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# taz.de -- Die Wahrheit: Überall Schleim, Schleim überall
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (93): In der glitschigen
> Zone des Lebens gibt es kein schleimloses Lebewesen.
Bild: Die Natur schleimt sich gerne ein: Glibber ist allgegenwärtig
Schnecken bewegen sich auf ihrem Schleim fort, der für sie ein Gleitmedium
ist. Es gibt jedoch auch einen „intelligenten Schleim“, der Eigenschaften
von Tieren und Pilzen besitzt, aber weder dies noch das ist, sondern ein
„Einzeller mit Persönlichkeit“, wie einige Biologen den Schleimpilz nennen.
Auf Waldböden oder Totholz sieht er aus wie Erbrochenes. Trifft er auf
einen Artgenossen (es gibt fast 1.000 Arten, sie bilden ein eigenes Reich
von Organismen, einige gelten sogar als Delikatesse), verschmilzt er mit
ihm. Zusammen können sie sich schneller bewegen.
„Auf der Suche nach Nahrung streckt er Ausläufer aus, wie Arme. Je größer
er ist, desto mehr Arme kann er ausstrecken,“ heißt es auf swr.de. Seine
Verschmelzung bezeichnet Die Zeit als „die simpelste Form von Sex“, auch
die Kerne der beiden Einzeller verschmelzen.
„Alle acht Stunden teilen sich nun dessen Zellkerne weiter, ohne dass sich
die Zelle selbst teilt. Sie wird größer und produziert Schleim.“ Der gut
erforschte Schleimpilz Physarum polycephalum hat laut wissenschaft.de nicht
zwei, sondern dreizehn Geschlechter. „Jeder dieser Schleimpilze kann sich
mit jedem Geschlecht paaren, außer seinem eigenen.“ Französische Forscher
zählten 720 mögliche Paarungsvarianten.
Der Schleimpilz ist zunächst eine „soziale Amöbe“, die sich von Bakterien
ernährt. Bei feucht-warmem Wetter klettert sie auf Gräser und Baumstämme,
wo sich ihr Schleim zu Stielen und Fruchtkapseln verhärtet und aufrichtet,
während ihre Zellkerne sich in Sporen verwandeln, die für eine neue
Amöbengeneration freigesetzt werden und sich dann eigenständig Nahrung wie
zum Beispiel Pilze suchen.
Im Labor ernährt man Schleimpilze mit Haferflocken. Sie können lernen und
Probleme lösen und sind sehr farbig. Daran kann man die Arten
unterscheiden. Aber da sie nicht sehen können, fragt man sich, was die
unterschiedlichen Farben sollen, vielleicht wieder einmal eine der
berühmten Launen der Natur.
## Geruchsloses Ejakulat
Der Künstler Alexander Krohn berichtet in seinem Buch „Px“ (2020) von der
Autorin Charlotte Krafft, die auf einer Veranstaltung einen Prosatext über
ihr Scheidensekret vorlas, das sie „Muschischleim“ nannte und selbst
gekostet haben will.
Ich sprach den Gynäkologen Dr. Salm-Schwader darauf an. Er meinte:
Milliarden Männer haben ihn wahrscheinlich gekostet. Viele könnten gar
nicht mit dem sogenannten Cunnilingus aufhören, denn dieser Schleim mache
die Schamlippen viel weicher als die Mundlippen, auch wenn er anfänglich
kurz nach Urin schmecke. Und auch wenn diese Praktik oft in eine weibliche
Ejakulation gipfelt, die dem Mann einen Schwall farb- und geruchsloses
Ejakulat ins Gesicht spritzt.
Erst vor Kurzem gab es darüber einen Streit zwischen männlichen und
weiblichen Wikipedia-Autoren: Erstere behaupteten in ihrem Eintrag, die
„weibliche Ejakulation“ sei ein Mythos, letztere wussten es besser – und
korrigierten den Eintrag, woraufhin die ersteren die Korrektur wieder
löschten. Hin und her, schließlich setzten sich die Frauen mit ihrer
Eintragsversion durch.
Aber, so Salm-Schwader, als Mediziner würde man ja vor allem zwischen dem
„Scheidensekret“ und der „vaginalen Lubrikation“ unterscheiden. Ersteres
bestehe aus Epithelzellen, der Kapillarflüssigkeit der Scheide sowie
Scheidenflora, Drüsensekret aus dem Gebärmutterhals und
Stoffwechselprodukten. Es sei weißlich cremig und habe einen pH-Wert von
3,8 bis 4,4. Pro Tag würden etwa 5 Milliliter gebildet.
Die Lubrikation sei dagegen ein Vaginalsekret aus zwei Drüsen, das durch
sexuelle Erregung entstehe und einen Geruch ausströme, der das sexuelle
Begehren erhöhe, auch wenn wir Menschen nicht besonders gut riechen können.
Dieser Schleim bestehe aus 52 verschiedenen Substanzen. Wenn eine Frau
sexuelle Erregung verspüre, würden die Wände der Vagina anschwellen und
eine klare Flüssigkeit über zig kleine Gänge im Vaginalgewebe absondern.
Diese Flüssigkeit sei zuerst innerhalb der Vagina zu finden, bei weiterer
Erregung begänne sie jedoch, durch die Öffnung zwischen die kleinen
Schamlippen zu fließen und auch die Klitoris zu nässen.
## Lubrikation statt Silikon
An den kleinen Schamlippen beziehungsweise auf dem Scheidenvorhof säßen
zudem die Bartholinschen Drüsen, die auch Sekrete produzieren, die
zusätzlich befeuchten. So stünde es im Wikipedia-Eintrag „Lubrikation“, an
dem er, Salm-Schwader, nicht ganz unbeteiligt gewesen sei. Die Lubrikation
gelte im übrigen für alle weiblichen Säugetiere, wenn auch bei den
nicht-domestizierten nur periodisch.
Ich erfuhr, dass zu seinen Patienten nicht wenige Prostituierte gehören
würden. Von einigen wisse er, dass sie sich gern von Freiern ihre Möse
lecken lassen, gegen Aufpreis versteht sich, denn aufgrund der dadurch bei
ihnen hervorgerufenen Lubrikation, vermischt vielleicht mit männlichem
Speichel, könnten sie sich ihr Gleitgel sparen, das ihrer Vagina wegen
seines Silikongehalts auf Dauer nicht guttue, weil sie dann selbst bei
sexueller Erregung irgendwann trocken bleiben würden. Dies sei an sich erst
bei älteren Frauen der Fall.
Salm-Schwader hatte solche Patientinnen gehabt, die davon überzeugt waren,
dass ihr Mann sie wegen einer Jüngeren verlassen hatte, weil die eine
nassere Muschi als sie hatte. Das sei aber Unsinn, weil durch Lecken jede
Muschi automatisch nass werde.
## Knochentrockene Männer
Ende 2019 veröffentlichte die Wissenschaftsjournalistin Susanne Wedlich
„Das Buch vom Schleim“. Es reicht von der einstigen „Jagd auf den
Urschleim“ und den „Meerschleim“ bis zu „Gaia und ein Echo in Gel“. D…
Biologin thematisiert darin neben dem Abscheu vor Schleim den neonfarben
leuchtenden „Slime“, ferner „Hydrogele, Gelata und Glibber“ sowie
bakterielle „Schlicke, schleimige Speichelflüssigkeit, glitschige Biofilme
und Zellschleim (Protoplasma)“.
Die frühen Mehrzeller wie etwa Quallen waren noch fast zur Gänze schleimig,
aber der „König allen Glibbers“, der „Schleimaal“, lässt mit seinem
raffinierten Schleim bei Gefahr das Wasser um ihn herum zu einer „zähen
Gallerte erstarren“. Umgekehrt wurde, um den Reibungswiderstand in
Feuerlöschschläuchen zu mindern, ein künstlicher Schleim entwickelt.
Wahrscheinlich gibt es keine gänzlich schleimlosen Lebewesen, aber was ist
Leben überhaupt? Schleim? Der Wissenschaftsautorin Wedlich geht es erst
einmal um „das Phänomen seiner Vielfalt“. Sie wundert sich über den
„Ekel“-Autor Jean-Paul Sartre, den die weibliche Schleimproduktion
regelrecht abstieß, und erwähnt Klaus Theweleits Analyse der faschistischen
Männer vom Schlage Ernst Jüngers, denen bei einem Sturmangriff die Angst
„schleimig“ hochkriecht. Ansonsten sind diese soldatischen Männer
knochentrocken (nur Frauen sind nach der alten Säftelehre, die auch die
ihre ist, feucht und weich). Jeglichen Schleim finden sie ekelerregend.
Um es mit den Worten des DDR-Dramatikers Heiner Müller zu sagen: „Ihnen ist
das Mißgeschick passiert, töten, aber nicht ficken zu können.“
10 Feb 2020
## AUTOREN
Helmut Höge
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