| # taz.de -- Album „Aber der Abgrund“ von Koljah: Das Rap-Prinzip Hoffnung | |
| > Koljah von der HipHop-Band Antilopen Gang hat ein Album rausgebracht. Das | |
| > hat mehr Niveau als vieles, was im Deutschrap seit Jahren zu hören ist. | |
| Bild: Sein Sound wird viele irritiert zurücklassen: Rapper Koljah | |
| Wenn ein Rap-Album schon explizit antizipiert, wie sinnfrei seine Rezeption | |
| sein wird, dann kann man entweder lassen, es zu besprechen, oder den | |
| Künstler beschimpfen. Beides wäre naiv, weil es die formulierte Kränkung | |
| persönlich nehmen und nicht als Gesellschaftskritik begreifen würde. | |
| So bleibt der Versuch, die verzweifelte Unerträglichkeit zu verstehen, die | |
| aus dem Song „Hauptsache Kohle“ des Düsseldorfer Rappers Koljah spricht: | |
| „Nehmt dieses Lied, erstickt daran, schreibt eine Rezension/ Haltet es für | |
| kritisch/ Haltet es für ironisch/Haltet es für ernst gemeint/Haltet es für | |
| komisch.“ Dieser bemerkenswerte Track befindet sich auf Koljahs Solodebüt | |
| „Aber der Abgrund“, hauptamtlich bleibt der 33-Jährige Teil [1][der | |
| HipHop-Crew Antilopen Gang]. | |
| Letztlich verdoppelt jede Musikrezension unvermeidbar die | |
| kulturindustrielle Reproduktion, die selbst Gegenstand von Kritik ist – und | |
| schon in dieser seiner Kritik ist das Album von Koljah selbst gefangen in | |
| den Fallstricken der Kulturindustrie. Deshalb ist die wahrste Formulierung | |
| des Künstlers auch der Songtitel: „Hauptsache Kohle“, denn darin wird schon | |
| materialistisch formuliert, dass man schwerlich wird darauf hoffen können, | |
| dass die in harte Lines verpackten Gefühle verstanden würden. | |
| So bleibt nur die Hoffnung, zumindest noch etwas zu verdienen, wenn es auch | |
| kein Verständnis sein mag. Wollte man Koljah ernst nehmen, dürfte man sein | |
| Album also gar nicht besprechen, denn es enthält so viele Flaschenposten, | |
| die letztlich keinen Adressaten haben, man spürt in fast jedem Track die | |
| Verzweiflung über das Missverständnis, die unvermeidbar in jeder | |
| Gesellschaftskritik angelegt ist. | |
| ## Gefühl der Irritation | |
| Die Reime sind durchzogen mit ambivalenten Botschaften, die keine | |
| Eindeutigkeit zulassen, die die Hörenden ratlos zurücklassen mit einem | |
| Gefühl der Irritation, was sich auch im Sound abbildet: Jeder Track ist von | |
| einem anderen Produzenten, trotz dieser Inkohärenz der Beats fügt sich der | |
| Widerspruch zu einem recht klassischen Rap-Sound, der in Gänze doch | |
| kohärent wirkt und so, wie Koljah auch selbst sagt, sicher nicht zeitgemäß, | |
| aber trotzdem nicht altbacken ist. | |
| „Aber der Abgrund“ ist ein Album, das kaum jemand verstehen wird, der nicht | |
| bereit ist, sich auf die emotionale Ebene hinter den Lines einzulassen, der | |
| nach Eindeutigkeit sucht und auf Unterhaltung orientiert. Koljah | |
| transferiert hier ein Prinzip, das man von Adorno kennt: Es gibt kaum einen | |
| Satz von Adorno, den man nicht mit Adorno widerlegen könnte. | |
| Koljah widerspricht sich in dem Album fortwährend selbst, hinterlässt ein | |
| Gefühl, das viele kennen, aber nur wenige ertragen: zu wissen, dass es im | |
| falschen Leben kein richtiges gibt und man gerade deshalb stets um dieses | |
| richtige kämpfen muss: „Es gibt immer einen Ausweg, man findet ihn nur | |
| nicht.“ | |
| Die schlimmste Frage, die man an das Album richten könnte, wäre die danach, | |
| wie es denn nun gemeint sei – die Momente, die bereits in mehreren Tracks | |
| der Antilopen Gang angedeutet sind, treibt Koljah nun als einer der | |
| Antilopen-Rapper mit seinem Soloprojekt auf die Spitze: Widersprüche | |
| ertragen, weil sie objektiv sind, weil Eindeutigkeit gerade in der | |
| bürgerlichen Gesellschaft nicht hergestellt werden kann, das Individuum | |
| zerrissen ist in den Potenzialen von Freiheit und Emanzipation, die in | |
| Momenten möglich sind, aber eben nur jenen, die sich ebendieser | |
| Vergesellschaftung entziehen. | |
| ## Ein irritierender Sound | |
| Am deutlichsten wird das vielleicht in Koljahs hartem Abgesang gegen die | |
| Surrogate des Glücks, gegen Alkohol und Drogen, die die Flucht versprechen, | |
| aber doch immer im Abgrund enden. Sicher nicht zufällig gemahnt der Titel | |
| des Albums an das Grand Hotel Abgrund, bei dem auch Koljah weiß, dass es | |
| doch immer wieder in der Verzweiflung enden kann, wenn sich, wie er rappt, | |
| „ab und zu ganz unerwartet […] panisch mein Suchtgedächtnis“ meldet. | |
| Eigentlich hätte in dieser Diskussion des Albums am besten kein einziges | |
| Zitat gestanden, denn diese verschleiern die emotionale Ebene einer | |
| Dialektik der Unerträglichkeit, die man musikalisch erfassen, aber nur | |
| schwerlich textuell wiedergeben kann. Damit ist Koljahs Album weit entfernt | |
| von dem, was an affirmativer Niveaulosigkeit im Deutschrap seit Jahren zu | |
| hören ist. | |
| Sein Sound wird viele irritiert zurücklassen, da hilft auch nicht die gern | |
| betriebene Suche nach Anspielungen und impliziten Zitaten, Referenzen auf | |
| andere Werke, die am Ende doch nur, werden sie explizit gemacht und nicht | |
| implizit verstanden, Eindeutigkeiten in eine Welt zaubern sollen, die | |
| längst schon entzaubert ist. | |
| Wer nach diesem Album sagt, er hätte Koljah verstanden, lügt. Und gerade | |
| deshalb ist das Album zu feiern. Ganz besonders in Abgrenzung zu denen, die | |
| mit den Tracks gern feiern würden. | |
| 7 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Samuel Salzborn | |
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