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# taz.de -- Die Wahrheit: Die kleinen Nymphen der Seerosen
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (91):
> Wasserschmetterlinge kennen sich mit Unterwassergeburten hervorragend
> aus.
Bild: Wäre auch ein geiler Bandname: „Aquatic Moths“.
Es gibt zehnmal mehr Nachtfalter als Tagfalter, zu den Ersteren zählen die
Wasserschmetterlinge. „Die kleinen Nymphen der Seerosen prägten mich zum
Freiland-Biologen“, schreibt der Ökologe Josef Reichholf in seinem Buch
„Schmetterlinge“ (2018). Auch seine Doktorarbeit verfasste er über
Wasserschmetterlinge.
Mit dem lateinischen Namen Nymphula nymphaeata (kleine Nymphe) ist der
Seerosenzünsler gemeint, der in und an Kleingewässern lebt. Bei seiner
Beobachtung an Frühsommerabenden fühlte Reichholf sich „großartig. Zu
Beginn der Dämmerung fingen die Männchen mit ihren Suchflügen an.“
Reichholf nahm ein in seinem Aquarium geschlüpftes Weibchen und setzte es
in einen Mini-Käfig, den er auf ein Styropor-Floß stellte, das er ins
Wasser stieß. Von seinem „Lockstoff“ angezogen, kamen die Männchen in
Scharen. Als er das Weibchen freiließ, erfasste eines der Männchen es zur
Kopulation „und gab es nicht mehr frei“.
Am folgenden Tag beginnt das Weibchen mit dem Suchflug: Es sucht heile
Seerosenblätter, zur Not auch Blätter von einigen anderen Wasserpflanzen,
auf deren Unterseite es – im Wasser – dann die Eier ablegt: „100–180 in
einem Gelege“. Nach der Eiablage stirbt es, die Männchen leben ein paar
Tage länger. Die Raupen ernähren sich von den Blättern. Dann schneiden sie
sich aus einem ein Stückchen heraus und bedecken sich damit,
wasserunlösliche Seidenfäden halten ihren „Mini-Köcher“ fest. Sie atmen
weiter im Wasser durch die Haut, häuten sich und bauen einen geschlossenen
größeren Köcher. Erst nach der dritten Häutung stecken sie ihren Kopf aus
dem Wasser, um zu atmen. Ihre Köcher füllen sich mit Luft. „Jetzt verläuft
der Austausch der Atemgase auf die normale Weise, aber mit einer
bedeutenden Besonderheit: Steigt der Gehalt an Kohlendioxid in der
Luftblase, die den Raupenkörper umgibt, tritt ein Teil davon ganz von
selbst ins Wasser über“, wo es sich auflöst. Den dadurch entstehenden
Unterdruck gleicht Sauerstoff aus, der aus dem Wasser in die Lufthülle der
Raupe eindringt.
## Im dritten Larvenstadium
Ab dem dritten Larvenstadium befrisst die Raupe die Schwimmblätter von der
Oberseite, „dabei nimmt sie deren Wachse auf … Mit dem Wachs in der Nahrung
hängt der Wechsel der Raupen vom benetzbaren zum unbenetzbaren Zustand
zusammen.“ Um sich zu verpuppen, kriechen sie mitsamt ihrem mit Luft
gefüllten Köcher am Stängel der Wasserpflanzen abwärts, in 20 bis 30
Zentimeter Tiefe beißen sie kleine Löcher in den Stängel und spinnen den
Köcher darin fest. Aus diesen Löchern bekommen die Puppen den Sauerstoff,
auch hier durch einen Unterdruck. Am eindrucksvollsten ist für Reichholf
der Moment, wenn der Schmetterling aus der Puppe schlüpft: Er drückt die
nach oben gerichtete Seite seines Köchers auf und treibt dann mit der
Luftblase nach oben, „dort platzt die Blase … Getragen von der
Oberflächenspannung des Wassers sucht der Schmetterling mit tastenden
Beinbewegungen nach dem nächsten Blatt“, auf das er kriecht und die Flügel
aufpumpt, „bis sie voll entfaltet sind“. Dann fliegt er ins nächste
Pflanzendickicht am Ufer, wo er mit dem Kopf nach unten landet.
Manchmal gibt es im Sommer eine zweite Generation, die den Winter
überstehen muss. Dazu verwandeln sich „die noch vom Wasser benetzten Raupen
im Herbst nicht ins dritte Stadium“ – der Umwandlung von der Haut- zur
Tracheenatmung – „sondern sie kriechen ohne Köcher“ einen möglichst dic…
Stängel hinunter und beißen in etwa 30 Zentimeter Tiefe ein Loch hinein, in
das sie sich „in gehstockartig gekrümmter Haltung zurückziehen“.
Bis April/Mai harren sie dort aus, dann krabbeln sie nach oben und fressen
von den neuen Blättern. „Das versorgt sie mit dem nötigen Wachs für die
Umwandlung in den wasserabstoßenden Zustand.“ Reichholf fand weder in ihren
natürlichen Habitaten noch in seinem Aquarium Ausfälle in der Entwicklung,
was er sich damit erklärt, dass sie im Wasser keine Parasiten haben, die
bei den an Land lebenden Schmetterlingen „zu den Hauptfaktoren gehören, die
ihre Häufigkeit und Bestandsentwicklung bestimmen“.
## Spitzpaddelige Gebilde
Es gibt mehrere Arten in der Kleinschmetterlingsfamilie der Zünsler (der
Seerosenzünsler ist die größte Art, er wird etwa 30 Millimeter groß). „Al…
verfügen sie über besondere Anpassungen, die im Extremfall von ‚Acentropus
niveus‘ sogar zu einem dauerhaften Wasserleben geführt haben.“ Man stelle
sich vor: ein winziger Schmetterling, der schwimmt und zwischen den
Unterwasserpflanzen an den Ufern lebt. Wassermotten („Aquatic Moths“) nennt
man sie auch. Sie atmen durch die Haut und verpuppen sich auch unter
Wasser. Den Weibchen sind die „Flügel zu spitzpaddeligen Gebilden verkürzt�…
und sie haben „Schwimmborsten“ an den Beinen, „damit ‚fliegen‘ sie un…
Wasser umher“.
Nach dem Schlüpfen aus ihrer Puppe streben sie der Wasseroberfläche zu und
stecken die Spitze ihres Hinterleibs heraus, mit dem sie aus Drüsen einen
Duftstoff verströmen, der die geflügelten Männchen anlockt: „Bei der
Paarung werden sie vom größeren Weibchen halb ins Wasser gezogen, aber ihre
Flügel verhindern, dass sie in die Tiefe gezogen werden.“ Nach der
Samenabgabe löst sich das Männchen und fliegt davon, während das Weibchen
tiefer ins Wasser „kriecht und paddelt, um dort eine geeignete
Wasserpflanze für die Eiablage“ zu finden.
Von Jens Esser, dem Vorsitzenden der Berliner Entomologen-Gesellschaft
„Orion“, erfuhr ich anlässlich einer Exkursion in das „Schmetterlingshau…
der Naturschutzstation Marienfelde, dass es eine kleine Schlupfwespe, mit
schwarzem Körper und rötlichen Beinen (Namen vergessen), doch geschafft
hat, Raupen der Wasserschmetterlinge zu parasitieren. Sie kriecht an den
Stängeln unter Wasser, durchsticht deren Köcher und injiziert ihnen ihre
Eier.
## Der Gärtner als Feind
Die Seerosenzünsler haben noch weitere Feinde: u. a. die Gärtner. Ein
Interneteintrag über diese Wasserschmetterlingsart rät ihnen: Die Raupen am
besten mechanisch, durch Absammeln, rechtzeitig zu entfernen, damit die
schönen Blätter der Seerosen nicht allzu beschädigt werden. Eine weitere
Gefahr besteht darin, dass ihr Kleingewässer im Sommer austrocknet und dass
die Futterpflanzen nicht für alle reichen. Ihnen begegnen die
Seerosenzünsler laut Reichholf indem ihr „Ausbreitungsverhalten sehr
ausgeprägt ist“ – das heißt ihre „Neigung zum Abwandern“.
Er fand Raupen der „Acentropus niveus“ vor allem an „Kanadischer
Wassserpest“, die es früher sehr häufig in den hiesigen Gewässern gab. In
den USA und Kanada ernähren sich die Raupen in den dortigen Seen ebenfalls
gerne von dieser wuchernden Pflanze und sind damit in gewisser Weise
nützlich. Der amerikanische Nachtschmetterlingsforscher Asher E. Treat
klagte 1955 in den Lepidopterists News, dass man die interessanten
flugunfähigen Weibchen in Europa schon lange studiert habe, bei ihm auf der
anderen Seite des Atlantiks gäbe es aber leider nur „Acentropus niveus“,
bei denen beide Geschlechter fliegen können.
30 Dec 2019
## AUTOREN
Helmut Höge
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