# taz.de -- Trumps gescheitertes Impeachment: Jenseits jeder Moral | |
> Das Scheitern des Impeachment zeigt, in welch desolater Lage sich die | |
> US-Politik befindet. Trump kann nun noch ungehemmter agieren. | |
Bild: Er weiß jetzt, dass er mit allem durchkommt: Donald Trump am Tag nach de… | |
Es gehört zu den Absurditäten dieses politischen Zeitalters, dass aus von | |
Linken einst glühend verachteten Konservativen für einen Moment lang neue | |
Helden der demokratischen Integrität werden können. Aktuell verhält es sich | |
so mit dem bayerischen Ministerpräsidenten, der als erster prominenter | |
Unionspolitiker deutliche Worte zum Wahlskandal von Thüringen fand, und | |
ebenso mit Mitt Romney. | |
Ja, genau: jener Mitt Romney, der bei den Präsidentschaftswahlen 2012 gegen | |
Barack Obama angetreten war und dessen Wähler:innen damals als vom Staat | |
abhängige „Opfer“ verspottet hatte. Dieser Mitt Romney hat nun etwas sehr | |
Mutiges getan. Als erster Senator in der Geschichte der USA stimmte er für | |
die Amtsenthebung des Präsidenten seiner eigenen Partei – ganz allein, | |
gegen die geschlossenen Reihen der Republikaner:innen. | |
Mit deren Mehrheit im Senat wurde Donald Trump am Mittwoch [1][von allen | |
Anklagepunkten freigesprochen] – eine Meldung, die sich fast beiläufig | |
einreihte in den Nachrichtenstrom, so erwartbar war sie gewesen. | |
Dass das Impeachment-Verfahren ein so unspektakuläres Ende fand, ist die | |
eigentliche Dramatik dieses Vorgangs. Ein knappes halbes Jahr lang hatte | |
sich die politische Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten und darüber | |
hinaus mit Hunderten Stunden von Anhörungen und immer neuen Enthüllungen | |
beschäftigt. Es war schon insofern ein bemerkenswerter Prozess, als | |
einerseits von Beginn an davon auszugehen war, dass dabei Dinge | |
herauskommen, die notwendigerweise zur Absetzung Donald Trumps führen | |
müsste und es andererseits nahezu ausgeschlossen war, dass es dazu wirklich | |
kommen würde. | |
## Eine tugendhafte Verzweiflungstat | |
Denn man musste nur nachrechnen, um zu wissen, dass der Demokratischen | |
Partei ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus – wo das Verfahren eröffnet | |
wurde – nichts nützen würde, solange die Republikaner die Mehrheit im Senat | |
– der anderen Kammer des US-Kongresses, die schlussendlich urteilte – | |
behielten. Dass die Demokrat:innen das Verfahren dennoch vorantrieben, das | |
konnte man je nach Gemütslage als staatsbürgerliche Tugendhaftigkeit | |
werten, als politische Verzweiflungstat oder auch als gefährliches Manöver, | |
das die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft noch vertiefen würde. Im | |
Rückblick war es alles zusammen. | |
Unglaubliches kam in diesen vergangenen Monaten zutage. Nach den Anhörungen | |
der vergangenen Wochen ist sehr wahrscheinlich davon auszugehen, dass Trump | |
im vergangenen Sommer den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski zu | |
Korruptions-Ermittlungen gegen den Sohn seines Konkurrenten Joe Biden | |
gedrängt hat, um so die kommende Präsidentschaftswahl zu beeinflussen. | |
Genauso offenkundig ist, dass er die Aufklärung dieser Vergehen massiv zu | |
blockieren versucht hat, wie schon die Ermittlungen zu seinen | |
Verstrickungen in die mutmaßliche russische Wahlmanipulation 2016. | |
Angesichts all dessen hätte jede:r andere Politiker:in in tiefer Scham den | |
Rücktritt eingereicht oder zumindest vor der Last der Fakten kapituliert. | |
Aber im Kosmos des Donald Trump ist Anstand keine politische Kategorie | |
mehr, haben Konventionen ihre Bedeutungsmacht verloren, sind | |
Offensichtlichkeiten längst keine mehr. Diesen Umstand allein auf die | |
Person Trump zu reduzieren wäre zu kurz gedacht. Denn eines hat das | |
gescheiterte Amtsenthebungsverfahren nochmal in aller Klarheit gezeigt: Die | |
aktuelle Besetzung des Präsidentenamts ist eine Katastrophe – aber sie kam | |
nicht aus dem Nirgendwo. | |
Trump bewegt sich in einem politischen System, das seinen Kompass verloren, | |
sich von der Gesellschaft entfremdet hat und deshalb umso anfälliger ist | |
für einen, der keine Moral kennt. Da sind zum einen die Republikaner:innen, | |
die sich aus Machtbesessenheit durch die vergangenen vier Jahre geheuchelt | |
und dabei erstaunliche Ausdauer bewiesen haben. Nicht mal jetzt, da die | |
ganze Welt gesehen hat, dass ihr Präsident kriminelle und hochverräterische | |
Handlungen begangen hat, können sie sich – mit Ausnahme von Mitt Romney – | |
zu einer davon abweichenden Haltung durchringen. | |
## Die Stimme ist laut, aber kaum einer hört zu | |
Lieber verdrängen sie Amtseid und Verfassung, als den Demokrat:innen auch | |
nur die Möglichkeit eines politischen Erfolgs zu gönnen. Dabei sind die | |
derzeit kaum zu fürchten. Zwar hat die Demokratische Partei nach langem | |
Zögern ihre Stimme gegenüber Trump gefunden, und sie scheut sich nicht, | |
laut zu werden. | |
Das Tragische ist nur: Es hört ihr kaum noch jemand zu. Zu sehr haben die | |
Demokrat:innen mit allerlei Achtlosigkeiten (etwa in Sachen | |
Gesundheitspolitik, Kohleausstieg, Finanzkapitalismus) Vertrauen verspielt, | |
zu groß ist die Verbitterung vieler, die in Existenznöten leben, die man | |
sich in westeuropäischen Ländern heute kaum vorstellen kann. | |
Solange Trump Jobs schafft, zählt das mehr als ein paar Lügen in einem | |
fernen osteuropäischen Land. Da kann Nancy Pelosi, Sprecherin der | |
Demokraten im Repräsentantenhaus und Galionsfigur der | |
Impeachment-Forderer:innen, noch so mitreißende Reden halten. Bernie | |
Sanders, der antritt, soziale Gerechtigkeit zu schaffen, hat zwar gute | |
Chancen auf die Nominierung als Präsidentschaftskandidat, aber polarisiert | |
die amerikanische Bevölkerung schon jetzt mehr, als er sie als Präsident | |
einen könnte. Und dass bei der Vorwahl in Iowa auch noch [2][eine peinliche | |
Softwarepanne dazukam], trug nicht eben dazu bei, die Außenwirkung der | |
Demokratischen Partei zu verbessern. | |
Beide Parteien sind in einer desolaten Lage – die eine moralisch, die | |
andere machtpolitisch. Wohin das führt, wurde besonders deutlich, als einer | |
der möglichen republikanischen Wackelkandidat:innen der | |
Impeachment-Abstimmung – Lamar Alexander, Senator des Bundesstaates | |
Tennessee – sein parteikonformes Abstimmungsverhalten damit begründete, | |
dass er zwar Trumps Fehlverhalten sehe, aber der nun mal von den | |
Wähler:innen gewählt worden sei, deren Urteil mehr wiegen müsse als das des | |
Senats. | |
## Von Populismus durchdrungen | |
Dabei wird Alexander dieses Jahr nicht für den Senat kandidieren, sondern | |
sich zur Ruhe setzen. Er hat also politisch nichts mehr zu verlieren, | |
konnte rein nach Gewissen abstimmen. Dass er dennoch glaubte, das Richtige | |
zu tun, illustriert gut, wie sehr der Populismus die US-Politik | |
durchdrungen hat. Bestechend und brandgefährlich zugleich ist, wie gut | |
Donald Trump dieses Spiel beherrscht, der schon im Herbst twitterte, die | |
Demokrat:innen wollten den Bürgern der Vereinigten Staaten „die | |
gottgegebenen Rechte wegnehmen“. | |
Dass dagegen Mitt Romneys Statement eine nun massiv geschmähte | |
Minderheitsmeinung ist, wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen: Er | |
sei ein tiefreligiöser Mann, und als solcher nehme er den vor Gott | |
geleisteten Eid, „unvoreingenommen zu urteilen“, sehr ernst. Romney hat der | |
zunehmenden Seelenlosigkeit der republikanischen Politiker:innen damit | |
etwas entgegengesetzt, was der amerikanischen Politik eigentlich mal | |
innewohnte wie sonst kaum irgendwo, ihr aber gerade im Grundsätzlichen | |
abgeht: Wertkonservatismus. | |
Denn natürlich werden auch die Demokrat:innen mitgerissen von der | |
zunehmenden Verrohung politischer Sitten, was zwar zu legendären Auftritten | |
taugt, aber über maximale Frontenverhärtung letztlich nie hinauskommen kann | |
– so wie in dieser Woche, als Nancy Pelosi nach der Rede zur Lage der | |
Nation des Präsidenten vor laufenden Kameras Trumps Redemanuskript in zwei | |
Hälften riss, eine Seite nach der anderen. | |
Die vergangenen fünf Monate haben das große Dilemma der aktuellen | |
US-amerikanischen Politik gezeigt. Es gibt keinen richtigen Weg, mit Donald | |
Trump umzugehen. Das Amtsenthebungsverfahren anzustrengen war alternativlos | |
und doch grundfalsch. Denn der Senat hat Trump nicht nur von eindeutig | |
belegten Vorwürfen des Amtsmissbrauch freigesprochen, er hat auch ein | |
Signal gesendet, das noch lange nachwirken wird: Dieser Präsident steht | |
über dem Gesetz. | |
## Es ist mit allem zu rechnen | |
Welche fatale pädagogische Wirkung das auf ihn selbst haben könnte, möchte | |
man sich eigentlich gar nicht ausmalen – und dennoch sollte man es | |
aufmerksam beobachten. Ob Trump nun noch ungehemmter als bisher Wahlen | |
beeinflussen wird, ob er Medien zensieren, Institutionen willkürlich den | |
Geldhahn zudrehen oder Menschen in Ämter befördern wird, die sein Werk auch | |
über seine Amtszeit(en) hinaus betreiben: Es ist mit allem zu rechnen. | |
Je mächtiger Donald Trump sich fühlt, desto gefährlicher ist er. Bei seinen | |
ersten Auftritten nach dem Freispruch fiel er bereits mit wüsten | |
Beleidigungen und Drohungen in Richtung von Pelosi und den Demokrat:innen | |
auf. Und der New Yorker veröffentlichte einen Cartoon, auf dem Trump eine | |
Giftschlange, einen Clown mit Messer und eine Flugdrohne gezeigt bekommt | |
und gefragt wird: „Nun, da nichts von dem, was Sie tun, illegal ist: Was | |
davon möchten Sie denn Mitt Romney nach Hause schicken?“ | |
Das Impeachment endet da, wo es angefangen hat. Mit kaputten Parteien, | |
einem zutiefst gestörten Vertrauensverhältnis der Amerikaner:innen zu ihrem | |
politischen System und dessen Repräsentant:innen – und einem Präsidenten, | |
in dessen schlichtem Gemüt eine Gewissheit immer deutlichere und brutalere | |
Gestalt annimmt: Er weiß jetzt, dass er mit allem durchkommt. Und es ist | |
nicht abzusehen, dass ihn jemand in näherer Zukunft daran wird hindern | |
können. | |
7 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Johanna Roth | |
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