| # taz.de -- Josef Schuster über Bundeswehr-Rabbis: „Rabbiner sind kein Allhe… | |
| > Jüdische Militärseelsorger in einer deutschen Armee? Josef Schuster, | |
| > Präsident des Zentralrats der Juden, hält das für ein wichtiges Zeichen. | |
| Bild: Künftig bekommen jüdische Soldat_innen Seelsorge durch Rabbis | |
| taz: Herr Schuster, die Bundeswehr gibt es seit 64 Jahren. Demnächst | |
| bekommt sie erstmals Militärrabbiner, am heutigen Freitag wird dazu | |
| [1][der entsprechende Staatsvertrag] unterschrieben. Wie lange haben Sie | |
| daran gearbeitet? | |
| Josef Schuster: Die Frage ist, was wir unter „arbeiten“ verstehen. Nach | |
| entsprechenden Gesprächen noch mit der vorigen Verteidigungsministerin Frau | |
| von der Leyen im Frühjahr dauerte die Erarbeitung des Staatsvertrags jetzt | |
| ein Dreivierteljahr. | |
| Und was war davor? | |
| Unsere erste Überlegung, eine jüdische Militärseelsorge einzurichten, ist | |
| schon ein paar Jahre alt. Es bedurfte einer gewissen Entwicklung, bis es zu | |
| Spitzengesprächen kam. | |
| Was war das Problem? | |
| Das vermag ich ehrlicherweise nicht zu sagen. Das sollte man vielleicht die | |
| Verantwortlichen der Bundeswehr fragen, die dieser Überlegung am Anfang | |
| eher reserviert gegenüberstanden. Letztendlich, und das ist das | |
| Entscheidende, hat sich das Ministerium gerade in den Gesprächen dieses | |
| Jahres sehr kooperativ gezeigt und ich habe das Gefühl, dass der | |
| Staatsvertrag von beiden Seiten mit Überzeugung getragen wird. | |
| Sie selbst waren als jüdischer Deutscher von der Wehrpflicht befreit. Wie | |
| empfanden Sie damals das Verhältnis zwischen jüdischer Gemeinde und | |
| Bundeswehr? | |
| Von „der Bundeswehr“ und „der jüdischen Gemeinde“ zu sprechen, ist | |
| schwierig. Bei uns in Würzburg war es schon in den Siebzigern gang und | |
| gäbe, dass Vertreter der Bundeswehr am Volkstrauertag [2][am Ehrenhain für | |
| gefallene jüdische Soldaten] des Ersten Weltkriegs einen Kranz niedergelegt | |
| haben – eine Tradition, die sich bis heute fortsetzt und auch in anderen | |
| jüdischen Gemeinden aufgegriffen wurde. Ein anderes Thema sind jüdische | |
| Soldaten bei der Bundeswehr. | |
| Inwiefern? | |
| Auch wenn die Bundeswehr nicht Nachfolgerin der Wehrmacht ist und auf ganz | |
| anderen, auf demokratischen Grundlagen steht, gab es unter jüdischen | |
| Menschen Vorbehalte gegen deutsche Uniformen. Nach den Verbrechen der Shoah | |
| kann das nicht verwundern. Hier musste erst über Jahrzehnte ein | |
| Vertrauensverhältnis aufgebaut werden. Seit zehn, zwanzig Jahren treten | |
| Juden deutschen Soldaten im Regelfall ohne Vorbehalte gegenüber. In den | |
| letzten Jahren gibt es auch vermehrt jüdische Soldaten in der Bundeswehr. | |
| Warum gerade in den letzten zwanzig Jahren? | |
| Da spielt der zeitliche Rahmen ebenso eine Rolle wie die Entwicklung der | |
| Bundesrepublik und der Bundeswehr, die auch von Juden als demokratische | |
| Armee gesehen wird. Es mag auch eine Rolle gespielt haben, dass es | |
| insbesondere bei Schulungen eine enge [3][Zusammenarbeit zwischen der | |
| israelischen Armee und der Bundeswehr] gibt. | |
| In den letzten zwanzig Jahren haben wir auch gesamtgesellschaftlich eine | |
| Normalisierung von Bundeswehr, Militär und Kriegseinsätzen erlebt. Das kann | |
| man kritisch sehen. | |
| Das kann man auch kritisch sehen, und es gibt auch jüdische Menschen, die | |
| das kritisch sehen – genauso wie Menschen, die dem katholischen, | |
| evangelischen oder keinem Glauben angehören. Aber die Einsätze der | |
| Bundeswehr beruhen auf demokratischen Beschlüssen, und als Bürger der | |
| Bundesrepublik sehen auch Juden ihre Existenz heute sehr vorbehaltlos an. | |
| Die christlichen Kirchen haben starke pazifistische Strömungen, die das | |
| System der christlichen Militärseelsorge kritisieren. Gibt es aus der | |
| jüdischen Gemeinde ähnliche Kritik am Staatsvertrag? | |
| Es gab einige kritische Stimmen, allerdings weniger unter dem Aspekt des | |
| Pazifismus, sondern unter der Frage, ob es nach den Verbrechen der Shoah | |
| tatsächlich richtig ist, eine jüdische Militärseelsorge in einer deutschen | |
| Armee einzusetzen. Das waren aber Minderheitsstimmen. | |
| Kommen wir zur Praxis: In Zukunft wird es bis zu zehn Militärrabbiner in | |
| der Bundeswehr geben. Sollen sie wie die christlichen Militärseelsorger | |
| auch mit in Auslandseinsätze gehen? | |
| Ja, so ist es geplant. Es wird keine große Diskrepanz zu christlichen | |
| Militärseelsorgern geben. | |
| Und dort sollen sie dann auch für nichtjüdische Soldaten da sein? | |
| Sie sollen nicht in Konkurrenz zur christlichen Militärseelsorge stehen. | |
| Aber im Krisenfall sollte ein Seelsorger unabhängig von seiner eigenen | |
| Religionszugehörigkeit in der Lage sein, für alle Soldaten tätig zu sein, | |
| auch für konfessionslose. | |
| Wie wird der Alltag der Militärrabbiner in Deutschland aussehen? | |
| Sie werden an verschiedenen Standorten quer durch Deutschland ihren Sitz | |
| haben. Man kann natürlich sagen: Es gibt geschätzt nur etwa 300 jüdische | |
| Soldaten – können die nicht auch durch die Ortsrabbiner mitbetreut werden? | |
| Es geht uns aber neben der seelsorgerischen Betreuung vor allem um den | |
| Lebenskundlichen Unterricht, der für alle Bundeswehrangehörigen Pflicht | |
| ist. | |
| In diesem Unterricht vermitteln Militärseelsorger politische und | |
| weltanschauliche Bildung. | |
| Es ist notwendiger denn je, dass jüdisches Leben und jüdische Werte in | |
| diesem Unterricht authentisch vermittelt werden, und dafür halte ich | |
| Rabbiner für sehr geeignet. Und ich halte es staatlicherseits für ein | |
| wichtiges Zeichen, wenn Rabbiner in der Bundeswehr wirken. Schließlich | |
| hören wir davon, dass es in der Bundeswehr im Vergleich zur | |
| Gesamtgesellschaft vielleicht einen etwas höheren Prozentsatz von Soldaten | |
| gibt, die eher dem rechtspopulistischen oder rechtsextremen Lager zuneigen. | |
| Wie können Militärrabbiner [4][diesem Problem] im Unterricht | |
| entgegenwirken? | |
| Sie können den Soldaten nahebringen, was das Judentum ist. Bei jungen | |
| Soldaten ist es nicht anders als in der Gesamtgesellschaft so, dass das | |
| Judentum sehr häufig reduziert wird auf die Opferrolle 1933 bis 1945. | |
| Gerade in der Bundeswehr ist es wichtig zu zeigen, dass jüdische | |
| Militärangehörige keine neue Erfindung sind, sondern dass jüdische Soldaten | |
| und jüdische Militärseelsorger vor der Shoah und besonders im Ersten | |
| Weltkrieg sehr aktiv in der damaligen deutschen Armee gedient haben. | |
| Jüdische Soldaten waren damals überproportional stark vertreten. | |
| Zwanzig Jahre später mussten sie feststellen, dass das den Antisemitismus | |
| nicht verhindert hat. | |
| Das war die große Enttäuschung vieler Juden, die mit dem Eisernen Kreuz aus | |
| dem Ersten Weltkrieg nach Hause kamen und später umso enttäuschter darüber | |
| waren, was dieses Land ihnen angetan hat. | |
| [5][Jüdische Soldaten und Militärrabbiner in der Bundeswehr] werden dem | |
| Antisemitismus also auch nicht zwangsläufig entgegenwirken. | |
| Auch Militärrabbiner sind nicht das Allheilmittel gegen Antisemitismus in | |
| der Bundeswehr, darüber bin ich mir im Klaren. Aber es ist auch ein | |
| wichtiges Signal nach außen, dass jüdisches Leben von den Verantwortlichen | |
| der Bundeswehr als selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft | |
| angesehen wird. | |
| 20 Dec 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/juedische-militaerseelsorge-17… | |
| [2] http://www.alemannia-judaica.de/wuerzburg_friedhof.htm | |
| [3] https://www.deutsch-israelische-gesellschaft.de/mediafile/web_dig_1-11.pdf | |
| [4] /Nach-dem-Bericht-des-Wehrbeauftragten/!5483090 | |
| [5] /Bund-juedischer-Soldaten/!5171722 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
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