# taz.de -- Theater cancelt Stück: Verantwortlich gehandelt | |
> Das Hamburger Ernst-Deutsch-Theater schmeißt ein Stück vom Spielplan, | |
> dessen Autor Holocaustleugnung vertretbar findet. Zensur? Nö. | |
Bild: Gegen rechts: Isabella Vertes-Schütter, Intendantin des Ernst-Deutsch-Th… | |
Knapp zwei Wochen ist es her, dass in Hamburg „Die Vielen“ feierten, das | |
erste Jahr ihres Bestehens nämlich: Im November 2018 hatten zahlreiche | |
Kultureinrichtungen in der Stadt eine Erklärung gegen Rechtspopulismus und | |
Rechtsextremismus formuliert oder zumindest unterzeichnet; so wie es | |
[1][auch andernorts] passierte. „In Deutschland stehen wir nicht über den | |
Dingen, sondern auf einem Boden, von dem aus die größten Staatsverbrechen | |
der Menschheitsgeschichte begangen wurden“, so beginnt [2][die Hamburger | |
Variante] der „Erklärung der Vielen“. | |
Und weiter: „Millionen Menschen wurden ermordet oder gingen ins Exil, unter | |
ihnen auch viele Kunstschaffende. Als Kulturschaffende in Deutschland | |
tragen wir deshalb eine besondere Verantwortung.“ Was, klar, schnell zur | |
Sonntagsredenfloskel verkommen könnte, erhielt in Hamburg jetzt | |
überraschend Brisanz. Aus der „besonderen Verantwortung“ nämlich auch mal | |
Konsequenzen zu ziehen, diese Premiere hatte dieser Tage ein örtliches | |
Privattheater zu begehen – dessen Intendantin Isabella Vértes-Schütter | |
nicht nur für die SPD inm Landesparlament sitzt, sondern auch zu den ersten | |
Unterzeichnerinnen der „Erklärung der Vielen“ zählte. | |
Das [3][Ernst-Deutsch-Theater] ist benannt nach so einem, den 1933 gute | |
Deutsche ins Exil trieben. Jetzt warf es in für Mitte Januar angekündigtes | |
Stück wieder vom Spielplan. Nicht weil es damit ein Problem gäbe, sondern | |
unter Hinweis auf Äußerungen des Autors, des Niederländers Haye van der | |
Heyden. „Dieser vertritt im aktuellen politischen Diskurs in Holland | |
Positionen, die mit dem Leitbild und Selbstverständnis des | |
Ernst-Deutsch-Theaters nicht zu vereinbaren sind“, heißt es in einer | |
Pressemitteilung vom Freitag. | |
Was war passiert? Ein paar Tage zuvor hatte der 62-Jährige ein Interview im | |
niederländischen Radio gegeben. Dabei sagte er, dass auch die Leugnung des | |
Holocaust – oder auch Bekenntnisse zur Pädophilie – es verdienten, eine | |
Bühne geboten zu bekommen. Auf eine Anfrage des [4][Hamburger | |
Abendblatt]-Journalisten Thomas Andre hin erklärte van der Heyden [5][auf | |
Facebook] weiter, dass er, wäre er Deutscher, wohl die AfD wählen würde – | |
wer das als Verbrechen betrachte, für den gehe dann auch die kurzfristige | |
Absage des Stücks in Ordnung. „Ich selbst glaube an die Demokratie“, so van | |
der Heyden noch. „Wir alle haben unsere Vorlieben.“ | |
## Linke Kulturhegemonie am Werk? | |
Tellkamp, Handke, van der Heyden: Ist der niederländische Dramatiker das | |
jüngste Opfer einer linken Kulturhegemonie, die dann auch noch den | |
Antifaschismus für sich gepachtet haben will? Wenn, dann auch nur so sehr | |
wie die anderen genannten Kulturbetriebsschneeflöckchen; also eher gar | |
nicht. | |
Wenn die Leitung eines privatwirtschaftlich betriebenen Theaters sich | |
entschließt, eine Zusammenarbeit lieber doch nicht fortzusetzen, dann muss | |
man das, wenn es derart spät passiert (und, ehrlich gesagt, ja auch ein | |
wenig übereilt wirkt), nicht überzeugend finden. Aber es wird trotzdem | |
keine Zensur daraus, nicht mal, wenn es sich, wie hier, ums größte | |
derartige Haus im Land handelt. | |
Auch liegt gerade keine Einschränkung irgendwelcher Kunstfreiheit vor: Es | |
stößt sich ja niemand am Stück, es entscheidet sich schlicht jemand | |
dagegen, arbeiten zu wollen mit einem, der so spricht und – mutmaßlich – | |
denkt. | |
Politisch-korrekter Gesinnungsterror? Der Beweis für einen immer | |
[6][schmaler werdenden Meinungskorridor]? Sicher – wenn man es eine | |
verteidigenswerte Position findet, die Faktizität der | |
nationalsozialistischen Verbrechen in Zweifel zu ziehen. Bei aller gerne | |
auch mal romantischen Rede also über den Anstoß, den die Kunst erregen | |
müsse – die „besondere Verantwortung“ des Kulturbetriebs: Genau hier kom… | |
sie zum Tragen. | |
10 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Berliner-Kulturinstitutionen-gegen-Rechts/!5549269/ | |
[2] https://www.dievielen.de/erklaerungen/hamburg/ | |
[3] https://www.ernst-deutsch-theater.de/ | |
[4] https://www.abendblatt.de/kultur-live/article227842865/Ernst-Deutsch-Theate… | |
[5] https://www.facebook.com/photo.php?fbid=2155140824780700&set=a.13921475… | |
[6] /!5638146/ | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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