# taz.de -- Die Wahrheit: Auf seinen Scheren trägt er sie | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (87): Einsiedlerkrebse | |
> sind das wohl beste Beispiel für Symbiosen in der Fauna. | |
Bild: Manche Exemplare sind mutig, andere schüchtern | |
Im Bericht der CIA-Agentin Amaryllis Fox, die in Pakistan die Übergabe von | |
Atombomben in Kofferformat an al-Quaida verhindern wollte, heißt es über | |
ihre Familie, die sich am Küchentisch versammelte: „Unsere Einsiedlerkrebse | |
Freddie und Laura versteckten sich in ihrem Terrarium auf der Anrichte.“ | |
Die Krebse schützen ihren ungepanzerten Hinterleib mit einem leeren | |
Schneckenhaus, auf das sie gern eine Seeanemone pflanzen. Sie verteidigt | |
den Krebs mit ihren giftigen Tentakeln und er ernährt sie mit, indem er den | |
Meeresboden nach Aas aufwirbelt. Ihre Beziehung bezeichnet lernhelfer.de | |
als „das wahrscheinlich beste Beispiel für Symbiose“. Wenn der Krebs sich | |
eine neue Behausung gesucht hat, weil die alte zu eng geworden ist, berührt | |
er vorsichtig die Seeanemone, sie löst sich daraufhin vom Schneckenhaus und | |
er trägt sie auf seinen Scheren zum neuen. Eine seiner Scheren ist größer | |
als die andere, mit ihr kann er bei Gefahr die Öffnung des Schneckenhauses | |
verschließen. | |
Der norwegische Forschungsreisende Thor Heyerdahl berichtet in seinem Buch | |
„Fatu Hiva“ (1974), es handelt vom „Lebensexperiment“ seiner Frau und i… | |
auf einer Südseeinsel, dass sie einmal am Strand aufwachten, weil Tausende | |
von Einsiedlerkrebse, zum Teil so klein wie Reiskörner, die größten aber so | |
groß wie eine Kinderfaust, über sie hinwegkrabbelten. | |
Heyerdahl fragte sich, wie das „kleinste Geschöpf“ bereits weiß, dass es | |
sich schnell ein leeres Schneckenhaus „von geeigneter Größe“ suchen muss? | |
Dazu bemühte er, als Sohn einer darwinistisch gesinnten Mutter, „den leeren | |
Begriff ‚Instinkt‘“, wie seine Frau Liv diese „wissenschaftliche Tarnung | |
von Unwissen“ nannte. | |
## Was denken sich die Einsiedlerkrebse? | |
Die Suche nach einem neuen Schneckenhaus, bevor das alte bei der nächsten | |
Häutung zu eng wird, macht einen Großteil des Einsiedlerkrebs-Lebens aus, | |
und dass dabei einem ein passendes Haus gestohlen wird, ist nicht selten. | |
Am meisten Glück haben die Krebse, wenn sie ein Schneckenhaus, überzogen | |
mit Stachelpolypen, finden: „Deren Kolonien können den Gehäuseeingang des | |
Schneckenhauses erweitern, sodass der Krebs nicht umziehen muss“, erklärt | |
dazu beachexplorer.org. | |
Heyerdahl fragt sich, ob die Einsiedlerkrebse sich etwas dabei denken. Dazu | |
fällt dem Zoologen und Ethnologen die Dromia-Krabbe ein: „Sie weiß, dass | |
sie sich auf die Suche nach einem bestimmten Schwamm begeben muss, den sie | |
sammelt und auf ihrem Rückenpanzer anbringt.“ Dieser Schwamm wird gut | |
versorgt und schnell größer als die Krabbe selbst, so dass sie darunter | |
bald „vollkommen getarnt“ ist. Eine andere Krabbenart macht das selbe mit | |
„jungen Tangpflanzen“. | |
Die Einsiedlerkrebse, die das Forscherehepaar am Strand von Fatu Hiva | |
überfielen, hatten keine Seeanemonen oder ähnlich Korallenartiges auf ihren | |
Schneckenhäusern. „Was sie veranlasst haben mochte, uns die Nachtruhe zu | |
rauben, war schwer zu sagen. Wie Menschen waren einige von ihnen vermutlich | |
auf der Suche nach Nahrung, nach einem Partner für die Liebe oder nach | |
einer Wohnung.“ | |
## Geniale Gedanken, Instinkt, wildes Denken? | |
Die Heyerdahls hatten tagsüber ein altes Heiligtum durchstöbert, das Tabu | |
war. Eine solche Übertretung wird mit Unglück bestraft, versicherten die | |
Einheimischen ihnen. Dass dazu auch der Überfall der Einsiedlerkrebse | |
gehörte, zog der rational denkende Forscher jedoch nicht in Betracht. | |
Ihre Suche nach leeren Schneckenhäusern hält er für einen „genialen | |
Gedanken des Körperschutzes“. Das könnte man auch über ihre Symbiose mit | |
Seeanemonen sagen. Aber den Einsiedlerkrebsen dafür gleich „geniale | |
Gedanken“ zu attestieren und diese dann noch mit dem „leeren Wort | |
‚Instinkt‘“ in eins zu setzen, zeugt von einem Schwanken zwischen seiner | |
langweiligen naturwissenschaftlichen Ausbildung in Oslo und dem neuen | |
„Wilden Denken“ der Polynesier auf Fatu Hiva, wo sich das Forscherehepaar | |
1937 niederließ. | |
Der brasilianische Ethnologe Eduardo Viveiros de Castro sieht ihren | |
Zwiespalt heute so: Im Westen ist ein „Subjekt“ der herrschenden | |
„naturalistischen Auffassung“ gemäß – „ein ungenügend analysiertes O… | |
während in der animistischen Kosmologie der amerikanischen Ureinwohner | |
genau das Gegenteil der Fall ist: „Ein Objekt ist ein unvollständig | |
interpretiertes Subjekt.“ | |
## Sie waren nicht Opfer, sondern Täter | |
1947 ging Heyerdahl von der „experimentellen Ethnologie“ zur | |
„experimentellen Archäologie“ über und unternahm eine Expedition mit einem | |
Balsaholzfloß, benannt nach dem Inkagott „Kon-Tiki“: Von Peru aus 7.000 | |
Kilometer durch den Stillen Ozean bis zum Tuamotu-Archipel – um zu | |
beweisen, dass die Polynesier einst nicht, wie die Sprachforscher annehmen, | |
die Südseeinseln von Asien aus über Mikronesien und Melanesien besiedelt | |
hatten, sondern von der anderen Seite – von Peru aus: dem Humboldt-Strom | |
folgend und dem Passatwind voran. | |
Aber es geht hier um Einsiedlerkrebse, zuletzt um die, die Thor und Liv | |
Heyerdahl auf Fatu Hiva überfielen: Am nächsten Morgen sahen sie, dass | |
eigentlich etwas ganz anderes passiert war: Sie waren nicht die Opfer der | |
Krebse, sondern eher Täter – indem sie sich im Dunkeln mitten in eine | |
„übervölkerte Strandgemeinde“ zum Schlafen gelegt hatten. | |
## Riechvermögen im Übergangsstadium | |
Was bewegt die Einsiedlerkrebsforschung heute? Britische Wissenschaftler | |
fanden heraus, wie sie in den Proceedings der britischen Royal Society | |
schreiben: „Einsiedlerkrebse haben Charakter“ – es gibt unterschiedliche | |
Persönlichkeiten unter ihnen. Die Forscher hatten laut dem Spiegel an drei | |
Stränden Einsiedlerkrebse einem Verhaltenstest unterzogen: „Sie hoben die | |
Tiere kurz aus dem Wasser und imitierten so den Angriff eines Fressfeindes. | |
Dann legten sie die Krebse zurück auf den Sand und maßen die Zeit, bis | |
diese sich wieder aus ihrem schützenden Schneckenhaus wagten. Anschließend | |
brachten die Forscher die Krebse ins Labor, wo sie sie nach einigen Tagen | |
erneut dem Test unterzogen. Die Auswertung machte deutlich, dass bestimmte | |
Krebse bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zeigten: Einige waren eher mutig. | |
Sie brauchten weniger Zeit, um sich nach einer Schrecksituation wieder aus | |
ihrem Versteck zu wagen, als andere, eher schüchterne Vertreter ihrer Art.“ | |
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Neuroethologie | |
haben unterdes herausgefunden: „Das Riechvermögen der Krebse befindet sich | |
in einem frühen Übergangsstadium zwischen dem Leben im Wasser und auf dem | |
Land.“ Bei feuchter Luft verbessert es sich. | |
In evolutionärer Hinsicht scheint es ein Hin und Her zu geben: Otter und | |
Pinguine gehen ins Wasser (zurück), und Krabben gehen an Land. Es gibt | |
sogar schon eine Krabbe, die auf Bäumen lebt und sich von Kokosnüssen | |
ernährt – den „Palmendieb“. Die Seerechtsforscherin Elisabeth Mann Borge… | |
mutmaßte umgekehrt, dass unser „landgestütztes Dasein“ vielleicht nur eine | |
„Episode von kurzer Dauer“ sein wird. Was jetzt angesichts der | |
Klimaerwärmung allerdings etwas zynisch klingt. | |
4 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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