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# taz.de -- Baustadtrat Schmidt unter Beschuss: Gnadenlos ausgeschlachtet
> Wer braucht Feinde, wenn er einen Koalitionspartner hat? Der Fall Schmidt
> wirft auch Schatten auf die SPD im Bezirk und im Land.
Bild: Schön in der Spur bleiben: Florian Schmidt mit Bezirksbürgermeisterin M…
Es ist die schwerste politische Krise für Florian Schmidt in dieser an
Streitigkeiten, Diskussionen und Kämpfen nicht gerade armen
Legislaturperiode. Die SPD wirft dem grünen Baustadtrat in
Friedrichshain-Kreuzberg Manipulation von Akten vor, der Regierende
Bürgermeister spricht von „weitreichenden, sehr schwerwiegenden Vorwürfen�…
die CDU raunt von einem Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus. Die
Grünen in Bezirk und Land stehen weiterhin hinter ihm, auch wenn er Fehler
gemacht habe.
Das hat Schmidt wirklich, darüber herrscht Einigkeit selbst unter seinen
Parteifreunden. Formale Fehler und politische Fehler. Was ist passiert?
Die SPD-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) wollte [1][in
Sachen „Diese EG“] Akteneinsicht – also bei einer Genossenschaft, die im
Mai von Schmidt benutzt wurde, um Häuser mittels bezirklichem Vorkaufsrecht
Investoren wegzuschnappen. Doch die Fraktion erhielt nicht alle Unterlagen
und wurde darüber nicht informiert. Schmidt [2][entschuldigte sich am
Montag] für diese „Versäumnisse“.
Schwerer wiegt der Satz, der von der SPD kolportiert und von Schmidt nicht
dementiert wird: Er habe die Akten nicht herausgerückt, weil er verhindern
wollte, „dass die Inhalte von CDU und FDP instrumentalisiert“ und von einem
Journalisten einer Berliner Tageszeitung für „politische Agitation“ genutzt
werden.
## Abgang wäre herber Verlust für die Grünen
Die interne Sitzung, in der diese Worte laut SPD-Mitteilung fielen, war
vertraulich. Schmidt konnte also darauf hoffen, dass unter
Koalitionspartnern – wie auf Landesebene bilden Grüne, SPD und Linke auch
in Friedrichshain-Kreuzberg eine Koalition – eine Bewertung wie diese nicht
öffentlich werden würde.
„An dieser Stelle können wir nicht schweigen“, schrieb jedoch die SPD mit
einer Woche Verzögerung und warf Schmidt vor, sie zu „Kompliz*innen bei
der Aushöhlung demokratischer und rechtsstaatlicher Kontrollrechte“ machen
zu wollen. Schmidt entschuldigte sich am Montag auch für seine Sätze.
„Misslich und unangebracht“ seien seine Aussagen gewesen; die Akteneinsicht
sei ein hohes Gut, fügte er hinzu, „dessen Schutz und Gewährung elementar
für demokratische Kontrolle staatlichen Handelns ist“.
Dass die von Schmidt erwähnten politischen Gegner seiner Politik wütend
reagieren und diese unvermittelt aufgetauchte Chance für scharfe Kritik
allzu gerne aufgreifen, ist nicht verwunderlich. Schließlich ist der
Baustadtrat einer der prominentesten Grünen, er steht bundesweit für
unkonventionelle Politik zugunsten von Mieter*innen.
Und er ist einer der wenigen rot-rot-grünen Politiker*innen, der
bisher in der Wohnungspolitik sichtbare Erfolge errungen hat. Diese mögen
bisweilen symbolischen Charakter haben – aber in einer Stadt, in der wegen
der Wohnungsnot die Mietenpolitik alles andere überstrahlt, sind das
wahlentscheidende Punkte. Das wissen auch die Grünen; für sie wäre sein
Abgang ein herber Verlust.
## SPD: Existenzangst schlägt Koalitionsdisziplin
Mehr als zwiespältig bleibt die Rolle der SPD. Auch für viele ihrer
prominenten Politiker*innen ist Schmidt jemand, dem sie den Erfolg
missgönnen. Das hat auch mit dem herben Bedeutungsverlust zu tun, den die
SPD in Berlin generell erfährt und vor allem in ihrem einst ureigensten
Beritt, der Bau- und Mietenpolitik.
Jahrzehnte lang hat sie auf Landesebene die
Stadtentwicklungssenator*innen gestellt, tiefe Verbindungen zu
Investoren entwickelt und unzählige Bauskandale überlebt. 2016 verlor die
Partei das Amt an die Linke; darüber ist sie bis heute nicht
hinweggekommen. Immer wieder versuchen offenbar enttäusche
SPD-Politiker*innen deshalb mittels Sticheleien, wenn sie schon nicht
gestalten können, den Kurs der Koalitionsparter zu stören.
Das trifft nicht nur Schmidt auf Bezirksebene, das musste auch die
Bausenatorin [3][Katrin Lompscher] (Linke) immer wieder erfahren, die
ebenfalls eine deutlich andere Strategie in der Stadtentwicklung verfolgt
als die Sozialdemokraten.
Dahinter steckt bei der SPD auch die Angst, bei der nächsten Wahl im Herbst
kommenden Jahres nur noch unter „ferner liefen“ zu verschwinden. Bei 15 bis
16 Prozent liegt die Partei in Umfragen derzeit; gut ein Drittel der
bisherigen Abgeordneten käme bei diesem Ergebnis nicht mehr ins Parlament.
Diese Sorge treibt einige fleißig twitternde Parlamentarier offensichtlich
mehr um als die gemeinsame Politik und die Koalitionsdisziplin.
## Erst mal Deckel drauf
Der Ton in der Koalition wird also rauer – schon eineinhalb Jahre vor der
nächsten Wahl zum Abgeordnetenhaus. Und absurderweise ausgerechnet in der
Zeit, in der das zentrale Gesetz von Rot-Rot-Grün, der Mietendeckel,
spruchreif ist und verabschiedet werden wird. Das sät weiteres Misstrauen
und schwächt die Zusammenarbeit. Für die Koalitionäre heißt das,
vorsichtiger zu sein. Steile Thesen, Fehler, politisch oder formal, drohen
von vermeintlichen Partnern gnadenlos ausgeschlachtet zu werden.
Schmidt könnte auch diese Krise überstehen, angekratzt zwar, aber im Amt.
Die Bezirks-SPD hat lediglich ein Ultimatum gestellt; die CDU-Forderung
nach einem Untersuchungsausschuss darf man angesichts der bereits
agierenden Ausschüsse dieser Art als Theaterdonner abtun.
Erklären muss Schmidt allerdings, wie sich sein Satz, er habe einige Akten
wegen drohenden Kampagnen der CDU, FDP und einer Tageszeitung
zurückgehalten, mit der offiziellen Begründung des Bezirksamts (die auch
seine eigene ist) verträgt. Danach stünden einer Herausgabe bei zwei Akten
derzeit noch dringende öffentliche Interessen und schützenswerte Belange
Dritter entgegen; geregelt sei das durch das Bezirksverwaltungsgesetz. Eine
dritte Akte sei damals noch nicht fertig gestellt gewesen.
Wenn das korrekt ist – und vieles deutet darauf hin: Warum versteigt sich
Schmidt, erfahren in politischen Auseinandersetzungen, in so steile Thesen?
Als langjähriger Aktivist muss er wissen, dass vieles gegen ihn ausgelegt
wird.
21 Jan 2020
## LINKS
[1] /Genossenschaft-Diese-eG/!5652446
[2] /SPD-Angriffe-auf-Baustadtrat-Schmidt/!5655648
[3] /Bausenatorin-ueber-Mietendeckel-in-Berlin/!5565793
## AUTOREN
Bert Schulz
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Katrin Lompscher
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