# taz.de -- Thüringen-Wirrwarr: Das große Dilemma der CDU | |
> Schon wieder Katastrophenstimmung bei der Bundes-CDU: Die Parteifreunde | |
> in Thüringen wollen Bodo Ramelow doch zum Ministerpräsidenten wählen. | |
Bild: Thüringer Rätsel: Wie nah dürfen sich Linke (Bodo Ramelow) und CDU (Mi… | |
BERLIN taz | Die Aufregung ist groß, der Ausgang ungewiss, aber Bodo | |
Ramelow gibt sich demonstrativ gelassen. „Ich bin nach vielen Gesprächen in | |
den vergangenen Tagen emotional zu dem Ergebnis gekommen, dass ich mit | |
einer ausreichenden Mehrheit aus dem demokratischen Spektrum im ersten | |
Wahlgang rechnen kann“, sagte der Vielleicht-bald-wieder-Ministerpräsident | |
Thüringens der FAZ. Er sei „da völlig zuversichtlich“. | |
Am 4. März, [1][darauf haben sich Linkspartei, SPD, Grüne und CDU am | |
Freitagabend in Erfurt verständigt], soll Ramelow erneut zum Regierungschef | |
in dem östlichen Bundesland gewählt werden – und zwar mit einer absoluten | |
Mehrheit der demokratisch gesinnten Abgeordneten. Seine Wahl ist einer von | |
mehreren verabredeten Eckpunkten, um einen Ausweg aus der Thüringer | |
Regierungskrise zu finden. | |
Dazu gehört ferner, dass vorgezogene Neuwahlen am 25. April 2021 | |
stattfinden sollen. Bis dahin haben sich die vier Parteien zugesichert, | |
dass bei Anträgen die AfD nicht das Zünglein an der Waage sein darf. Zudem | |
soll bis Dezember der Landeshaushalt für das Jahr 2021 gemeinsam | |
verabschiedet werden. Auch über Personalfragen soll gemeinsam entschieden | |
werden. | |
Doch noch ist unklar, ob die rot-rot-grün-schwarze | |
„Stabilitätsvereinbarung“ tatsächlich hält. Der Knackpunkt ist die Wahl | |
Ramelows. Linkspartei, SPD und Grüne verfügen im Landtag nur über 42 der 90 | |
Stimmen. Lässt man die AfD außen vor, müssen für die Wahl des | |
Linksparteilers Ramelow im ersten Wahlgang mindestens vier Stimmen aus den | |
Reihen der CDU oder der FDP kommen. | |
Da die Liberalen nicht an den Verhandlungen beteiligt waren, bedeutet das | |
in der Konsequenz, dass die fehlenden Kreuze von christdemokratischen | |
Abgeordneten zu kommen haben. Und genau das versetzt die | |
christdemokratische Bundesspitze in Katastrophenstimmung. | |
„Es geht hier um nicht weniger als um die Glaubwürdigkeit der CDU | |
Deutschlands insgesamt“, empörte sich am Samstag CDU-Generalsekretär Paul | |
Ziemiak und verwies auf den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, nachdem eine | |
Zusammenarbeit weder mit der AfD noch mit der Linkspartei möglich sei. | |
Niemand aus seiner Partei könne daher für Ramelow als Ministerpräsidenten | |
stimmen. Wer ihn wähle, „verstößt gegen die Beschlüsse der CDU“, so | |
Ziemiak. Es gehe hier „um Grundüberzeugungen und um Grundwerte und nicht um | |
politische Spielchen“. | |
## Merz-Getwitter | |
Noch drastischer formulierte es CDU-Bundesvorstandsmitglied Jens Spahn: „Es | |
geht jetzt um die Substanz unserer Partei – nicht nur in Thüringen“, | |
twitterte er. Auch von Friedrich Merz, einem weiteren Aspiranten auf den | |
Parteivorsitz, kam harsche Kritik. „Die Entscheidung der CDU Thüringen, | |
Herrn Ramelow auf Zeit mitzuwählen, beschädigt die Glaubwürdigkeit der CDU | |
in ganz Deutschland“, [2][twitterte er]. | |
Die Thüringer CDU-Landtagsfraktion reagierte mit einer feinziselierten | |
Erklärung auf die Anwürfe. Einerseits bekräftigte sie, dass sie gemäß ihrer | |
Vereinbarung mit der CDU-Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer von | |
Anfang Februar Ramelow „nicht aktiv“ als Ministerpräsidenten mitwählen | |
werde. | |
Andererseits nehme die CDU-Fraktion aber das Verhandlungsergebnis mit | |
Rot-Rot-Grün „mehrheitlich zustimmend zur Kenntnis“. Sie werde sich | |
„stabilen Verhältnissen nicht verweigern“. Verklausuliert bedeutet das die | |
Bereitschaft, Ramelow die erforderliche Mehrheit zu sichern. Welche | |
CDU-Abgeordneten auch immer ihn „aus staatspolitischer Verantwortung“ | |
wählen werden, ist unklar, die Wahl ist ja geheim. | |
Wie umstritten die Entscheidung zur Zusammenarbeit mit Rot-Rot-Grün | |
allerdings auch in der Thüringer CDU ist, zeigt die Mitteilung des | |
bisherigen Landespartei- und Fraktionschefs Mike Mohring: am 2. März – also | |
noch vor der anvisierten Wahl Ramelows – will er seine beiden Posten | |
aufgeben. Eigentlich hatte er als Parteichef erst im Mai abtreten wollen. | |
„Ich bin mit dem klaren Versprechen angetreten, Rot-Rot-Grün in Thüringen | |
zu beenden und nicht zu verlängern“, begründete Mohring gegenüber der Bild | |
am Sonntag seinen Entschluss. „Jetzt steht eine wie auch immer geartete | |
vertragliche Vereinbarung für eine Tolerierung einer rot-rot-grünen | |
Regierung durch die CDU im Raum.“ Das sei „das Gegenteil unseres | |
Wahlversprechens“. Deswegen gebe er „parallel zur Wahl des neuen | |
Fraktionsvorstands auch mein Amt als Parteivorsitzender der CDU Thüringen | |
zurück“. | |
## Mohring-Abgang | |
Mohring gehörte nicht zu der vierköpfigen Verhandlungsgruppe, die den Deal | |
mit Linkspartei, SPD und Grünen ausgehandelt hatte. Die wurde vielmehr | |
angeführt von Landesparteivize Mario Voigt. „Es ist eine | |
Ausnahmesituation“, rechtfertigte der sich. Die „Stabilitätsvereinbarung“ | |
bedeute keine Koalition, keine Tolerierung und keine Duldung von | |
Rot-Rot-Grün, sondern eine zeitlich eng begrenzte, projektorientierte | |
Zusammenarbeit zum Wohle Thüringens. „Wir verstehen uns als konstruktive | |
Opposition“, versicherte Voigt. | |
Die Thüringer CDU befindet sich in einem selbst verschuldeten Dilemma: Denn | |
eigentlich bestünde keine Notwendigkeit für sie, mit den | |
Parteitagsbeschlüssen der CDU zur Nichtzusammenarbeit mit der Linkspartei | |
in Konflikt zu geraten – wenn sie denn bereit wäre, umgehenden Neuwahlen | |
zuzustimmen. Doch das lehnt sie mit Blick auf ihre desaströsen derzeitigen | |
Umfragewerte vehement ab. | |
Deswegen verweigerte sie sich sogar [3][dem Vorschlag Ramelows], dessen | |
christdemokratische Vorgängerin Christine Lieberknecht für eine | |
Übergangszeit zur Interimsministerpräsidentin zu machen. Hauptsache, kein | |
schneller Urnengang, lautet die Devise. Davon sind die Thüringer | |
Christdemokrat:innen auch nicht durch die Parteioberen in Berlin | |
abzubringen. Aber was bleibt dann noch – außer einer wie auch immer | |
gearteten Kooperation mit der vermaledeiten Linkspartei? | |
## Ramelow-Brücke | |
Ramelow jedenfalls versucht weiter, der Thüringer CDU eine Brücke zu bauen. | |
Natürlich gebe es keine Vereinbarung mit der CDU-Fraktion, ihn zu wählen, | |
sagte er. Das sei auch gar nicht nötig. „Da wird von Berlin etwas | |
hineininterpretiert, was es nicht gibt.“ Es seien keine Vereinbarungen | |
getroffen worden, „die den CDU-Parteibeschlüssen widersprechen“. Auch nicht | |
in Bezug auf die Ministerpräsidentenwahl. | |
Gleichwohl gehe er davon aus, am 4. März gewählt zu werden – und | |
AfD-Stimmen dabei keine Rolle spielen. „Deswegen bin ich auch sehr gelassen | |
in Bezug auf das Getöse in Berlin“, so Ramelow. „Dass der Kalte Krieg | |
beendet ist, dass wird auch dort hoffentlich bald begriffen.“ Seit Hanau | |
sollte auch dem Letzten klar sein, worum es in Deutschland geht: „Es geht | |
darum, unsere Demokratie zu verteidigen, und das geht nur, wenn | |
Demokratinnen und Demokraten auch zusammenstehen und zwar über | |
Parteigrenzen hinweg.“ | |
23 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Einigung-in-Thueringen/!5665535 | |
[2] https://twitter.com/jensspahn/status/1231154309255090178 | |
[3] /Regierungskrise-in-Thueringen/!5661397 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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