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# taz.de -- Körperflüssigkeiten: Dem Schleim auf der Spur
> In körperlichem Schleim entdecken Forschende wahre Powerstoffe. Sie
> könnten im Kampf gegen das Altern helfen und dabei, Arzneien zu
> entwickeln.
Bild: Der Mensch enthält circa 200 Quadratmeter schleimige Körperflüssigkeit…
Klar, schleimige Körperflüssigkeiten sind erst mal eklig – dennoch spielen
sie eine wichtige Rolle für Gesundheit und Krankheit. Ohne Rotz könnten wir
keine pathogenen Keime nach draußen befördern, ohne Speichel keine Nahrung
schlucken, ohne Gebärmutterschleim keine Kinder zur Welt bringen. Kurz:
Ohne Schleim könnten wir nicht überleben.
Gut also, dass einige Wissenschaftler ihren Ekel überwunden haben und seit
einiger Zeit zunehmend erforschen, welche Funktionen Mukus, also Schleim,
übernimmt. Ihre Arbeit macht deutlich, dass dieser 200 Quadratmeter
umfassende Biofilm im menschlichen Körper weit mehr ist als nur eine
einfache physikalische Barriere. „Mukus ist auch eine chemische Barriere,
die mit Fremdstoffen interagiert“, sagt Katharina Ribbeck vom Massachusetts
Institut für Technologie (MIT) in Cambridge gegenüber [1][der Zeitschrift
New Scientist].
Die Powerstoffe in Schleim bilden vor allem sogenannte Muzine. Sie zählen
zu den Glykoproteinen, das sind Proteine mit langen Zuckerketten, die wie
bei einer Flaschenbürste von den Proteinen abstehen. Durch diese Struktur
können sie gut Wasser einlagern und sorgen damit für die gelartige
Konsistenz von Schleim. Produziert und abgesondert werden Muzine von Zellen
in Schleimhäuten – 1 bis 1,5 Liter Schleim, der vor allem aus Wasser
besteht, entstehen hier täglich. Aber Mukus ist nicht gleich Mukus – je
nach Körperregion ist er anders beschaffen und unterscheidet sich auch in
seiner Funktion.
## Mukus schützt die Lunge
In der Lunge etwa ist der von den dort ansässigen Becherzellen gebildete
Biofilm bei fast neutralem pH-Wert sehr dünnflüssig. Er schützt das
Atmungsorgan vor dem Austrocknen und hilft bei der Abwehr krankmachender
Keime – schätzungsweise eine bis hundert Millionen Bakterien, Viren und
andere Partikelchen wie Feinstaub atmen wir täglich ein.
Trotzdem hilft die physikalische Barriere nicht gegen alle Erreger. So
hindert sie zwar das Influenza-Virus daran, überhaupt die Bronchialzellen
zu erreichen. [2][SARS-CoV-2-Viren] spazieren aber einfach durch die
gelartige Substanz hindurch. Ob sie die Zellen erreichen, ist wichtig, denn
um sich zu vermehren und für ein Krankheitsgeschehen brauchen Viren die
Zellkernmaschinerie des Menschen.
Dabei können aber bestimmte Muzine verhindern, dass SARS-CoV-2-Viren in die
Lungenzellen gelangen, [3][wie Wissenschaftler der Universität in Berkeley
2022 zeigten]. Andere Muzine, die die Forscher in der Lunge fanden, taugten
andererseits nicht als Schutzschild gegen eine Covid-19-Infektion. Dies
könnte erklären, warum einige Menschen während der Pandemie kaum etwas von
einer Corona-Infektion bemerkten, während andere auf die Intensivstation
mussten. „Jemand, der die richtige Art Mukus produziert, könnte also
geschützt sein“, sagt Studienautor Scott Biering.
Auch gegen Bakterien können Muzine vorgehen, indem sie die
Signalübertragung, also die Kommunikationswege der Bakterien, bereits in
der Nase stören. Das bietet Schutz, wenn der erkältete Büronachbar soeben
mehrmals niesen musste. Problematisch können da nur die Feinstaubpartikel
werden. Sie können die schützende Schicht in den Atemwegen schwächen,
[4][wie Studien an der TU München belegen]. „Mukus fängt sehr viel ab, was
von der äußeren Umwelt auf unsere Schleimhäute trifft“, sagt Oliver Lieleg,
Polymerforscher an der TUM. „Wenn Verunreinigungen diese Barriere
schwächen, kommen vielleicht Dinge durch, die das nicht sollten.“
Unangenehm wird der Schleim dann bei bestimmten Atemwegserkrankungen, bei
denen der Mukus in der Lunge oft sehr zähflüssig ist und kaum abgehustet
werden kann. Hustenlöser setzen hier an, aber auch das Hausmittel
Inhalieren gegen Erkältungshusten. Durch den eingeatmeten Wasserdampf
verflüssigt sich der Schleim und kann mitsamt den lästigen Erregern besser
aus dem Körper befördert werden. Auch reichlich zu trinken, hilft dabei.
## Ohne Schleim keine Verdauung
Ohne Schleim gelänge die Verdauung nicht. Bereits im Mund beginnt sie mit
dem Einspeicheln der Nahrung. Der Speichel erleichtert das Schlucken und
hilft beim Sprechen. Das Speichel-eigene Antibiotikum und Protein Lysozym
tötet eindringende Bakterien ab. Und im Magen schützt die Schleimhaut die
Magenwand vor der zersetzenden Magensäure. Hier, bei einem extrem
niedrigen, also sauren pH-Wert ist der Schleim fast gummiartig.
Weiter geht es im Darm: Im Zuge der [5][Erforschung des Darmmikrobioms]
wurde immer deutlicher, dass der Schleim mit den dort ansässigen Mikroben
interagiert und so das Immunsystem beeinflusst. Muzine können etwa das
Abschalten von Virulenzgenen in Bakterien auslösen. Sprich: Vom Schleim
hängt ab, ob eigentlich harmlose Bakterien vielleicht doch ihre Waffen
aktivieren und krank machen.
Zumal in der Darmschleimhaut Bakterien leben, die sich gut anhaften können
und gleichzeitig Glykoproteine als Futter nutzen, die Proteinklasse, zu der
eben auch Muzin zählt. Eines dieser Bakterien, die sich in der
Darmschleimhaut häuslich eingerichtet haben, ist Akkermansia muciniphila,
das unter anderem die Mukus-Produktion anstachelt.
Da der Körper hier einiges an Energie investieren muss, werden Kalorien
verbraten. Und tatsächlich wurden reichlich Akkermansia-Zellen vor allem im
Darmmikrobiom von schlanken Menschen gefunden. Insofern hilft die Aufahme
von Ballaststoffen, da sie die Ansiedlung von eben solchen Bakterien
fördern, die eine dicke Schleimschicht bilden und so die Darmbarriere
stabil halten.
Im Gegensatz dazu stehen bestimmte Emulgatoren in Verdacht, der
Schleimschicht zuzusetzen. Auch Schadstoffe wie Schwermetalle, Pestizide
oder Mikroplastikpartikel, die über die Nahrung in den Körper gelangen,
könnten die Schleimschicht über verschiedene Mechanismen verändern, wie
Tierstudien zeigen.
Zumal Antibiotika auch gutartige Darmbakterien abtöten. Häufige
Antibiotika-Gaben bringen daher lang anhaltend das Darmmilieu aus dem
Gleichgewicht. Durch eine dünne Schleimschicht können schädliche Bakterien
nah an die Darmwand gelangen, was das Immunsystem triggert,
Entzündungsgeschehen und auf Dauer chronisch entzündliche Darmerkrankungen
auslösen kann.
## Unter Stress wird die Schleimschicht im Darm dünner
Studien zeigen zunehmend, dass Gemütszustände auch vom Mikrobiom abhängen
und umgekehrt psychische Erkrankungen die Verdauung beeinflussen – man
spricht von der „Darm-Hirn-Achse“. Auch bei diesem Crosstalk könnte die
Schleimschicht eine Rolle spielen. „Unter Stress und bei Depressionen
verändert sich das Mikrobiom, und dabei spielt Mukus eine wichtige Rolle“,
sagt Katharina Ribbeck vom MIT. So wird etwa unter Stress die
Schleimschicht im Darm dünner, mit den bekannten Folgen.
Übrigens, Muzine gibt es nicht nur in Mukus. Im Gehirn findet man diese
Glykoproteine auf der Blut-Hirn-Schranke. Diese Barriere besteht aus
spezialisierten Zellen, die an den Blutbahnen im Gehirn sitzen und dafür
Sorge tragen, dass keine Schadstoffe ins Gehirn gelangen. [6][Forscher der
Stanford University haben gezeigt], dass ein marginalisiertes Vorhandensein
an dieser Stelle zu kognitivem Abbau bei Mäusen führte.
In den weiblichen Geschlechtsorganen sind es spezialisierte Zellen des
Gebärmutterhalses, die einen Biofilm produzieren. Auch hier verhindert
Schleim das Eintreten von Krankheitserregern. Das ist von besonderer
Bedeutung in der Schwangerschaft, da vaginale Entzündungen Frühgeburten
auslösen können.
Der Zervixschleim gewährleistet zudem, dass Spermien leichter zur
Gebärmutter und den Eileitern gelangen, wo die Befruchtung stattfindet. So
ist der Schleim während des Eisprungs dünnflüssiger, die Spermien kommen
dann also leichter zum Ziel. Es wird umgekehrt angenommen, dass sehr
zähflüssiger Schleim ein Grund für Unfruchtbarkeit sein kann. Wenn hier die
Forschung weiter voranschreitet, könnten Arzneien entwickelt werden, die
bei unerfülltem Kinderwunsch helfen.
12 Aug 2025
## LINKS
[1] https://www.newscientist.com/article/2481402-discovering-the-marvels-of-muc…
[2] /Corona-Forschung/!6040199
[3] https://engineering.berkeley.edu/news/2022/07/berkeley-led-study-identifies…
[4] https://www.mae.ed.tum.de/en/bme/forschung/mucine/
[5] /Mikrobiom-im-Darm/!5930657
[6] https://www.nature.com/articles/s41586-025-08589-9
## AUTOREN
Kathrin Burger
## TAGS
Gesundheit
Darm
Lunge
Schwerpunkt Klimawandel
Trash
Tierwelt
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