# taz.de -- Theater über Rechtsextremismus: Nazis in Schwarz-Weiß | |
> Das Hamburger Ernst-Deutsch-Theater positioniert sich mit „Weißer Raum“ | |
> gegen Rassismus. Aber die Geschichte bleibt viel zu holzschnittartig. | |
Bild: Im verlauf des Stücks füllen immer mehr Anti-Nazi-Symbole den „Weiße… | |
Hamburg taz | Ohne Wenn und Aber: ein Rechtsradikaler. Stierer Blick, | |
burschikos gegelte Haare, markiger Tonfall, so gibt er den von | |
Pegida-Versammlungen, Neonazi-Websites, aus AfD-Verlautbarungen und | |
bürgerlichen Stammtischgesprächen bekannten Alltagsrassismus zum Besten und | |
schwingt sich auf zu nationalpopulistischen Ausführungen. Unbeirrbar | |
stereotyp lässt Schauspieler Rune Jürgensen diesen Antihelden Gestalt | |
werden und rotzfrech behaupten, laut Artikel 20 des Grundgesetzes ein Recht | |
auf Widerstand zu haben angesichts der „Invasion“ Geflüchteter. | |
Da niemand auf der Bühne dagegen argumentiert, müssen die Zuschauer sich | |
selbst dazu verhalten. Das [1][Ernst-Deutsch-Theater] beweist mit seiner | |
jüngsten Produktion, Lars Werners mit dem [2][Kleist-Förderpreis] | |
ausgezeichneten Stück „[3][Weißer Raum]“, wie unbedingt das Haus im | |
Schatten der Mundsburg-Türme im Scheinwerferlicht zeitgenössischer Diskurse | |
stehen möchte. Es ist ja längst keine Oase mehr für Opas Theater – die | |
Bühne auch allabendlich zum Nachdenken leer geräumt von naturalistischem | |
Schnickschnack, abstrakt designt und apart ausgeleuchtet. | |
Inszenatorisch und schauspielerisch fehlt dem künstlerischen Leitungsteam | |
noch der Befreiungsschlag, da wird eher klassisch moderne Betulichkeit | |
gepflegt – mit psychorealistisch und linear erzählten Geschichten von | |
Problem-Prototypen. Handwerklich soll das überzeugen und Haltung beweisen: | |
„Gegen Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung, für Toleranz, Vielfalt | |
und Respekt“. Intendantin [4][Isabella Vértes-Schütter] notiert im | |
Spielzeitheft all die Worte, die wohl von den meisten Theatergängern sofort | |
unterschrieben würden. | |
Pressesprecher Friedrich Carl behauptet, die 78-prozentige Auslastung der | |
Spielzeit 2017/18 sei auch in der folgenden Saison nicht unterboten worden. | |
In dieser Saison widmet sich Haye van der Heyden mit „[5][Irrwege]“ einer | |
Ehe in Zeichen von Demenz, in „[6][Träum weiter]“ lässt Nesrin Şamdereli | |
eine gescheiterte griechisch-türkisch-deutsche Familie nach Identität | |
suchen. Deutlich weiter soll „Weißer Raum“ gehen. Ein „starkes Stück ge… | |
rechts“ ist angekündigt. Was einerseits die moralische Stoßrichtung des | |
Hauses meint. Aber ist es auch ein künstlerisch starker Abend? | |
## Netter Verlierertyp | |
Ein weißes Teppichgeviert fläzt sich aus dem Parkett quer durch den | |
Spielraum in den Schnürboden, soll kontrastierend Unter- und Hintergrund | |
des politischen Lehrstücks sein. Darüber tupft ein Schlagzeuger | |
atmosphärische Klänge, nur einmal wird er laut und schüttelt wild mit einer | |
Metallkette herum beim Anschlag des rechten Mobs auf einen vermeintlichen | |
Verräter. | |
Initiiert hat die Tat der oben beschriebene Patrick. Weil er zweimal „so | |
einen Araber ein bisschen fertig gemacht hat“, sitzt er nun im Knast. Vater | |
Uli drömelt derweil durch einen öden Security-Job. Bis er einen | |
Vergewaltigungsversuch beobachtet – und den aus Marokko stammenden Täter zu | |
Tode prügelt. Anschließend gilt Uli nicht als Verbrecher, sondern als Held. | |
Etwas plump, aber immerhin ist so angedeutet, wie Gewalt geflüchteter und | |
migrierter Männer zur Stimmungsmache für rechte Propaganda | |
instrumentalisiert wird. | |
Das Opfer, die chronisch aufrechte Journalistin Marie, will aber kein | |
Opfer, sondern auch Täterin sein und recherchiert, warum Uli ihr wohl | |
geholfen hat. Schnell wird klar, er verlor bereits eine Anstellung als | |
Pförtner, weil er „einen frechen Schoki geohrfeigt hat“, wie Patrick sagt. | |
War seine Attacke auf den Vergewaltiger also weder Unfall noch Notwehr, | |
sondern befriedigende Rache für die Degradierung? Mord? | |
## Der weiße Raum wird gefüllt | |
Die Stimmung wandelt sich, der weiße Raum wird gefüllt mit | |
Anti-Nazi-Sprüchen, Uli verliert erneut seinen Job. „Arbeitslos wegen eines | |
notgeilen Afrikaners“, kommentiert Patrick. So sieht es dann bald auch sein | |
Vater und lässt sich zur Identifikationsfigur der „Bewegung“ seines Sohnes | |
stilisieren, mit der sein Gefängnisaufseher konspiriert, auch eine Pastorin | |
sympathisiert – bis sie auch vom Verfassungsschutz per V-Mann-Geld | |
alimentiert wird. | |
Autor Lars Werner behauptet die während der NSU-Ermittlungen stets | |
geleugneten rechten Netzwerke, die sich in alle Ebenen der Gesellschaft | |
verzweigen und die es „ohne die Unterstützung der Verfassungsbehörden“ | |
nicht gegeben hätte, wie es im Plädoyer von Opferanwalt Mehmet Daimagüller | |
im Münchner Prozess gegen Beate Zschäpe hieß. Eine ungemütliche und nicht | |
so schnell wegzudiskutierende These. Nur leider wird sie so pamphletisch in | |
Szene gesetzt, wie auch die Logik behauptet, mit der Uli sich vom | |
ausgegrenzten Minderverdiener zum ernst genommenen Ausländerhasser | |
entwickelt. | |
## Fiese Pfiffigkeit | |
Das soll mit fieser Pfiffigkeit auf der Bühne funktionieren: Uli ist ein | |
zum Mitfühlen einladender, kleinmütig netter Verlierertyp mit stark | |
angeknackstem Selbstwertgefühl und Jedermannsnaivität. Wer ihm empathisch | |
zuschaut, der akzeptiert vielleicht auch nebenbei seine Rhetorik der | |
Xenophobie, wie er Ängste schürt mit Schlagworten und Herabwürdigung | |
hoffähig macht – mit der eigenen möglichen Empfänglichkeit dafür | |
konfrontiert „Weißer Raum“ die Zuschauer. | |
Beispielhaft kommt dabei Marie zu Wort, die ehrlich genug ist | |
festzustellen, „irgendwie wollte ich auch, dass er weitermacht“ – damit | |
meint sie Ulis tödliche Aggression gegen ihren Angreifer. Dabei verweist | |
das Stück auf Mechanismen, mit deren fremdenfeindlicher Agitation derzeit | |
Sympathien gewonnen werden. | |
Aber Regisseur Hartmut Uhlemanns setzt auf das Holzschnittartige der | |
Figuren, Dialoge und Narration, sodass die szenische Ausarbeitung des | |
Stoffes eben nicht aufreizend ambivalent, sondern arg klischeehaft | |
daherkommt. | |
12 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ernst-deutsch-theater.de/ | |
[2] https://www.welt.de/regionales/berlin/article172715605/Kleist-Foerderpreis-… | |
[3] https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&am… | |
[4] http://www.vertes-schuetter.de | |
[5] https://www.ernst-deutsch-theater.de/programm/irrwege-131 | |
[6] https://www.ernst-deutsch-theater.de/programm/traeum-weiter-133/ | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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