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# taz.de -- Einigung in Thüringen: Ein richtiger Tabubruch
> Die Thüringer CDU will jetzt eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung
> tolerieren. Auf Bundesebene wird das die Partei wohl weiter spalten.
Bild: Vorsichtige Berührung im Zehenbereich: Eine Socke stablisiert die andere
Thüringen schreibt in diesen Tagen Geschichte. Die CDU wird erstmals eine
von der Linken angeführte Minderheitsregierung
tolerieren...äh...stabilisieren. Darauf haben sich Vertreter [1][aller vier
Fraktionen im Thüringer Landtag am Freitagabend geeinigt]. Das Wort
Tolerierung will man bei der CDU unbedingt vermeiden. Die künftigen Partner
nehmen Rücksicht auf die semantischen Befindlichkeiten der CDU und sprechen
daher von einem Stabilitätsmechanismus. Aber inhaltlich ist und bleibt es
eine Tolerierung, wenn man vereinbart, für einen gewissen Zeitraum nicht
gegeneinander zu stimmen, sondern untereinander Kompromisse zu suchen.
Für die CDU ist das ein Tabubruch. In mehreren Bundesparteitagsbeschlüssen
gelobte sie, niemals mit der Linken zusammenzuarbeiten. Doch die Abkehr
dieser Selbstverpflichtung wäre nicht ohne einen anderen Tabubruch möglich
gewesen. Die Auschlussklausel galt schließlich auch für eine Kooperation
mit den Rechten. Doch vor gut zwei Wochen, [2][am 5. Februar, 75 Jahre nach
dem Ende der NS-Dikatur], half die Thüringer CDU einen Ministerpräsidenten
ins Amt zu heben, der dabei auch auf die Stimmen der AfD angewiesen war.
Ob die Gefahr von Links oder von Rechts droht, diese Frage stellt sich nach
den [3][Morden von Hanau], dem dritten tödlichen Anschlag aus
rechtsradikalen, rassistischen Motiven seit Juni 2019, endgültig nicht
mehr. Es bedarf keiner weiteren Taten, nur damit die CDU erkennt, wie
gefährlich es ist, wenn sich der Diskurs nach rechts verschiebt und der
[4][Rassismus einer demokratisch legitimierten Partei wie der AfD als
lässliche Sünde gilt].
Insofern ist es ein Fortschritt, wenn die CDU ihre Äquidistanz zu rechts-
und vermeintlich linksextremen Parteien aufgibt und sich mit der
Linkspartei innerhalb des demokratischen, weltoffenen, liberalen Spektrums
gegen die rechten Antidemokraten von der AfD verbündet.
Dieser Schritt ist auch dann nicht gering zu schätzen, wenn man in Rechnung
stellt, dass der zweite Erfurter Tabubruch vor allem aus einer
[5][instabilen Situation und egoistischen Motiven entsprang]. Linke und AfD
verfügen im Thüringer Landtag zusammen über eine absolute Mehrheit.
Mehrheitsfähige Politik gegen beide Parteien gleichzeitig zu betreiben, wie
es die Beschlusslage der CDU vorsieht, ist rechnerisch nicht möglich.
Schnelle Neuwahlen, wie sie nach dem ersten Tabubruch im Februar als
schnellste und sauberste Lösung erschienen, wollen die CDU-Abgeordneten
nicht. Sie fürchten angesichts entmutigender Umfragewerte schlicht um ihr
Mandat.
## Niemand zu Haus im Konrad-Adenauer-Haus
Also wagten die vier Emissäre in den Verhandlungen das, was in der
gegebenen Situation vielen außerhalb und einigen in der CDU als rational
und pragmatisch erscheint: Sie sicherten einer Linken, die das Land fünf
Jahre lang solide sozialdemokratisch regiert hat, ihre Unterstützung zu.
Der Beschlusslage sei man sich natürlich bewusst. Das reicht dann aber auch
als Absicherung.
Denn wer in Berlin kontrolliert eigentlich momentan, ob diese eingehalten
wird? Nachdem Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Rückzug als CDU-Vorsitzende
angekündigt hat, [6][herrscht ein Machtvakuum]. Niemand zu Haus im
Konrad-Adenauer-Haus – sturmfreie Bude.
Ausgestanden ist die Thüringer Krise damit freilich nicht. Denn nicht
wenige CDUler sehen es als legitim an, in Sachfragen auch mit der AfD
zusammenarbeiten. Die Werteunion warnt vor einem Dammbruch, falls Bodo
Ramelow mit den Stimmen der CDU gewählt wird, der der Union unermesslichen
Schaden zufügen wird.
Infolge der Öffnung nach links könnte auch die Mauer nach rechts weiter
bröckeln. Die Tolerierung einer linken Landesregierung wird die
Christdemokraten wohl weiter spalten. In Thüringen aber kann die
Landespartei eine absurde politische Situation vorerst befrieden.
22 Feb 2020
## LINKS
[1] /Einigung-in-Thueringen/!5665535
[2] /Thueringens-neuer-Ministerpraesident/!5662119
[3] /Anschlag-in-Hanau/!5665253
[4] /Nach-dem-Terroranschlag-in-Hanau/!5665415
[5] /Die-Woche-in-Thueringen/!5663169
[6] /Zukunft-der-CDU/!5660293
## AUTOREN
Anna Lehmann
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