissen ja,
wieso ich hier bin." Er hofft, dass sein Soldatenkörper ihm dabei hilft,
einen Job zu bekommen.
In der Bar sitzt auch Paco. Er ist ein großer Mann, ein Familienvater Mitte
40, mit breiten Schultern. Er hat viel Erfahrung bei der Ernte. Im Sommer
verlor er seine Arbeit als Fliesenleger bei einer Baufirma, deshalb ist er
dem Aufruf des Arbeitsamts, Oliven zu ernten, gefolgt. In ein paar Minuten
holt ihn ein Bauer ab und sie fahren aufs Feld. "Ich brauchte dringend eine
Arbeit. Meine Frau und ich wussten nicht mehr, wie wir unsere Rechnungen
bezahlen sollen", sagt er, während er seine Hände an einer Tasse Kaffee
wärmt.
Im Osten taucht ein heller Streifen am Horizont auf. Manchmal hält ein
Wagen, ein paar Afrikaner steigen ein. Wenigstens sie haben ein wenig
Glück. Doch auch die Guardia Civil fährt vorbei. Clotaire schaut weg, als
er sie sieht. Zweimal haben die Polizisten ihre Hütten in der Erdbeerstadt
Huelva bereits mit Traktoren zerdrückt, gerade so als wären es
Streichholzschachteln.
Die Morgensonne taucht die Straßenkreuzung in ein weiches Licht. Clotaire
streckt sein Gesicht zur Sonne, um sich zu wärmen. Es ist jetzt neun Uhr,
die Bar fast leer, kein Bauer mehr da. Erst als die Kreuzung ganz im
Sonnenlicht liegt, gibt Clotaire sich geschlagen. Er hat seine Mission
wieder nicht erfüllt.
Clotaires mächtige Schultern sind eingefallen, die Füße zieht er über den
Asphalt, der Blick ist auf den Boden gerichtet. Je näher die Mülltonnen
rücken, um so schlurfender wird sein Gang. Die anderen Senegalesen kauern
um ein Feuer, wärmen sich die Hände. In einer verkohlten Pfanne schwimmen
ein paar Eier in Öl, die irgendeiner ergattert hat. "Ich hätte nicht
gedacht, dass ich jemals so leben muss", sagt Clotaire und geht vor dem
Feuer in die Hocke. Der schlimmste Moment in seinem Leben? "Ich weiß nicht,
was noch kommt."
Warum kehrt er nicht um?
Warum fährt er nicht nach Hause zurück? Clotaire blickt auf den Boden. Er
hat alles aufgegeben, er hat sich verschuldet und er hat in seiner Familie
Hoffnung entfacht auf ein besseres Leben.
Auch morgen wird Clotaire wie seit mehr als 300 Tagen vor dem Morgengrauen
aufstehen und Arbeit suchen. Er kann nicht glauben, dass er es in Europa
nicht schaffen sollte, wie so viele andere vor ihm, die sich im Senegal ein
eigenes Haus bauten, einen schicken Wagen fahren und ihre Kinder auf die
Schule schicken. Dass er seine Beamtenstelle als Soldat auf Lebenszeit
aufgegeben hat für einen Traum, der sich nicht erfüllen will. Keiner der
zurückgekehrten Auswanderer hatte ihm von Bordsteinen, zerfetzten Hütten
und Mülltonnen erzählt.
Aus dem Handy von einem der Jungs, die am Feuer sitzen, tönt scheppernd
eine Melodie. Es ist ein Lied aus Afrika, "Le chemin de lespoir" - Weg der
Hoffnung. Es geht um einen jungen Mann, der nach Europa aufbricht, um dort
sein Glück zu suchen. Im Senegal hätte Clotaire dazu getanzt.
4 Jan 2010
## AUTOREN
Veronica Frenzel
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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Erntehelfer in Spanien: Was kosten die Erdbeeren?
Tausende Afrikaner ernten in Spanien Obst und Gemüse. Sie leben in
unzumutbaren Verhältnissen. Mit dem Coronavirus verschlimmert sich ihre
Lage.
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