# taz.de -- Bund jüdischer Soldaten: Antisemitismus nicht verdrängen | |
> 2006 gründete Michael Berger den Bund jüdischer Soldaten. Dem Offizier | |
> geht es um Gedenken an jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg und | |
> Antisemitismus bei der Bundeswehr heute. | |
Bild: Einer, dem alles zackige fehlt: Offizier Berger (mit Oberrabbiner Leitman… | |
Jetzt muss er kämpfen. Michael Berger ächzt kurz auf, verringert das Tempo, | |
die Gesichtsmuskeln spannen sich an. "Ich muss zurückbleiben", sagt der | |
Hauptmann in seiner Ausgehuniform. Die Knie, die bald operiert werden | |
sollen, wollen nicht mehr, sagt er dem Kameraden an seiner Seite, einem | |
ungemein gesund wirkenden Presseoffizier mit mächtigem Unterkiefer. Fast | |
humpelnd marschiert Berger weiter. Nur jetzt nicht schlappmachen. Da | |
endlich ist das Denkmal erreicht. Es liegt mitten im größten jüdischen | |
Friedhof Europas in Berlin-Weißensee. Hier ruhen die im Ersten Weltkrieg | |
gefallenen Söhne der jüdischen Gemeinde Berlins. Und die Bundeswehr, im | |
Feldgrau wie einst die Wehrmacht, ehrt sie. | |
Der 44-jährige Berger ist Offizier der Bundeswehr - und daran wäre nichts | |
Besonderes. Aber der gebürtige Stuttgarter gehört zu den nur etwa 200 | |
jüdischen Soldatinnen und Soldaten unter den rund 250.000 Männern und | |
Frauen in der Bundeswehr - statistisch genau werden sie nicht erfasst. Zum | |
Vergleich: Muslime soll es mehrere tausend geben. Berger, vor 20 Jahren | |
eingetreten in die Bundeswehr beim Gebirgsartilleriebataillon 81 in Kempten | |
im Allgäu, kümmert sich um seine jüdischen Kameraden, um die lebenden, noch | |
mehr jedoch um die toten. Er ist der Vorsitzende des Bundes jüdischer | |
Soldaten (RjF). Und die Polizei sorgt sich um seine Sicherheit, weil er | |
dies ist. Bedroht von Antisemiten "aus Ihren eigenen Reihen", wie das | |
Landeskriminalamt ihm berichtet hat. Was hält ihn hier? | |
In Potsdam hat Berger sein Büro. Wenn er aus dem Fenster schaut, blickt er | |
in einen kleinen Park, der von der Havel begrenzt wird. Seit Oktober 2006 | |
ist Berger Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA), | |
einer wissenschaftlichen Einrichtung der Bundeswehr. Das Amt ist in einer | |
prächtigen weißen Villa, der "Villa Ingenheim", untergebracht. Das passt. | |
Hier wohnte einst der zweite Sohn von Kaiser Wilhelm II., Prinz Eitel | |
Friedrich, ein Veteran des Ersten Weltkriegs. Hier war später unter anderem | |
der sowjetische Geheimdienst NKWD zu finden, dann die Kasernierte | |
Volkspolizei, das Militärgeschichtliche Institut der DDR - ehe am 3. | |
Oktober 1990 die Bundeswehr den Laden übernahm. Doch die Atmosphäre ist | |
zivil, keine Wachen am Eingang, niemand salutiert hier. | |
In Uniform öffnet Berger die Tür zu seinem Büro. Ein Schreibtisch, ein | |
Regal, zwei Stühle für den Reporter und einen Presseoffizier sowie ein | |
Aquarium mit bräunlichen Zierfischen passen gerade so hinein. Es sieht nach | |
Arbeit aus. Da ein Stapel Bücher aus der Bibliothek, dort Kopien eines | |
Aufsatzes über den "Anteil der jüdischen Freiwilligen an dem | |
Befreiungskriege 1813/14". An der Wand ein Poster der Altstadt Jerusalems | |
und ein Kalender der jüdisch-orthodoxen Vereinigung Chabad Lubawitsch. | |
"Das ist meine Burg", sagt Berger, "es geht mir gut hier." Die Berufung an | |
diese Stelle war wie "ein Sechser im Lotto", sagt er. Als | |
"Fachdienstoffizier" hat er laufbahnmäßig das Ende der Fahnenstange | |
erreicht. Dank seines Buches "Eisernes Kreuz und Davidstern" über die | |
Geschichte jüdischer Soldaten in deutschen Armeen seit den | |
Befreiungskriegen hat er seinen Traumjob gefunden. Das sei eine "heile | |
Welt" hier, sagt Berger. Aber außerhalb des MGFA wird es für ihn als | |
jüdischen Soldaten mühsam. Weil er gefährdet ist, stehe er in einem | |
"Sicherheitsrahmen", wie Berger möglichst wolkig formuliert: "Nicht | |
Personenschutz, sondern Objektschutz." Das heißt, die Wohnung sei gesichert | |
- "mit recht aufwendigen Mitteln". | |
"Sicherheitsgründe" nennt Berger auch als Grund, weshalb er darüber | |
schweigt, wie es ihn zum Bund verschlug. In Heidelberg habe er Geschichte | |
studiert, mehr ist nicht zu erfahren - alles Nachfragen ist umsonst. Über | |
seine eigene (Familien-) Geschichte will er ebenfalls nichts preisgeben. | |
Ist Deutschland auch für ihn, wie einst für Bundespräsident Gustav | |
Heinemann, ein "schwieriges Vaterland"? "Nein", sagt er nur knapp. Auch die | |
pathetische Frage, ob er für Deutschland sterben würde, irritiert ihn eher | |
- und tatsächlich wirkt das Sterben in Afghanistan hier an der Potsdamer | |
Seenplatte doch sehr weit weg. Seinem Schwiegervater und dessen Vater | |
Maximilian Leib Rohrlich, einem Leutnant im Ersten Weltkrieg, hat Berger | |
sein Buch gewidmet. Dieser Offizier, "der die militärische Tradition der | |
Familie meiner Frau begründete", schaut grimmig aus dem Buch heraus. | |
Welch Kontrast zu Berger! Der hat etwas Sanftes, Ziviles, seine Haare | |
verlieren schnell die Form. Als er auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee | |
vor dem Ehrenmal für die jüdischen Gefallenen salutiert, ist sein Gesicht | |
bewegt. Alles Zackige fehlt. Ein Trompeter intoniert "Ich hatt einen | |
Kameraden", ein Kantor singt ein Gebet. Sind es nur die Knie, oder warum | |
wirkt es so ungelenk, wenn Berger, unter Trommelwirbel, sich niederbeugt, | |
um die blauweißen Schleifen seines Kranzes zurechtzuzupfen? | |
Den Bund jüdischer Soldaten, 2006 von Bundeswehrsoldaten gegründet, treibt | |
vor allem das Gedenken an jüdische Todesopfer früherer Kriege um - die | |
Interessenvertretung heutiger jüdischer Soldaten ist bisher zweitrangig. | |
Das wird deutlich in Bergers Potsdamer Burg. Selten wird er hier emotional. | |
Aber einmal schon, als er, etwas schief, sagt: "Wenn jemand unsere Ehre, | |
die Ehre der ehemaligen jüdischen Soldaten, angreift, dann wehren wir uns, | |
das geht zu weit." | |
Im Ersten Weltkrieg marschierten anfangs viele der 100.000 jüdischen | |
Soldaten, scheinbar nun endlich akzeptierter Teil des Vaterlands, mit | |
nationaler Inbrunst in die Schlacht - um dann festzustellen, dass der | |
patriotische Eifer ihnen nicht half. Im Gegenteil: Eine vom preußischen | |
Kriegsministerium während des Krieges durchgeführte "Judenzählung" sollte | |
feststellen, ob sie genauso tapfer seien wie ihre nichtjüdischen Kameraden. | |
Von den 30.000 zwischen 1914 und 1918 mit einem Tapferkeitsorden | |
ausgezeichneten Frontsoldaten jüdischen Glaubens wurden Ungezählte in den | |
KZs ermordet. Und viele konnten es bis zum letzten Augenblick nicht | |
glauben, dass ihr geliebtes deutsches Vaterland ihnen dies antun konnte. | |
Die Ehre der Toten. Und die der Lebenden? Seit Berger dem Bund jüdischer | |
Soldaten vorsteht, erhält er antisemitische E-Mails, die nach Einschätzung | |
des LKA und des Militärgeheimdienstes MAD von Leuten kommen, "die die | |
Materie kennen", wie Berger sagt. "Zutiefst verletzend" war etwa ein | |
Gedicht, wonach "die Juden", schön verschwörungstheoretisch, an allem Übel | |
der Erde schuld seien. | |
Für ihn, sagt Berger, sei "nicht der Keulen schwingende Skinhead aus Guben" | |
das Problem. Eher der antisemitische Mist, den - meist ehemalige - | |
Offiziere der Bundeswehr verzapften. Eine antisemitische Mail mit ganzer | |
Adresse reichte er einmal der Staatsanwaltschaft weiter. Die wollte kein | |
Verfahren einleiten. Begründung: Dies sei weder eine Beleidigung noch | |
Volksverhetzung. Auch eine Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft | |
brachte nichts. "Da schüttele ich den Kopf", sagt Berger vorsichtig. | |
Klarer hat es der Vizevorsitzende seines "Bundes", der Generalstabsoffizier | |
Gideon Römer-Hillebrecht, in einem Vortrag formuliert: Demnach berichteten | |
in den vergangenen Jahrzehnten die "wenigen Juden" in der Bundeswehr | |
"durchweg von Erfahrungen mit antisemitischen Äußerungen oder einem | |
unkritischen Umgang mit Wehrmachtstraditionen". | |
Mag die Bundesführung da auch tapfer dagegenhalten und Anflüge von | |
Antisemitismus und Wehrmachtsverherrlichung in der Truppe bekämpfen, wie | |
Berger glaubhaft versichert: Wer sich als jüdischer Soldat in manchen | |
Einheiten einer schiefen Traditionspflege verschließe, könne daran | |
zerbrechen, wie Römer-Hillebrecht und Berger sagen. Ein jüdischer | |
Berufsoffizier sei psychisch krank geworden, berichtet Berger in seiner | |
Burg: "Wenn du einmal der Feind bist, machen die dich fertig." | |
Er selbst, erzählt Berger, habe in seinen vielen Jahren bei der Bundeswehr | |
nur fünf- oder sechsmal antisemitische Anfeindungen durch Kameraden | |
erfahren - nach dem Motto: "Mit Juden trinke ich kein Bier." Er habe das | |
dann immer unter vier Augen zu klären versucht und eher selten höhere | |
Stellen informiert oder gar juristische Schritte unternommen. Das Ganze | |
nicht zu verdrängen sei aber wichtig: Sonst drehten die | |
Geschichtsrevisionisten und Antisemiten "die Schraube immer weiter", sagt | |
Berger. Insgesamt aber sei der Antisemitismus in der Bundeswehr wohl nicht | |
stärker ausgeprägt als im Schnitt der Gesellschaft, meint er. Vielleicht | |
sogar weniger, weil zumindest die Führung in dieser Hinsicht immer einen | |
"Selbstreinigungsmechanismus" in der Armee fördere. "Ich muss ja fair | |
bleiben", sagt Berger. | |
Es ist Freitag, der Schabbat naht, Hauptmann Berger geht noch in den | |
Gottesdienst. An der Joachimstaler Straße in Berlin steht das in | |
Deutschland vor Synagogen übliche Polizeiauto, israelische | |
Sicherheitsmänner passen ebenfalls auf. Das Gotteshaus ist voll. Dutzende | |
israelische Soldaten, zu Besuch hierzulande, füllen den Saal. In Uniform | |
stecken die meisten, trotzdem verbreiten fast alle diese typische | |
israelische Lässigkeit. | |
Berger hat keine Uniform an. Nur in Zivil gehe er in die Synagoge, erklärt | |
er. Jüdische Soldaten in einem deutschen Waffenrock werden in den Jüdischen | |
Gemeinden oft mit zwiespältigen Gefühlen bedacht, gerade vonseiten der | |
Holocaust-Überlebenden. Berger steht am Rande des weiß-goldenen | |
Gebetssaals, murmelt routiniert die Gebete. Als die Gemeinde zu singen | |
anfängt, packt er seinen Mantel, setzt sich einen bayerisch anmutenden Hut | |
auf den Kopf und verlässt die Synagoge. Kalter Winterregen weht Berger ins | |
Gesicht. | |
3 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
Philipp Gessler | |
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Antisemitismus | |
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