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# taz.de -- Dokumentarfilm „Bis die Gestapo kam...“: „Neu-China“ auf St…
> Während der NS-Zeit gab es eine chinesische Community in Hamburg. Ein
> Dokumentarfilm erzählt von ihr – und von ihrem gewaltsamen Ende.
Bild: Interview mit einer Zeitzeugin: Marietta Solty ist die Tochter eines chin…
Bremen taz | An Exotisches kann sich der alte St. Paulianer erinnern: an
die Gerüche aus den Küchen, das Klackern der Mahjongg-Steine aus den
Souterrainwohnungen. Gekocht und gebügelt worden sei dort viel, erzählt er.
Ein anderer hat in einem Keller einmal ein ganze Reihe tief schlafender
Männer entdeckt – werden wohl Opium geraucht haben, habe er sich später
zusammengereimt. Mit den Erinnerungen solcher Zeitzeugen beginnt der Film
„Bis die Gestapo kam... Das ‚Chinesenviertel‘ in St. Pauli“ von Bertram
Rotermund und Rudolf Simon.
Die, die da sprechen, haben als Kinder in der Schmuckstraße, Hamburg-St.
Pauli gewohnt. Hier gab es ab den 1920er-Jahren, wie in vielen
internationalen Hafenstädten, eine „Chinatown“ oder bescheidener: ein
„Chinesenviertel“. In Hamburg beschränkte es sich auf diesen einen
Straßenzug, in dem 100 bis 200 Chinesen wohnten. Zumeist waren diese Männer
über die See gekommen, als Heizer oder Kohlentrimmer.
In der Schmuckstraße, die es bis heute gibt, bezogen sie dann insbesondere
billige Souterrainwohnungen, eröffneten Restaurants oder auch Wäschereien –
ein oder zwei Opiumhöhlen wird es dort wohl auch gegeben haben. Ja, die
Erinnerungen der interviewten Zeitzeugen bestätigen durchaus die Klischees,
die es über solche chinesischen Enklaven gibt – und über Chinesen
überhaupt.
Die kleine Gruppe der Neuankömmlinge wurde sesshaft, gründete Familien. Vor
allem mit Restaurants und Tanzlokalen waren einige sehr erfolgreich: Sogar
im fernen Berlin schwärmte Kurt Tucholsky vom „Neu-China“ auf St. Pauli.
Heute würde man vielleicht von einer „erfolgreichen Integration“ sprechen.
In den 1940er-Jahren wurde die nationalsozialistische Rassenpolitik zur
Bedrohung für die Community – umso verheerender dann die „Chinesenaktion“
am 13. Mai 1943. Bei der großangelegten Razzia verhafteten Polizei und
Gestapo 129 chinesische Männer; viele von ihnen wurden im Gefängnis
Fuhlsbüttel misshandelt; manche kamen später ins „Arbeitserziehungslager
Langer Morgen“, andere ins KZ Neuengamme. Betroffen von der Polizeiaktion
waren aber auch deutsche Ehefrauen oder Angestellte – oder schlicht
asiatisch aussehende Menschen.
In ihrer 60-Minuten-Dokumentation arbeiten Bertram Rotermund und Rudolf
Simon diese Geschichte auf, und das vor allem als „oral history“. Dafür
haben sie [1][Zeitzeugen] gesucht und befragt, und diese Gesprächssequenzen
machen den größten Teil des Films aus.
Von den damals verhafteten Chinesen lebt heute keiner mehr. Zwei
Schwestern, Jahrgang 1932, erinnern sich noch direkt daran, wie ihr Vater
viele Wochen nach der „Chinesenaktion“ und also seiner Verhaftung wieder
nach Hause kam: als „gebrochener Mann“. Er war als einer von 60 bis 80
Chinesen ins Lager „Langer Morgen“ im Stadtteil Wilhelmsburg gebracht
worden, wurde misshandelt, musste Zwangsarbeit verrichten; aus dieser
Gruppe starben mindestens 17 Menschen.
Nach Kriegsende blieben 30 Chinesen in Hamburg, einige von deren Nachkommen
konnten Rotermund und Simon befragen. Besonders beeindruckend: Marietta
Solty, die bis heute die „Hongkong Bar“ betreibt, eröffnet Ende der
1920er-Jahre von ihrem Vater Chong Tin Lam. Sie schlägt am Ende des Films
den Bogen zu aktuellen politischen Zuständen: Das damals Geschehene dürfe
nicht vergessen werden, „damit so etwas nicht noch einmal passiert. Die
Anfänge sind leider da“.
Hamburger Chinesen der zweiten Generation sind auch Martin Chen, der Leiter
des chinesischen Seemannsheims, und Heinz Poon, dessen Vater ein bekanntes
Hamburger Chinarestaurant betrieb. Poons Vater fand dann sogar Erwähnung in
der Autobiografie des Beatles’ Paul McCartney – denn er habe „das weltbes…
Chop Suey“ gekocht.
Solche bunteren Hamburgensien bringen immer wieder eine leichtere Note in
den Film, der ansonsten ja eine Geschichte erzählt, die zornig macht. Denn
den 30 gebliebenen – Terror und Ermordung entronnenen – Chinesen
verweigerte die Bundesrepublik jede Wiedergutmachung. Es sei keine
rassistische Verfolgung im Spiel gewesen, die „Chinesenaktion“ ganz
„normales polizeiliches Vorgehen gegen verdächtige Ausländer“: Diese
haarsträubende Begründung trägt im Film der Hamburger Historiker ([2][und
gelegentliche taz-Autor) Lars Amenda] vor, der über die „Chinesenaktion“
promoviert hat und auf dessen Recherchen die Filmemacher gerne und viel
zurückgreifen.
Rotermund und Simon haben in den vergangenen Jahren einige solcher
halblangen Dokumentarfilme gemacht „über das Ende des Faschismus und die
langen Schatten, die er auf lokaler Ebene wirft“, so Rotermund: 2016
drehten sie „Den Nazis ein Dorn im Auge“ über das Israelitische Krankenhaus
Hamburg. 2018 folgte „Die Alsterdorfer Passion“ über die evangelischen
„Alsterdorfer Anstalten“, in denen während des Nationalsozialismus
Euthanasieverbrechen begangen wurden – aber auch bis in die 1980er-Jahre
noch dort Untergebrachte menschenunwürdig behandelt.
Rotermund war 1978 einer der Gründer der Medienwerkstatt Freiburg, die sich
als Teil einer linksalternativen politischen Bewegung verstand und
„Gegenöffentlichkeit“ schaffen wollte. 1991 begann er als freier Autor und
Produzent zuerst in Freiburg und von 1998 an in Hamburg zu arbeiten, und
mit seinen Projekten bleibt er der damaligen Philosophie der
Medienwerkstatt treu. Seine Filmprojekte fördert die Landeszentrale für
Politische Bildung zwar, es sind aber „freie Produktionen“, so Rotermund,
die er selbst vertreibt. Über seine Homepage lassen sich DVDs bestellen,
die für den privaten Gebrauch 25 Euro und mit dem Recht auf öffentliche
Vorführung 50 Euro kosten.
20 Feb 2020
## LINKS
[1] /Hamburgs-vergessenes-Chinesenviertel/!5550428
[2] /Archiv/!s=&Autor=Lars+Amenda/
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
NS-Opfer
NS-Verbrechen
St. Pauli
Hamburg
Dokumentarfilm
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Kolumne Chinatown
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