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# taz.de -- Die Wahrheit: Die Verweißlichung der Welt
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (90): Der neue Trend
> unter den Tieren geht verstärkt in Richtung Albino.
Bild: Schneeflöckchen, Weißböckchen: Albino-Hirsch im Grugapark, Essen
In der Tierwelt gibt es den Trend, in Städten zu leben – mit
„Duldungsstatus“ – oder zu wandern, also invasiv zu werden. Neuerdings gi…
es noch einen Trend: Albino-Werden. Es gibt kaum noch eine Tierart, bei der
nicht Albinos geboren werden. Einige Forscher erklären das wohlfeil mit der
Klimaerwärmung. So beschäftigen sich gleich zwei Studien mit dem Einfluss
des veränderten Klimas auf Wildschafe: Früher war es günstig, ein schwarzes
Schaf zu sein. Das dunkle Fell speicherte mehr Sonnenwärme, so brauchte das
Schaf weniger Futter. Inzwischen bietet das Dunkelsein keinen großen
Vorteil mehr, mit der Folge, dass sich die hellen Schafe durchsetzen.
Die Klimaerwärmung ist ebenso wie die Albinisierung (auch die von Menschen)
ein Phänomen des Anthropozäns. Im Gegensatz zu den hellen Schafen leben die
Albinos allerdings nicht so lange und leiden unter ihrem sogenannten
Gendefekt. „Schuld an ihrem Aussehen ist ein fehlendes Gen“, heißt es auf
weltderwunder.de. „Es produziert normalerweise den Hautfarbstoff Melanin.
Ohne das Gen kommt es zu einer Stoffwechselstörung der Pigmentzellen,
außerdem haben Albinos eine hohe UV-Empfindlichkeit. Nur wenn beiden Eltern
das verantwortliche Gen fehlt, können Albino-Kinder gezeugt werden.“ Die
„Krankheit“ kann nicht geheilt werden.
Mangels Melanin müssen Albinos die Sonne meiden und haben ein
beeinträchtigtes Sehvermögen. Außerdem bekommen sie leicht Hautkrebs. Für
in Afrika geborene menschliche Albinos besteht zudem die Gefahr, dass man
sie umbringt, weil sie Unglück bringen. Oder weil Teile ihres Körpers Glück
bringen. Europäer halten das für Aberglaube, es gibt jedoch Hinweise, dass
die Albinos als Ersatz für weiße Europäer herhalten müssen. Einigen gelingt
es neuerdings im Showgeschäft, zum Beispiel als Model Fuß zu fassen.
Den albinisierten Tieren geht es nicht viel besser: „Im Tierreich führt die
weiße Färbung zu erheblichen Einschränkungen der Fitness“, schreibt
lernhelfer.de. Auch sie werden teilweise aus sozialen Zusammenhängen
verstoßen, zudem werden sie mit ihrer Farbauffälligkeit leicht zur Beute
von Raubtieren. Auch Trophäenjäger schießen gerne Albinos, bei den meisten
Menschen sind sie jedoch eine Attraktion. „Der Markt wird derzeit
überschwemmt mit ihnen“, heißt es auf Planet Zoo, in Österreich eröffnete
bereits ein „Weißer Zoo“ – nur mit Albinos. Aquarianern wird geraten,
Albinos sofort nach der Geburt von den Eltern zu trennen, da diese sie
sonst auffressen. Als Züchtungsziel sollte eine solche „Qualzucht“
eigentlich verboten sein.
## Zeichne einen Waldkaribu!
Es gibt Elch- und Karibu-Albinos in Kanada, Koala- und Känguru-Albinos in
australischen Zoos, die dort täglich mit Sonnencreme behandelt werden
müssen. Es gibt Albino-Wale im Pazifik, Panda- und Tiger-Albinos in China
und in Europa Bären-, Wolf-, Wildschwein-, Hirsch- und Reh-Albinos sowie
albinisierte Störe (deren Kaviar weiß ist). Im Internet findet man
Vogelspinnen- und Maulwurf-Albinos. Als unter der Erde lebende Tiere hätten
letztere wie die Grottenolme und Nacktmulche schon längst auf Pigmente
verzichten können, jetzt bekommen die Weibchen gelegentlich Albinos. Es
gehört mit zur allgemeinen Verweißlichung der Welt. Das Anthropozän ist
also durchaus eine Herrschaft der weißen alten Männer, die bis in alle
Ewigkeit und auf allen Planeten den „Fortschritt“ sichern wollen. Alles
muss verweißlicht werden.
Genetikern der Universität von Georgia gelang es, mit der Genschere
Crispr/Cas9 in 146 Eizellen bei 21 Eidechsenweibchen eine Genmutation
einzuschleusen, die die Anolis-Echsen zu Albinos machte. „Das Überraschende
jedoch: ‚Etwa die Hälfte dieser mutierten Echsen hatte die veränderte
Genvariante sowohl im mütterlichen wie im väterlichen Allel. Vier der Tiere
waren daher echte Albinos mit weißer Haut und rosa Augen, die restlichen
fünf waren heterozygot und daher trotz einer mutierten Genvariante im
Erbgut normal gefärbt‘“, berichtete der Teamleiter auf wissenschaft.de. Von
einer Gen-Mutation auszugehen, ob künstlich oder zufällig entstanden,
reicht nicht zum Verständnis des massenhaften „Albino-Wunders“.
Der vor der antigenetischen Politik des „Lyssenkoismus“ in der Sowjetunion
nach Sibirien ausgewichene Genetiker Dimitrij Beljajew fing 1959 an, auf
einer Pelztierfarm Domestikationsversuche mit Silberfüchsen durchzuführen.
Er wollte beweisen, dass man „soziale Intelligenz“ und Zahmheit (die den
Tierpflegern die Arbeit erleichtert), züchten kann. Einzig indem man den
jeweils zutraulichsten Fuchs eines Wurfs weiter vermehrt, d. h. ohne
Kontakt mit ihm aufzunehmen und trotzdem eine „Selektion auf Kommunikation“
durchzuführen. Nach 35 Generationen und 45.000 Silberfüchsen war Beljajew
am Ziel: Die Füchse waren domestiziert! Aber sie hatten sich körperlich
verändert: Sie hatten Schlappohren, bellten, wedelten mit dem Schwanz und
bekamen weiße Flecken – wie so viele Haus- und Nutztiere: von den weißen
Labortieren (Mäuse, Ratten) über Hunde und Katzen bis zu den Schlachtvögeln
und Rindern.
## Weiße Flecken gehen nicht mehr raus
Als Pelztiere waren die sibirischen Füchse mit ihren weißen Flecken nicht
mehr zu gebrauchen. Ludmilla Trut, die Assistentin von Beljajew, der 1985
starb, führte die Zucht weiter, nach dem Zerfall der Sowjetunion mit
amerikanischen Geldern. Die zahmen Füchse werden nun in den USA als
Haustiere vermarktet, wie sie in ihrem Buch „Füchse zähmen“ (2018)
schreibt. Dort heißt es: „Gern hätte Beljajew sein
populärwissenschaftliches Buch ‚Ein neuer Freund für den Menschen‘
geschrieben.“ In einem Clip auf YouTube führt ihre Doktorantin Irina
Mukhamedshina einen der Füchse an der Leine: „This Siberian fox can be your
next pet“ (für 5.000 Dollar).
Ist das der Beginn eines anthropozentrisch injizierten Albinismus? fragte
ich einige Biologie Studierende, aber die Albinos waren ihnen noch kein
Thema. Wohl aber Füchse. Nicht nur sind das die beliebtesten Wildtiere in
der Stadt, auch in den Wäldern passiert es einem Forstangestellten
inzwischen öfter einmal, das sich ihm ein kleiner Fuchs aus einem Wurf
nähert und die beiden sich fortan näherkommen, so dass sich eine z. T.
jahrelange Freundschaft entwickelt. Es gibt darüber bereits mehrere Bücher
von beglückten Forstleuten. Die Füchse bekommen keine weißen Flecken, aber
vielleicht zahme Nachkommen.
Der Albinismus kann im Übrigen auch Pflanzen betreffen – vor allem
Cannabis, wie zamnesia.org berichtet. „Bei Pflanzen ist er gekennzeichnet
durch einen teilweisen Verlust von Chlorophyll (die Pflanzen ihre grüne
Färbung verleihen) sowie von roten und gelben Pigmenten. Dieser Mangel an
Chlorophyll beeinträchtigt ihre Fähigkeit zur Photosynthese.“
16 Dec 2019
## AUTOREN
Helmut Höge
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Tiere
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