# taz.de -- Industrielle Landwirtschaft: Warum die Beeren so billig sind | |
> Warum ist das Obst im Supermarkt so günstig? Weil Arbeiter aus Asien für | |
> wenig Geld auf portugiesischen Plantagen schuften. | |
Bild: Fast könnte man glauben, man sei in einem Dorf in Nepal oder Bangladesch… | |
ODEMIRA taz | Der Mann mit den Rastalocken unter der Baseballkappe versteht | |
die Welt nicht mehr. Seit zwei Jahren hat er in Portugal einen festen Job, | |
zahlt Steuern und Sozialabgaben. Aber legal im Land ist er deshalb nicht. | |
Noch immer wartet er auf seine Resident Card. „Ohne das Papier bist du ein | |
Nobody, immer in der Hand von Leiharbeitsagenturen“, sagt er. „Die zahlen | |
gerade mal den gesetzlichen Mindestlohn von 3,36 Euro pro Stunde. Was | |
darüber hinausgeht, stecken die Agenten ein.“ | |
Er will erzählen, wie das Ganze abläuft. Aber ohne seinen richtigen Namen, | |
ohne Foto. Okay, dann heißt du hier jetzt Abdul. | |
Abdul ist ernüchtert. Auch in seiner Heimat Bangladesch hat er es so | |
erlebt: Die einen kassieren, die anderen malochen. Die Agenten sind oft | |
Landsleute, die in Portugal selbst als Tagelöhner angefangen haben und | |
jetzt als Vermittler tätig sind. Zwischen den Immigranten auf der einen | |
Seite und den Großfarmern auf der anderen. | |
Abdul wirkt müde wie er so dasteht, morgens um halb sechs, und auf die | |
Busse wartet, die ihn mit Hunderten anderen Migranten zu den Gewächshäusern | |
bringen soll. Fast könnte man glauben, man sei in einem Dorf in Nepal oder | |
Bangladesch. Um diese Uhrzeit sieht man keinen einzigen Portugiesen auf der | |
Straße. Nur Tagelöhner aus Asien. | |
Früher galt der Alentejo rund um die Kreisstadt Odemira als das Armenhaus | |
Portugals: Korkeichen, Olivenbäume, schwarze Schweine, wenige Menschen. | |
Heute ist die Region ein Beispiel für exportorientierte Agrarindustrie. | |
Hinter der Steilküste am Atlantik entstehen immer neue Plastiktunnel mit | |
Blaubeer- und Himbeerstauden. Mehr als 90 Prozent der Beeren werden | |
exportiert. Was fehlt, sind Arbeitskräfte. | |
„Es ist sehr schwer Landarbeiter zu finden, obwohl Portugal eine | |
Arbeitslosenquote von fast 10 Prozent hat“, sagt Paul Dollemann. Er stammt | |
aus Holland und baut seit sieben Jahren im Alentejo Blaubeeren an. Mit | |
einer Lizenz des US-Konzerns Driscoll, dem Weltmarktführer für Erdbeeren, | |
Himbeeren und Blaubeeren. Die meiste Zeit des Jahres kommt Dollemann mit | |
fünf Festangestellten aus. „Während der Erntezeit brauche ich aber 30 und | |
mehr Pflücker. Das Arbeitsamt in Odemira schickt mir allenfalls zwei oder | |
drei. Und selbst die kommen manchmal nur ein paar Tage und bleiben dann | |
weg. Die Arbeit ist ihnen einfach zu hart, der Lohn zu gering.“ | |
Nur 15 Prozent der Arbeiter in den Gewächshäusern sind Portugiesen, in der | |
Regel die Vorarbeiter und Produktionsmanager. Menschen aus Indien, | |
Pakistan, Nepal und Thailand arbeiten auf den Plantagen. Wie viele es genau | |
sind, weiß niemand. Die Sozialarbeiterin Tania Guerreiro, die sich im | |
Auftrag der Nichtregierungsorganisation Taipa um die Migranten kümmert, | |
schätzt die Zahl der Tagelöhner aus Asien allein im Landkreis Odemira auf | |
mindestens 3.000. Offiziell leben hier 12.000 Einwohner. | |
Einmal in der Woche hat sie Sprechstunde. In einem winzigen Raum ohne | |
Fenster, aber mit WLAN. So kann Guerreiro im Internet sofort nachschauen, | |
wie es um die Anträge auf Aufenthaltsgenehmigung steht. | |
Erst war er Tourist, dann illegal | |
„Wo klemmt’s ?“, will Abdul wissen. „Es heißt, dein Antrag werde immer… | |
geprüft“, sagt Tania Guerreiro. „In deinem Pass fehlt der Einreisestempel.… | |
Das weiß Abdul selbst. Schließlich ist er wie viele andere illegal nach | |
Portugal eingereist. Aus Bangladesch war er mit einem Touristenvisum nach | |
England geflogen und hatte dort eine Ausbildung zum zertifizierten | |
Buchhalter begonnen. Doch dann verschärfte die Großbritannien die Einreise- | |
und Aufenthaltsbestimmungen. Abdul verlor sein befristetes Bleiberecht. | |
Er zahlte 800 englische Pfund an einen Schlepper, der ihn zusammen mit | |
zwanzig anderen in einem Lastwagen von England nach Portugal brachte. Die | |
portugiesische Ausländerbehörde verlangt einen Beleg darüber, wann er ins | |
Land gekommen ist. Schlepper stellen keine Quittungen aus. | |
Das portugiesische Ausländerrecht ist eines der liberalsten in Europa. | |
Einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis, die Resident Card, kann stellen, wer | |
mindestens sechs Monate in Portugal arbeitet und Steuern zahlt. Anfangs war | |
die Regelung vor allem für die ebenfalls Portugiesisch sprechenden | |
Brasilianer gedacht. Sie sollten legal in Portugal arbeiten können – auch | |
wenn sie einst als Touristen eingereist waren. | |
Auf diesen Artikel berufen sich jetzt die Migranten aus Asien. „Es ist | |
schon verrückt“, sagt Abdul. „Eigentlich darf ich als Tourist nicht | |
arbeiten. Wenn ich aber einen Arbeitsplatz habe und Steuern zahle, habe ich | |
beste Chancen auf eine Aufenthaltserlaubnis.“ Mitunter zahlen Migranten | |
sogar Steuern, obwohl sie nichts oder so gut wie nichts verdienen. Denn | |
ohne Arbeitsstelle keine Resident Card. Und ohne die Card kein legaler | |
Mietvertrag, kein eigenes Konto und nur eingeschränkte Bewegungsfreiheit. | |
In unregelmäßigen Abständen kontrolliert die Ausländerbehörde Geschäfte u… | |
Großfarmen. Anders als in Deutschland, wo sich illegale Arbeiter bei | |
Razzien schnellstmöglich aus dem Staub machen, sind die Migranten in | |
Portugal sogar froh, wenn die Kontrolleure auftauchen. Aus den | |
Gewächshäusern laufen ihnen die Tagelöhner entgegen, sie wollen nur eins: | |
dass man ihre Namen aufschreibt. „Vor Kurzem waren die Kontrolleure bei uns | |
auf dem Feld“, erzählt Abdul. „Aber genau an dem Tag war ich krank. Hätte | |
ich gewusst, dass sie kommen, ich wäre auch mit 40 Grad Fieber arbeiten | |
gegangen. Mein Name auf der Liste hätte bewiesen, dass ich eine | |
Arbeitsstelle habe.“ | |
Ohne Bleiberecht müssen sich die Migranten sich den prekären Bedingungen | |
fügen, unter denen sie arbeiten und wohnen müssen. Sie machen zahllose | |
Überstunden, auch am Wochenende. Sie leben zu mehreren in winzigen Zimmern, | |
in halb verfallenen Häusern und während der Ernte auch in Containern. | |
Untere Richtschnur für die Bezahlung ist der staatlich festgesetzte | |
Mindestlohn. In Portugal sind es diese 3,36 Euro pro Stunde von denen Abdul | |
erzählt hat. | |
## Israelische Arbeitsvermittler nutzen alte Kontakte | |
Nur selten stellen die Inhaber der Gewächshäuser die Migranten direkt an. | |
Lieber zahlen sie den Agenturen einen Aufschlag von 30 bis 60 Prozent auf | |
den Mindestlohn und kaufen sich damit praktisch frei von jeder | |
Verantwortung. „Wenn es Ärger mit den Behörden gibt, verwiesen die Farmer | |
gern auf die Leiharbeitsagenturen“, sagt die Sozialarbeiterin Tania | |
Guerreiro. | |
Die portugiesischen Behörden haben die Vorschriften für die Zulassung von | |
Agenturen verschärft. Daraufhin ging deren Zahl zurück. Doch viel hat sich | |
nicht geändert. Die großen Agenturen übernahmen die kleinen. Und deren | |
Tagelöhner. | |
In den 60er, 70er Jahren gingen die Portugiesen noch selbst zum | |
Geldverdienen ins Ausland. Heute läuft die Migration in der umgekehrten | |
Richtung. Die ersten ausländischen Arbeiter im Alentejo waren Anfang des | |
Jahrtausends vor allem Russen, Ukrainer und Bulgaren. Dann kamen die | |
israelischen Arbeitsvermittler. Nachdem die Beschäftigung palästinensischer | |
Tagelöhner in Israel schwierig geworden war, hatten sie gute Erfahrungen | |
mit asiatischen Gastarbeitern gemacht. Israelische Arbeitsagenturen nutzten | |
ihre Kontakte und warben auch für Portugal gezielt Arbeiter aus Thailand, | |
Nepal und Indien an. | |
„Sie sind die tropischen Temperaturen in den Gewächshäusern gewohnt und | |
dazu auch noch fleißige Arbeiter“, sagt der Bauer Paul Dollemann. Der | |
Driscoll-Konzern liefert ihm die Setzlinge, auf die das Unternehmen ein | |
Patent hat und kümmert sich um die Vermarktung. Dollemann und die anderen | |
Bauen pachten das Land, kümmern sich um Aufzucht, Bewässerung und Ernte. | |
In dem vom Santa Clara Staudamm bewässerten Landstreifen im Alentejo werden | |
mit Beeren und Früchten inzwischen 140 Millionen Euro erwirtschaftet. | |
## Die Arbeiter klagen nicht | |
Ohne billige Arbeitskräfte aus Asien und patentierte Beerenstauden aus den | |
USA wäre es kaum möglich, die normalen Wachstums- und Erntezeiten so | |
auszudehnen, dass man auch in deutschen Supermärkten fast das ganze Jahr | |
über frische Blaubeeren kaufen kann. Das 125- Gramm-Schälchen auch schon | |
mal für einen Euro. | |
Es ist einträgliches Geschäft. Für Driscoll, das Umsatz und Gewinn weiter | |
steigern kann. Für die Bauen die das Land pachten – oft sind es | |
Niederländer, Engländer und auch Deutsche. Für die Agenturen, die sich um | |
den Nachschub an Tagelöhnern kümmern. Die asiatischen Migranten aber hängen | |
oft Jahre zwischen Legalität und Illegalität fest. | |
Dennoch hört man von den asiatischen Tagelöhnern kaum Klagen. Wie auch? | |
Kaum einer von ihnen spricht Portugiesisch, eine Gewerkschaft für | |
Landarbeiter gibt es nicht. Dazu kommt der ungeklärte Status – wie bei | |
Abdul. | |
Seit zwei Jahren arbeitet er in den Gewächshäusern. Dass er Rechnungsprüfer | |
wird, glaubt er nicht mehr. „Die Arbeit hier ist in Ordnung“, sagt er. „D… | |
Menschen sind freundlich, das Wetter ist nicht viel anders als in meiner | |
Heimat.“ Gern würde er noch mal seine Mutter in Bangladesch sehen. Sie ist | |
alt und kränklich, niemand weiß, wie lange sie noch lebt. Aber Abdul kann | |
nicht nach Hause. Ohne Resident Card würde Portugal ihn nicht zurück ins | |
Land lassen. | |
10 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
peter schreiber | |
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