# taz.de -- In Portugals Hinterland: Bedrängte Landschaft | |
> Der trockene Alentejo verändert sich durch intensive Landwirtschaft und | |
> den Stausee Alqueva. Unterwegs von der portugiesischen Küste ins | |
> Landesinnere. | |
Bild: Bäuerliche Kulturlandschaft: Korkeichen und Schafe im portugiesischen Al… | |
Immer oben auf den Klippen entlang mit Blick auf kleine Buchten, einsame, | |
nur vom Meer erreichbare Strände in tiefen Schluchten. Zwischen | |
Lackzistrosen und Wacholderbüschen kämpfen wir uns mühsam auf dem schmalen, | |
sandigen Trampelpfad weiter. Der sandige Untergrund ist kein leichtes | |
Terrain, garantiert formt er die Waden. Dafür entlohnen die Ausblicke. | |
Gegen die schroffen Felsen spritzt weiße Gischt. Nicht überall will ich die | |
imposanten Abgründe hinunter spähen. Die Fischer, die diesen Weg an der | |
portugiesischen Atlantikküste getreten haben, sind mutiger. Sie klettern | |
die Felsen hinab. Es ist die Küste der Perceveiros, ihr Jagdgebiet. | |
An meerumspülten Felsen wachsen Krustentiere, die Perceves, Entenmuscheln. | |
Diese inzwischen zum Leckerbissen aufgestiegenen Meeresfrüchte siedeln in | |
Kolonien nah beieinander. Ihre fingerdicken, etwa drei bis fünf Zentimeter | |
langen Muskelstiele sind von einer schwarzen, ledrigen Haut umschlossen. | |
Auf diesen Muskel haben es Felsenfischer und Feinschmecker abgesehen.Vor | |
allem wegen schädlicher Umwelteinflüsse sind sie inzwischen vom Aussterben | |
bedroht. | |
Rudolfo Müller, Ende 50, Schweizer, Bauernsohn aus dem Aargau, hat sich | |
schon in 1980er Jahren in diese Ecke am südwestlichsten Rand Europas | |
verliebt. „Ich blieb, heiratete und fühle mich hier immer noch sehr gut“, | |
sagt er. Der bedächtige Schweizer Naturbursche begleitet uns ein Stück auf | |
dem Fischerweg. | |
Beate, die ausgewiesene Portugal-Kennerin, will Ute und mir auf dieser | |
Reise den Alentejo zeigen. So schön und wild die Küste hier ist: „Wer den | |
Alentejo, Portugals größte Region, wirklich kennenlernen möchte, muss ins | |
Hinterland fahren“, sagt Beate. Denn 95 Prozent dieses Landstrichs, der vom | |
Fluss Tejo nördlich Lissabons bis zur Grenze der Algarve reicht, seien | |
Hinterland. Doch Ute, die Wasserratte, will unbedingt ans Meer zum Baden. | |
Die Rota Vicentina, der Fischerweg, ist Teil unseres Drei-Mädel-Trips, um | |
die altlantische Küste des Alentejo mit dem trockenen Hinterland zu | |
verbinden. | |
## Der Wanderweg an der Küste | |
Unser Begleiter Rudolfo Müller, Wanderführer und Vermieter, hatte mit | |
einigen gleichgesinnten Einheimischen 2008 die Idee zu diesem Weg. Das | |
Projekt des Fischerwegs wurde schließlich von Lokalpolitikern und | |
Touristikexperten unterstützt. Es wurde ein Erfolgskonzept. | |
Der Weg an Portugals Südwestküste, im geschützten Gebiet des Naturparks | |
Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina führt durch eine dünn besiedelte | |
Gegend. Selbst an der Küste ist der Trubel begrenzt. Die Route durchquert | |
uralte Dörfer zwischen Santiago do Cacém im Norden und dem Leuchtturm am | |
Cabo de São Vicente, dem Namensgeber des Wegnetzes. | |
Unser Endpunkt auf dem Streckenabschnitt von Zambujeira do Mar Richtung | |
Süden ist die Praia do Brejão im Naturpark Vicentinische Küste. Sie ist | |
auch unter dem Namen Praia da Amália bekannt. Die berühmte Fadosängerin | |
Amália Rodrigues hatte hier ein Haus am Meer, das inzwischen als Ferienhaus | |
vermietet wird. | |
Gleich hinter dem großen Grundstück im Nationalpark stehen [1][riesige | |
Plastik-Gewächshäuser]. Hier werden Himbeeren und Blaubeeren für | |
nordeuropäische Supermärkte gezüchtet. „Das macht Ärger in der Region, | |
bringt Interessenskonflikte. Vor allem Hoteliers und Restaurantbesitzer | |
sind nicht begeistert von dieser Art landschaftlicher Nutzung“, sagt | |
Rudolfo. Das [2][Plastikcamp] ist jedenfalls das jähe Ende der Idylle. | |
Bilder wie dieses werden uns noch oft auf auf unserer Reise ins | |
Landesinnere begleiten. | |
Von einer ganz besonderen Kulturlandschaft hat Beate erzählt: Mächtige | |
Stein- und Korkeichen, dazwischen Weizenfelder. Knorrige Olivenbäume, | |
daneben Weiden mit Rindern und Schafen, mancherorts auch die schwarzen | |
Schweine, Porco Preto genannt, die für ihren zarten Schinken bekannt sind. | |
Auf jedem zweiten Mast ein Storch auf seinem Nest. Eine trockene | |
Landschaft, leer und melancholisch. | |
## Ein riesiger Stausee | |
Ja, es gibt sie noch, diese bäuerliche Kulturlandschaft, aber immer mehr | |
wird sie von flächengreifenden Oliven- und Weinplantagen verdrängt, wo die | |
Olivenbäume und Rebstöcke in Reih und Glied stehen. Riesige Pflanzungen zum | |
intensiven Anbau von Oliven und Wein entstehen. Die Durchfahrt dort ist | |
langweilig. | |
Wir übernachten mitten im Hinterland am Ufer des -Stausees. Das Hotel | |
Herdade dos Delgados in Mourao liegt am See. Die Seenlandschaft ist größer | |
als der Lago Maggiore. Das Ufer erstreckt sich über 1.200 Kilometer. Es | |
gibt Wanderpfade rund um prähistorische Menhire und Hügelgräber, die die | |
Flutung überlebt haben oder umgesetzt wurden. Sie sollen die Touristen | |
genauso anlocken wie kleine Strände, Yachthäfen und Bootstouren. Es ist | |
einer der größten künstlichen Seen Europas. Er hat ein Staubecken von 250 | |
Quadratkilometern. Die spiegelglatte, blaue Oberfläche des Sees wirkt in | |
der trockenen Landschaft oft wie eine Fata Morgana. Durchaus beeindruckend, | |
aber der See hat die Landschaft massiv verändert. | |
Die bäuerliche Kulturlandschaft des Alentejo ist bedroht durch diese | |
industrialisierte Großlandwirtschaft. Sie beansprucht in dieser regenarmen | |
Gegend den größten Teil des Wassers aus dem Alqueva-Stausee. Zur Ernte | |
werden Maschinen eingesetzt. Einfache Erntearbeiter wie früher werden kaum | |
noch benötigt, ohnehin greift man vor allem auf billige Arbeitskräfte aus | |
Asien zurück. Die Hälfte der Olivenölproduktion im Alentejo wird | |
mittlerweile von spanischen Investoren abgewickelt. Sie können die Preise | |
drücken. Die traditionellen Produzenten in Portugal können da nicht | |
mithalten. Portugals größte Provinz ist zur Cash-Cow für Großkonzerne | |
geworden. | |
„Der ökologische und wirtschaftliche Schaden, den diese Firmen anrichten, | |
ist immens“, klagt José Paulo Martins von der Umweltschutzorganisation Zero | |
gegenüber der NZZ. Vor zehn, 15 Jahren, als die Umweltstudien für den | |
Stausee gemacht wurden, hätte die Warnungen durch die Klimaveränderungen | |
niemand ernst genommen. Dabei existierten Szenarien, nach denen der | |
Alqueva-Stausee nicht mehr funktioniert, wenn die Wassermenge sich um nur | |
zehn Prozent verringert. Die Niederschläge werden jährlich weniger. „Wenn | |
es nicht genug Wasser gibt, haben wir diese Milliarden für nichts | |
ausgegeben. Die Klimaveränderung kann das ganze Projekt zunichte machen.“ | |
„Überall um den See herum haben wir saubere Luft, Ruhe und immerhin fünf | |
Strände,“schwärmt hingegen André Casinha vom Tourismusbüro, der uns durch | |
das touristische Monsaraz führt. Ein mittelalterlicher Traumort. Von der | |
alten Burg überblickt man die nun seenreiche Landschaft, die im Osten an | |
die spanische Extremadura grenzt. Dort, im Don Quiquote-Land la Mancha, | |
entspringt der hier gestaute Fluss Guadiana. „Der See hat den Tourismus | |
angekurbelt. Vor allem der Weintourismus ist groß im kommen,“ sagt André | |
Casinha. | |
Statt Wein trinken wir Wasser in der Dorfkneipe des nahegelegenen Ortes | |
Luz. Die Ortschaft wurde vor 20 Jahren aus dem Boden gestampft, nur wenige | |
hundert Meter vom ursprünglichen Aldeia da Luz entfernt, das geflutet | |
wurde. Menschen und ihre Tiere, auch der Friedhof wurden versetzt und neu | |
angelegt. | |
## Das verlorene Dorf | |
„Man hatte den Leuten damals versprochen, dass ein See neue | |
[3][Arbeitsplätze] bringt. Doch jetzt sehen wir, dass das gar nicht stimmt, | |
denn die jungen Menschen ziehen in die Ballungsräume. Wir verlieren hier | |
ständig Einwohner“, sagt der Pensionär João Pedro an der Bar der | |
Dorfkneipe. Kein Wunder, Luz ist ein Retortendorf, die Straßen fast | |
menschenleer, eine komische Stimmung liegt über dem tot wirkenden Ort. Die | |
Dorfstraße endet am Wasser, am Museum Museu da Luz, gleich neben der | |
wiederaufgebauten Wallfahrtskapelle. | |
Dokumentarfilme erzählen in dem kleinen Museum voller bäuerlicher | |
Gebrauchsgegenstände von früher und der Umsetzung. Eine Million Bäume, | |
Olivenbäume, Kork- und Steineichen, wurden gefällt. Der See sollte die | |
trockene Region in eine blühende Landschaft verwandeln. Das Gegenteil | |
scheint der Fall: Wo früher freies Feld war mit Olivenbäumen, Korkeichen | |
und Steineichen, ist heute Wasser, Wasser. Und der hochintensive Anbau von | |
kleinstämmigen Olivenbäumen, Mandeln und Beeren nimmt immer größere Flächen | |
rund um den See ein. Die Schönheit der kargen Landschaft ist darin | |
versenkt. Vogelkenner beklagen, dass sich viele Vögel hier nicht mehr | |
heimisch fühlen. | |
Selbst Ute, die ansonsten in jeder Pfütze badet, schlägt meinen Vorschlag | |
aus, zumindest die neuen Freuden der riesigen Seenlandschaft zu genießen | |
und schwimmen zu gehen. „Viel zu steril“, findet sie. Und Beate, unsere | |
Landeskennerin, sichtlich erschrocken über das Ausmaß der Veränderungen in | |
Portugals Kernregion, drängt zum Aufbruch. Sie schwärmt nun von Evora, | |
seinem maurischen Erbe, dem Wein, dem deftigen Essen und den | |
Terrakottafiguren aus der Marmorstadt Estremoz. Alentejo von seiner besten | |
Seite eben. | |
4 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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