| # taz.de -- Antilopen Gang mit neuem Album: „Kassel ist ein Dorf“ | |
| > Die HipHop-Crew Antilopen Gang über die destruktive Qualität von Gras, | |
| > Stress bei Familienfeiern und ihr neues Album „Abbruch Abbruch“. | |
| Bild: Von links nach rechts: Panik Panzer, Kolja und Danger Dan | |
| taz: Sie behaupten, Ihr neues Album sei das beste des kommenden Jahrzehnts. | |
| Woher diese Ahnung? | |
| Koljah: Ich glaube, dass wir musikalisch viel mehr richtiger gemacht haben | |
| als bei den Alben davor. Dass wir keine Gitarren mehr verwenden, sehe ich | |
| als großen Fortschritt. | |
| Danger Dan: Darüber lässt sich streiten. Aber das Prinzip ist Wahrheit | |
| durch Behauptung. Man muss das den Leuten in den Mund legen und ihnen so zu | |
| ihrem Glück verhelfen. | |
| Warum jetzt? Nur das Fehlen von Gitarren macht Ihre Musik nicht gleich zum | |
| Nonplusultra! | |
| Koljah: Wir kommen diesmal ohne Lückenfüller aus. Ich könnte Ihnen bei den | |
| [1][vorherigen Alben] Tracks nennen, die nicht hätten dabei sein müssen, | |
| die Alben wären ohne sie besser geworden. | |
| Danger Dan: Du redest uns um Kopf und Kragen! | |
| Koljah: Ist da so? Das ist doch dein Job! | |
| Wenn es nichts Schlechtes gibt auf dem Album, was ist der beste Track? | |
| Panik Panzer: Ich finde, „Der Ruf ist ruiniert“ ist am besten. | |
| Danger Dan: Ich finde, das ist, als würde man einen mehrfachen Vater | |
| fragen, welches Kind er am meisten mag. Auf so eine Frage kann ich nicht | |
| antworten, ich liebe die Songs alle. | |
| Das beste Lied haben Sie nicht genannt, in „Zentrum des Bösen“ ist sehr | |
| viel Wahres. Sie kritisieren damit Dorfromantisierung und die, wie Adorno | |
| sagte, „Idiotie des Landlebens“. | |
| Danger Dan: Es ist empirisch belegbar, dass auf dem Dorf nur Scheiße | |
| entsteht und in der Stadt eigentlich die guten Dinge. Das Dorf konserviert | |
| alles, was schlecht ist, und die Stadt erschafft alles, was gut ist. Wenn | |
| man sich Österreich anguckt … | |
| … als Gesamtdorf? | |
| Danger Dan: Österreich besteht nur aus Dörfern und einer Stadt, wobei ich | |
| selbst mit Wien Probleme habe. Würde es Wien nicht geben, hätte Österreich | |
| eine rechtsextreme Regierung. | |
| Damit verwenden Sie also einen gesellschaftstheoretischen Dorfbegriff: | |
| Kassel zum Beispiel wäre somit auch ein Dorf. | |
| [2][Koljah]: Kassel ist definitiv ein Dorf! | |
| Panik Panzer: Ich kenne mich in Kassel nicht so aus, aber falls von dort | |
| das Kassler kommt, ist es definitiv ein Dorf. | |
| Wo hört das Dorf für Sie auf? | |
| Panik Panzer: Kurz vor Berlin. | |
| [3][Danger Dan]: Das Dorf hört da auf, wo das Individuum anfängt. Das Dorf | |
| ist eine faschistoide Gemeinschaft. | |
| Koljah: Wichtig ist die Verknüpfung von Ressentiments gegen die Großstadt | |
| mit der Glorifizierung des Landlebens: das antisemitische Stereotyp des | |
| organischen Dorfs, das so konkret ist und natürlich gewachsen und dagegen | |
| steht die künstliche Großstadt, in der alles anonym ist – und diese | |
| Freiheit sei etwas Schlechtes. Dabei ist sie die Voraussetzung dafür, dass | |
| Individualismus und bürgerliches Glücksversprechen überhaupt möglich sind. | |
| Es steht nicht zu befürchten, dass Antilopen-Fans sich darüber empören, | |
| wenn Sie die Dorfmentalität dissen, aber Ihr „Lied gegen Kiffer“ könnte | |
| auch bei Ihren Fans für Kontroversen sorgen! | |
| Koljah: Beim Kiffen gibt es die weit verbreitete Ansicht, dass es natürlich | |
| sei, und synthetische Drogen seien das Böse, weil sie zusammengesetzte | |
| Chemie wären. Solche Widersprüche führen Kiffer ins Feld, um ihr Tun zu | |
| verteidigen. Da sind die Gleichen, die denken, dass Dorfleben per se toll | |
| wäre … | |
| Danger Dan: … und dann so merkwürdige Vorstellungen davon haben, wie weit | |
| entwickelt die Inkas sind und dass man denen glauben muss. Wobei man auch | |
| gar nicht wissen will, wie viele Antilopen-Fans heimlich … | |
| … auf dem Dorf wohnen? | |
| Danger Dan: Vielleicht sogar das! Zumindest glauben sie, dass nun | |
| ausgerechnet ihr Dorf als einziges noch in Ordnung sei, während im | |
| Nachbardorf bereits alles verloren ist. Die Steigerung ist dann Kiffer auf | |
| dem Dorf. Wobei Kiffer sich aufregen, weil sie labile Persönlichkeiten | |
| haben, cholerisch sind, aggressiv und dünnhäutig. Man muss Kiffer ja gar | |
| nicht kritisieren, es reicht schon, dass im Nachbarhaus eine Stecknadel | |
| runterfällt, dann greifen die sofort zur Heugabel. | |
| Und werden zu Neurechten, wie es bei Ihnen heißt? | |
| Koljah: Kiffen geht oft einher mit einer kruden Weltsicht, in der man sich | |
| schnell in wahnhafte Gedankengebilde verirrt. 9/11-Verschwörungideologien | |
| erfreuen sich etwa großer Beliebtheit, weil Kiffer sich in ihre | |
| psychotische Wahnwelt hineinkiffen und sehr empfänglich sind für solche | |
| Erklärungsansätze. Man kann vielleicht sagen, nicht alle Neurechten sind | |
| Kiffer, aber alle Kiffer werden zu Neurechten. | |
| Panik Panzer: Einmal in meinem Leben habe ich die Wirkung von THC wirklich | |
| gespürt und … | |
| Koljah: … und hast dich direkt auf einer Montagsdemo wiedergefunden?! | |
| Panik Panzer: Ich war jedenfalls überrascht, wie psychoaktiv es wirkt. Und | |
| habe gemerkt, dass Gedanken, die vorher relativ klar waren, zum Irrgarten | |
| wurden. Wenn ich mir vorstelle, jemand brezelt sich täglich so zu, dass er | |
| nur noch im Irrgarten ist, wird klar, dass er mit komplexen Themen nichts | |
| anfangen kann. Es mag total banal sein, aber meine eigene Kifferfahrung | |
| trägt dazu bei, dass ich die These aufstelle, dass Kiffer schneller bei | |
| komischen Gedanken landen. | |
| Als Sozialwissenschaftler würde ich sagen, das ist eine dünne Datenbasis. | |
| Panik Panzer: Ja, das ist nicht so richtig empirisch … | |
| Danger Dan: Doch, teilnehmende Beobachtung! | |
| Panik Panzer: Deutschland sollte viel mehr auf mein Bauchgefühl vertrauen! | |
| Koljah: Abgesehen von Taxifahrern gibt es niemanden, der mir häufiger von | |
| antisemitischen Verschwörungstheorien erzählt hat, als wirre Grasdealer. | |
| Der Link zu den Taxifahrern überzeugt. Wo bleibt Ihr Song über Taxifahrer? | |
| Koljah: Stimmt! Ich setze mich im Taxi immer nach hinten rechts und | |
| schweige. | |
| Panik Panzer: Ich schreibe das mal direkt auf, die Songidee! | |
| Danger Dan: Ich fuhr neulich erst wieder mit einem, der über E-Roller | |
| geschimpft hat – und am Ende waren die Juden schuld, dass es E-Roller gibt, | |
| weil die an die persönlichen Kundendaten der Leute kommen wollen würden. | |
| Dorf, Kiffer, Geburtstag – selbst der sei schlimm, wie Sie in „Keine Party�… | |
| singen. Erst dachte ich, nun kommt ein musikalischer Abklatsch von | |
| „Enkeltrick“, dann aber erklingen starke Klavierakkorde. Und ich konnte das | |
| Gefühl sofort fassen, wie schlimm Geburtstage sind. Sind diese Feiern | |
| wirklich so schlimm? | |
| Koljah: Andere Feiern haben den Vorteil, dass man nicht im Mittelpunkt | |
| steht. Nix gegen Geburtstagsfeiern, wenn ich selbst nicht betroffen bin. | |
| Danger Dan: Ich überlege gerade, ob es Feiern gibt, die mir gefallen. Das | |
| meiste, was durchritualisiert ist, finde ich schwierig. Es gibt große | |
| Erwartungen, etwa an Weihnachten, so dass man sich ständig von dem | |
| Besonderheitsgefühl emanzipieren muss. Die Erhabenheit des Moments, an den | |
| man glaubt, erfüllt sich nie. | |
| Panik Panzer: Feiern als Ritual sind meistens schlimm, zumindest bis zu dem | |
| Punkt, an dem alle genügend berauscht sind. | |
| Danger Dan: Es gab auch gute Weihnachten … | |
| Panik Panzer: Nein! Ganz, ganz ernsthaft: Gab es nicht. | |
| Danger Dan: Ich muss an dieser Stelle Panik Panzer widersprechen, auch weil | |
| unsere Eltern bestimmt taz-Leser:innen sind. | |
| Panik Panzer: Oh ja! Weihnachten war immer schön! | |
| Aber es geht doch auch um eine Institution der Moderne: den Geburtstag – | |
| bei dem man das Individuum so hoch hängt, die Idee des Individuums ist ja | |
| überhaupt erst in der Moderne entstanden, der Einzelne war vorher faktisch | |
| irrelevant. Das ist auch die Dialektik des Geburtstags: einerseits das | |
| Individuum in den Mittelpunkt zu rücken und es zugleich durch ritualisierte | |
| Feiern zu korrumpieren. | |
| Koljah: Stimmt, Geburtstag ist eigentlich der Hammer. Aber damit meine ich, | |
| dass ich mit meiner Freundin zusammensitze und es ist schön. Das sind aber | |
| eben nicht die Feiern, die bleiben blöd. | |
| Danger Dan: Wenn man ständig dieselben Formen abarbeitet, „Und, was machst | |
| du heute noch?“, geht es nicht ums Individuum, sondern es wird kaputt | |
| gemacht, in den Telefonaten, die wir alle einmal jährlich x-mal führen | |
| müssen: „Mach dir einen schönen Tag!“ | |
| 16 Jan 2020 | |
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| Samuel Salzborn | |
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