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# taz.de -- Mahnwache gegen Obdachlosigkeit: „Zählen ist nicht solidarisch“
> Bei der Berliner „Nacht der Solidarität“ stehe die Statistik im
> Vordergrund, kritisiert Nicole Lindner vom „Wohnungslosenparlament in
> Gründung“.
Bild: Artikel 28, Verfassung von Berlin: „Jeder Mensch hat das Recht auf ange…
taz: Frau Lindner, Sie veranstalten gerade und noch bis Donnerstag Abend
eine Mahnwache gegen Obdachlosigkeit vor dem Roten Rathaus. Warum genau
jetzt?
Nicole Lindner: Wir haben das auch voriges Jahr um diese Zeit gemacht. Wir
kämpfen gegen Obdachlosigkeit, Leerstand von Wohnungen, den Mietenwahnsinn
überhaupt. Anlass in diesem Jahr ist die Zählung der Obdachlosen und dass
sich einfach nichts zum besseren geändert hat. Im Gegenteil: Es gibt keine
offenen U-Bahnhöfe mehr im Winter, es gibt immer mehr „defensive
Architektur“ in der Stadt, damit sich die Obdachlosen nicht einmal auf die
Bänke legen können.
Sie meinen die neuen BVG-Bänke in den Bushalten?
Ja, auch. Dabei steht in Artikel 28 der Landesverfassung, dass es eine
Fürsorgepflicht des Landes Berlin gibt und jeder das Recht auf eine Wohnung
hat. Aber es sind rund 40.000 Obdachlose in Wohnheimen untergebracht, davon
sind 57 Prozent länger als ein Jahr dort, Stand 31.12. 2017. Diese Menschen
müssten eigentlich in richtigen Wohnungen untergebracht werden.
Wenn Sie sagen, Anlass ist die „Nacht der Solidarität“ der
Obdachlosenzählung: Was kritisieren Sie daran?
Wir hätten es besser gefunden, wenn es wie in Paris bei der Zählung
gelaufen wäre: dass nicht die Zählung an sich, die Statistik, die
Solidarität ist, sondern eine Woche lang solidarische Aktionen gelaufen
wären und die Zählung nebenbei passiert wäre. So war es in Paris. Hier
laufen 3.000 Menschen beziehungsweise 600 Gruppen nachts durch die Stadt
und zählen – da kriegen die Leute ja Angst! Und die Zähler gehen noch nicht
einmal in die Parks, da wo sich mitten in der Nacht viele Obdachlose eher
aufhalten!
Es wird deswegen nicht gut gezählt werden, meinen Sie?
Genau. Ich weiß auch, dass eine solche Statistik notwendig ist, auch zur
Prävention. Aber zählen allein ist nicht solidarisch.
Was fordern Sie konkret?
Als erstes: Wie in Frankreich bis zum 28. März Zwangsräumungen über den
Winter aussetzen. Noch wichtiger wäre es, den Menschen vor der
Zwangsräumung effektiv zu helfen. Dann der Rückbau aller „defensiver“
Architektur im Stadtraum, die ist menschenfeindlich, das macht man bei
Tauben. Man muss die Leerstände beseitigen, es gibt so viele leere Häuser
und Wohnungen in Berlin. Da könnte man nach dem Allgemeinen Sicherheits-
und Ordnungsgesetz von Berlin auch beschlagnahmen! Und Berlin sollte zum
Wohnungsnotstandsgebiet erklärt werden.
Was bringt das?
Damit hätten Senat und Abgeordnetenhaus eine ganz andere Handhabe bei dem
Thema, so wie beim Klimanotstand. Der Mietenwahnsinn ist ja auch eine
Krise. Wir kennen Leute, die haben Arbeit und schlafen dort, weil sie sich
keine Wohnung leisten können. Noch etwas müsste die Politik tun: Wir kennen
auch Menschen, die 2 bis 3 obdachlose Leute bei sich zu Hause unterbringen.
Wenn der Vermieter das rausbekommt, könnten die ebenfalls ihre Wohnung
verlieren. Es müsste doch möglich sein, sich solidarisch zu zeigen, ohne
selbst Repressalien erleiden zu müssen.
Ihre Mahnwache wird ja veranstaltet vom „Wohnungslosenparlament in
Gründung“: Was ist das, wer steckt dahinter?
Das Wohnungslosenparlament ist eine Arbeitsgemeinschaft vom AK Wohnungsnot.
Dieser AK wiederum ist ein Zusammenschluss von Trägern der
Wohnungslosenhilfe, etwa Paritäter oder Diakonie. Das Parlament wurde 2015
gegründet, um Wohnungslosen die Möglichkeit zu geben, gehört zu werden und
selbst aktiv zu werden. Aber es ist schwer, Wohnungs- und Obdachlose dazu
zu motivieren, regelmäßig zu kommen. Es ist eine aktuell Wohnungslose
dabei, die anderen sind ehemalige oder Symphatisanten und Unterstützer. Wir
sind bis dato eher ein Aktionsbündnis.
Sie selber sind auch keine Betroffene?
Ich musste mal vor Jahren zu meinen Eltern zurückziehen, sonst wäre ich
auch wohnungslos geworden. Ich bin aktiv bei der Mieterpartei, begleite
Leute zu Gerichtsterminen. Dadurch lernt man viele schlimme Schicksale
kennen.
Mittwoch, 29.1.20, 14 Uhr, bis Donnerstag, 30.1.20, 22 Uhr, Mahnwache am
Roten Rathaus für die Einklagbarkeit von Artikel 28 der Berliner
Landesverfassung. Veranstalter: ttwoch, 29.1.20, 14 Uhr, bis Donnerstag,
30.1.20, 22 Uhr, Mahnwache am Roten Rathaus für die Einklagbarkeit von
Artikel 28 der Berliner Landesverfassung. Veranstalter:
Wohnungslosenparlament in GründungWohnungslosenparlament in Gründung
29 Jan 2020
## AUTOREN
Susanne Memarnia
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Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
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