# taz.de -- Die Wahrheit: Rot wie Menstruationsblut | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (94): Füchse werden | |
> erstaunlich zahm und bekommen dabei ganz runde Gesichter. | |
Bild: Füchse lassen sich zwar zähmen, aber nur ungern an die Kette legen | |
Die Psychoanalytikerin und Anarchistin Goldy Parin-Matthey engagierte sich | |
erst im Spanischen Bürgerkrieg und dann als Ärztin bei den Tito-Partisanen, | |
wo auch ihr Mann, der Ethnopsychoanalytiker Paul Parin, arbeitete, jedoch | |
in einem anderen Lazarett. | |
1946 schrieb sie ihm: „Weißt Du, mit wem ich gestern Nacht geschlafen habe? | |
Rat mal, da kommst Du nicht drauf, selbst mit aller Psychologie nicht – ich | |
hab mit einem echten, lebendigen, jungen Fuchs geschlafen. O Paul, er ist | |
so schön, ein edles wildes Tier mit einer so zarten Schnauze u. | |
goldbraunem, weichen Fell. Er ist 2 Monate alt u. noch ganz weich u. trinkt | |
nur Milch. Um ihn auf die Freiheit vorzubereiten, hab ich ihm ein Huhn | |
erstanden, damit er es lernt, Hühner zu fangen, wie es seine Natur ist.“ | |
„Nachdem sich nun aber alle im Lazarett mit dem Huhn identifizierten, nahm | |
ich meinen Fuchs in mein Zimmer, wo er hauste. Es ist nicht gerade leicht, | |
mit einem Raubtier in einem kleinen Zimmer zusammenzuwohnen, aber ich war | |
sehr glücklich. Er ist wohl in füchsischer Schläue entsetzlich eifersüchtig | |
auf Dich, denn er hat sofort das Kleid, das Du mir geschickt hast, am Saum | |
zerfetzt u. zerbissen, u. wie der mit Deinen Zeitschriften gehaust hat – | |
Schreck o Graus, er packte in voller Wut eine nach der anderen u. zerrte | |
sie unters Bett.“ | |
## Anthropozentrische Linke | |
Nachdem er seinen Transportkasten zerbrochen und eine Fensterscheibe | |
zerschlagen hatte, willigte Goldy Parin-Matthey aber doch ein, ihn wieder | |
anzuketten. Ein Patient hatte ihn mitsamt Kette der Ärztin geschenkt, und | |
sie hatte ihn davon sogleich befreit. Aber nun, „o Paul, kannst Du mir | |
nachfühlen, wie kläglich mir zumute ist, ich im wieder sauberen Bett u. er | |
in Ketten im Schuppen. Aber lange bleibt er nicht dort. Zuerst muß ich ihn | |
noch durch viel Fleischzufuhr in seinen Gierig- und Füchsigkeiten mehr | |
bestärken, auf dass er ein richtiger Raub- und Kampffuchs gegen alle | |
Mitglieder des menschlichen und tierischen Hühnerhofs werde.“ | |
Weder kam Paul Parin in seinen Antwortbriefen auf den Fuchs zu sprechen | |
noch erwähnte seine Frau ihn jemals wieder (siehe: Paul Parin, | |
„Beziehungsgeflechte“, 2019). Das hat mich nicht gewundert, insofern beide | |
– als Linke und Ärzte – natürlich hoffnungslos anthropozentrisch sind, al… | |
geradezu gierig, Menschen kennenzulernen, vor allem in Afrika. | |
Wobei Paul Parin, der fast sein ganzes Leben lang Tiere geschossen und | |
geangelt hat (als 13-Jähriger bekam er bei seinem ersten Schuss auf ein | |
Haselhuhn einen Orgasmus), so weit geht, dass er sich in seinem Buch „Die | |
Jagd – Licence for Sex and Crime“ (2018) angesichts der machtpolitisch | |
motivierten „verbrecherischen Taten“ des Mitkämpfers und Vertrauten von | |
Tito, Milovan Djilas, fragt, ob es für diesen „leidenschaftlichen Angler | |
nicht besser gewesen wäre, stattdessen der eigenen Leidenschaft Raum zu | |
geben und den flinken Forellen nachzustellen …?“ | |
## Tanzender Wüstenfuchs | |
Über ihre ethnopsychoanalytische Feldforschung bei den Dogon in Westafrika | |
veröffentlichten Paul Parin, Fritz Morgenthaler und Goldy Parin-Matthey | |
1963 ein Buch mit dem Titel „Die Weißen denken zu viel“. Darin ist mehrmals | |
von Wüstenfüchsen die Rede, die noch schöner als die hiesigen Rotfüchse | |
sind: kleiner, großohriger und sandfarben. | |
Der Wüstenfuchs spielt bei den Dogon eine spirituelle Rolle: Ihr Gott Amma | |
schuf die Erde, die dann seine Frau war, mit der er schlief, aber das | |
klappte nicht, „weil sein Glied gegen ihr Glied stieß, ihre Klitoris: ein | |
Termitenhügel, der aus der Erde ragt. Amma riß ihn aus, beschnitt damit die | |
Frau, und die Erde wurde folgsam ihrem Herrn. Aus der Unordnung der ersten | |
Schöpfung entstand Yurugu, der Wüstenfuchs.“ | |
Dieser, der die Zukunft voraussehen kann, tanzte vor Freude, als der erste | |
Sohn Gottes Inzest beging, indem er „der Mutter Erde den Faserrock raubte. | |
Durch diesen Inzest entstand die erste Menstruation. Die Frau fand den vom | |
Menstrualblut roten Faserrock, zog ihn an und tanzte heimlich damit“ – | |
zusammen mit dem Wüstenfuchs? | |
## Zutrauliche Blaufüchse | |
Ganz unspirituell werden diese Füchse, deren Bestand nicht bedroht ist, von | |
den Menschen Nordafrikas auch wegen ihres Fleisches und ihres Fells | |
geschätzt sowie laut Wikipedia „für touristische Schauvorführungen“ | |
gefangen. Den Wüstenfuchs nennt man auch Fennek, im Südharz hat sich ein | |
Rallyeteam so genannt, auf deren Internetseite heißt es: „Weil der Fennek | |
leicht zähmbar ist, wird er in Fallen gefangen oder aus seinem Bau | |
ausgegraben – und dann als Haustier gehalten.“ | |
Es gibt mehrere Arten, wilde Füchse zu domestizieren und ihnen dabei die | |
Angst vor Menschen „zu nehmen“. Einige setzen dabei auf die Gene, andere | |
auf Zuneigung und Vertrauen. | |
Schon 1959 hatte der sowjetische Genetiker Dmitri Beljajew mit | |
Domestikationsversuchen bei Blaufüchsen begonnen – auf Wunsch einer | |
sibirischen Pelztierfarm, der weniger ängstliche Füchse die Arbeit | |
erleichtern sollten. Nach 35 Generationen und 45.000 Blaufüchsen war | |
Beljajew am Ziel: Die Tiere waren zahm! | |
Er hatte stets die zutraulichsten weiter gezüchtet. Zuletzt hatten diese | |
sich – sozusagen im Nebeneffekt – auch wie die Hunde und andere Haustiere | |
körperlich verändert: Sie bekamen Schlappohren, bellten, wedelten mit dem | |
Schwanz zur Begrüßung und hatten weiße Fellflecken. Daneben besaßen sie | |
noch ein Merkmal, das bereits Konrad Lorenz bei domestizierten Tieren | |
aufgefallen war, nämlich „niedliche“ runde Gesichter. Auch noch im | |
Erwachsenenalter. Gleichzeitig wurde ihre Paarungsbereitschaft von der | |
Jahreszeit unabhängig. | |
## Fleckiges Modeshaustier | |
Seine älteste Mitarbeiterin, die Genetikerin Ludmila Trut, veröffentlichte | |
2018 ein Buch über die Geschichte dieses Züchtungsexperiments. Zwar konnten | |
die Tierpflegerinnen auf der Fuchsversuchsfarm leichter mit den Tieren | |
umgehen, aber mit ihren weißen Fellflecken waren sie nicht mehr als | |
Lieferanten wertvoller Pelz zu gebrauchen. Dafür wurden sie – in den USA – | |
zu neuen Modehaustieren und dementsprechend teuer. In einem Clip auf | |
YouTube führt Ludmila Truts Doktorandin Irina Mukhamedshina einen der | |
Füchse an der Leine durch die Stadt und will damit sagen: „This Siberian | |
Fox can be your next pet.“ | |
Charles Darwin bemerkte über die Füchse, die er auf den Falkland-Inseln | |
traf: Sie waren „derart zahm, dass sie aus der Hand fraßen“, weil sie die | |
Menschen dort 1833 noch nicht als Feind erlebt hatten. | |
Der Naturforscher Georg Wilhelm Steller, Erforscher von Alaska, hatte über | |
die später nach dem Expeditionsleiter Vitus Bering benannte Insel östlich | |
von Kamtschatka berichtet, wie ihnen die Neugier und Frechheit der | |
furchtlosen Polarfüchse dort zugesetzt hatten, sie stahlen und zerstörten | |
alles: „Wir beschäftigten uns sehr damit, Füchse zu schlagen; Herr | |
Plenisner und ich haben an dem Tag sechzig Stück teils mit der Axt | |
erschlagen, teil mit einer jakutischen Pama erstochen“, notierte Steller am | |
8. Dezember 1741. | |
In deutschen Städten werden die Füchse, wenn sie zutraulich geworden sind, | |
von den Stadtjägern erschossen. Sie sollen idiotischerweise Angst vor uns | |
Menschen haben. | |
24 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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