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# taz.de -- Neues Album von Kinderzimmer Productions: Captain Ahab und Captain …
> Das Berliner Duo um MC Textor und DJ Quasimodo veröffentlicht sein neues
> Werk „Todesverachtung to go“. Und zeigt, wie Rapper in Würde altern.
Bild: Kinderzimmer Productions sind MC Textor und DJ Quasimodo
[1][Im HipHop würdig zu altern, wird für viele Rapper] in den nächsten
Jahren eine große Aufgabe sein. Der textgewordene, angezündete Furz klingt
später nicht mehr ganz so witzig und auf viele wartet nach dem Biz erst mal
das Familiengeschäft. Windeleinkauf statt Dopeversorgung. Für ein Gramm
Hasch kriegt man heute nicht einmal eine Packung Milchpulver. Stattdessen
viel Hate Speech im Internet. Von HipHop-Jungspunden unter die eigenen
Musikvideos gespendet: „Alter, geh kacken!“
Wer wissen möchte, wie Rapper in Würde altern, sollte sich unbedingt das
neue Album von [2][MC Textor] und DJ Quasimodo alias Kinderzimmer
Productions mit dem schönen Titel „Todesverachtung to go“ anhören. Dass es
sich bei ihrem neuen Werk um ein Comeback-Album handelt, ist eigentlich nur
am Rande interessant.
Schon 2009 und 2011 erschienen Live-Alben, die es seinerzeit
auflösungsbedingt nicht mehr hätte geben dürfen. Dennoch: Wir alle lieben
ja das Comeback als ultimatives popkulturelles Zeichen der Möglichkeit
einer Wiederauferstehung. In Zeiten, in denen Hollywood gerade den neuen
James-Dean-Film dreht und erst letztes Jahr ein neues Album des legendären
HipHop-Duos Gang Starr mit dem toten Rapper Guru veröffentlicht wurde, ist
der aktuelle Kinderzimmer-Albumtitel vortrefflich gewählt.
Das Duo aus Ulm war aus der frühen Deutschrap-Perspektive schon immer am
nächsten dran am sogenannten Native-Tongues-Rap, also an dem, was etwa
US-Künstler wie A Tribe Called Quest und De La Soul in den 90er Jahren zum
Besten gaben. Conscious Rap war ein weiterer Genre-Begriff, der damals
rumgeisterte und eigentlich vor allem meinte, dass seine Protagonisten
nicht blöde waren.
## Gymnasiasten-Rapper mit Niveau
Und Raps mit großem kultur- wie sozialpolitischem, nicht selten auch
religiösem Bewusstsein verbanden. Vom eher rechten Flügel des HipHop wurden
sie wiederum gerne als Gymnasiasten-Rapper verschrien. Vermutlich war das
Rapniveau Ursache des Neids. Dabei war es schon damals so, dass auch
Gymnasiasten viel lieber Gangsta-Rap hörten. Das ist heute ähnlich, auch
wenn sich Namen, Produktionsweisen und Distributionswege verändert haben.
Dennoch: Der Moment, als Kinderzimmer Productions 1996 mit ihrem zweiten
Album „Im Auftrag ewiger Jugend und Glückseligkeit“ plötzlich Album des
Monats wurden, war das ein toller Flash, der kritischen Geistern das Rappen
in deutscher Sprache erst richtig schmackhaft zu machen wusste. Wir hatten
ja nix. Fischmob vielleicht, aber die waren irgendwie auch Comedy. Zu
Jazzbässen und funky Breaks begab sich Textor in einen Bewusstseinsstrom,
den man so als HipHop-Fan auf Deutsch noch nicht gehört hatte.
Endlich gab es ein deutschsprachiges Rap-Album, das man im Regal zwischen
Digable Planets und Jungle Brothers einsortieren konnte. Ihr Name war
natürlich schon damals sehr cool, weil extrem uncool. Dabei war HipHop ja
schon immer eine Musik, die man im Jugendzimmer gewordenen Kinderzimmer
produzieren konnte. Ganz ohne Proberaum und nervige Schlagzeugaufnahmen.
Und die Musik klang trotzdem fetter als die örtliche Grunge-Band.
Zurück in die Gegenwart. [3][„Es kommt in Wellen“ heißt die bereits
veröffentlichte erste Single] aus „Todesverachtung to go“. Von Captain Ahab
und Captain Iglos Fischstäbchen ist darin die Rede. „Cool ist man dann,
wenn man unaufgetaute Tiefkühlkost kosten kann.“ Dazu wabert ein
massierender Acid-Bass und es gibt scharf geschnittenen Funk. Sofort ist es
wieder da, dieses tolle Kinderzimmer-Gefühl.
## Entweder du diggst, oder du diggst nicht
Freilich, hier kommt Rap aus dem Zentrum des Wohlstands. Echte
Existenzprobleme bedrängen zwar nicht, aber dafür gibt es einen bunten
Strauß an Neuröschen, aufgelöst in klugem, wahnwitzigem Wortwitz.
Kinderzimmer Productions praktizieren HipHop noch immer als den universell
verständlichen revolutionären Sound, in dem Sprache und Musik sich so
unvergleichlich gut miteinander verzahnen lassen, die richtigen Styles und
Skills vorausgesetzt. Um es im Jazzvokabular zu sagen:
Dieses Duo diggt jedenfalls gewaltig. „Du erhältst den Status quo durch
Drecksarbeit, ich verändere die Bedingungen durch Textarbeit“, heißt es
weiter in dem Stück „Boogie Down“. Ja, Kinderzimmer Productions rappten
schon vor der Agenda 2010 und haben jetzt 2020 auf dem Laptop-Schirm – als
geübte Beobachter des Aufstiegs von HipHop als zentralem Popkultur-Motor
auf dem fiebrigen Erdball.
Im Deutschrap bedeutet das eine Historie mit Wegbegleitern wie [4][Fettes
Brot] (die als Gäste auf dem aktuellen Album zu hören sind), den Beginnern
und der [5][Advanced Chemistry] – [6][von Alphatier Kollegah] bis zum
jungen weiblichen Kinderzimmer-Feature-Talent Fantasma Gloria, um
wenigstens eine Frau in diesem Text zu nennen. Von Yo Mama über Aggro
Berlin bis Live from Earth. Doch Kinderzimmer Productions klingen
glücklicherweise auch 2020 noch völlig eigen und trotzdem mittendrin.
Bleibt zu hoffen, dass man als fürsorgendes HipHop-Familienoberhaupt seine
Kids mit diesem Album begeistern kann. Denn welchen deutschsprachigen
HipHop sollte man sonst mit seiner Familie hören in einem von
Antisemitismus, Sexismus und Autotune-Madness dominierten Markt, wenn die
Kinder aus dem Deine-Freunde-Alter rausgewachsen sind?!
20 Jan 2020
## LINKS
[1] /Rechtsstreit-zwischen-BR-und-Rapper/!5651033
[2] /Rapper-MC-Textor-ueber-HipHop-im-Alter/!5109452
[3] https://www.youtube.com/watch?v=I8m4EFfXjZc
[4] /Soloalbum-von-Koenig-Boris/!5094842
[5] /Beginner-in-Berlin/!5396591
[6] /Kommentar-zur-Kollegah-Entscheidung/!5511408
## AUTOREN
Maurice Summen
## TAGS
Deutscher Hip Hop
Rap
Musik
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Neues Album
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Musik
Schwerpunkt Rechte Musik
Antilopen Gang
Debütalbum
HipHop
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