# taz.de -- Kein Grundstück für „Lesshomes“: Minihäuser ohne Bleibe | |
> Mit einem „Lesshome“ bekommen Obdachlose 2 Quadratmeter Wohnraum – als | |
> Zwischenlösung. Die Aufstellung scheiterte an Bedenken von Anrainern. | |
Bild: Passt: Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) in einem „Lesshome“ | |
Ein Leben auf zwei Quadratmetern, in einem Handwagen zum Hinterherziehen: | |
Drei dieser Minimalwohnungen für Obdachlose möchte die | |
[1][Sozialgenossenschaft Karuna] noch vor Weihnachten aufstellen. Die | |
Menschen, die sie nutzen wollen, warten schon darauf, sagt Karuna-Vorstand | |
Jörg Richert. Doch nun ist der private Eigentümer einer zentral gelegenen | |
Freifläche abgesprungen und Karuna wieder auf der Suche. | |
Es ist nicht das erste Mal, dass sogenannte Tiny Houses („winzige Häuser“), | |
eigentlich entwickelt von Liebhaber:innen minimalistischer Wohnkultur, als | |
Alternative zur Straße für Berliner Obdachlose gehandelt werden. Mehrere | |
Dutzend Behausungen mit rund sechs Quadratmetern Fläche stehen bereits in | |
Berlin, größtenteils gebaut vom Kölner Verein Little Homes. | |
Das Problem dabei ist immer wieder das Ordnungsrecht: Im April dieses | |
Jahres wurden auf dem Kreuzberger Mariannenplatz zwei dieser Tiny Houses, | |
deren Bewohner ebenfalls von Karuna betreut wurden, [2][im Vorfeld eines | |
Straßenfestes geräumt und dabei zerstört]. Doch bei Karuna hält man an der | |
Idee fest: Mehrere Hundert Tiny Houses will Richert in den nächsten Jahren | |
in Berlin aufstellen. | |
„Die Einrichtungen der Kältehilfe sind völlig in Ordnung“, sagt Jörg | |
Richert. „Aber für viele Menschen, die auf der Straße leben, sind sie nicht | |
das Richtige.“ Zu viele Menschen mit komplexen Problemlagen kommen auf | |
engem Raum zusammen, streng sind die Regeln in Sachen Drogenkonsum, | |
Nutzungszeiten und Begleitung durch Hunde. | |
Die Minihäuschen, für die Karuna jetzt einen Platz sucht, seien eine | |
Antwort auf dieses Problem, auf die Lücke zwischen Parkbank und | |
Obdachloseneinrichtung, die in vielerlei Hinsicht von anderen Tiny Houses | |
abweichen, so Richert. Konzipiert und gebaut werden sie von Wolfgang | |
Goergens, einem Unternehmer, der sich zuvor eher einen Namen mit | |
Luxushotels für Hunde machte – eine Geschäftsidee, die er inzwischen | |
verkauft hat. Dadurch finanziell unabhängig, [3][widmet er sich nun auf | |
einem Garagengelände vor den Toren Berlins dem Bau seiner „Lesshomes“]. | |
Die sind erst einmal viel kleiner als die bisherigen Tiny Houses: Nur zwei | |
Quadratmeter misst die Grundfläche, nicht viel größer als ein Singlebett. | |
Stehen kann man darin nicht. Dafür ist das als Handwagen konzipierte | |
Häuschen tatsächlich mobil und kann – beispielsweise auf Drängen des | |
Ordnungsamts – von einem Ort zum nächsten gezogen werden. | |
## Sitzdusche und Spendenbox | |
Zum anderen ist es nicht nur mit einem Bett ausgestattet, sondern „mit | |
allem, was die normale Infrastruktur eines Lebens ausmacht“, sagt Goergens. | |
Konkret heißt das: Gaskartuschenkocher, Kühlschrank mit Langzeitakkus, | |
kleiner Fernseher, Kaffeekocher, Handwaschmaschine, Sitzdusche, | |
Trockentoilette, Schränke. Sogar ein Briefkasten und ein Fach für Spenden | |
aus der Nachbarschaft sind an der Außenwand angebracht. Jeder Winkel des | |
Handwagens wird ausgenutzt, ein doppelter Boden kann über das Bett geklappt | |
werden. Und weil sie kurz vor Weihnachten aufgestellt werden sollen, sollen | |
sie auch mit einem kleinen beleuchtbaren Tannenbaum ausgestattet werden. | |
Ihm sei ganz klar, dass der Handwagen kein Ersatz für eine Wohnung sei, | |
sagt Goergens. „Niemand kann dauerhaft auf zwei Quadratmetern leben.“ Die | |
Obdachlosen bekämen den Wagen geschenkt mit der einzigen Auflage, ihn | |
weiterzugeben, sobald sie eine Unterkunft finden. Die Materialkosten für | |
einen Wagen lägen bei 2.500 Euro, refinanzieren will sie Goergens | |
mittelfristig über Werbung an den zwei Seitenflächen. | |
Die Menschen, die das Angebot nutzen, soll wiederum Karuna aussuchen und | |
betreuen. Und so sollen in die ersten drei Wagen [4][Männer aus dem | |
Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht] einziehen, für die die fehlende | |
Privatsphäre, die besondere Gruppendynamik mit 160 Obdachlosen in einem | |
Zeltlager, zunehmend unerträglich geworden seien, erzählt Richert. | |
Die Wagen sollen auf Flächen abgestellt werden, die nach den Vorstellungen | |
von Richert kein reiner Ort der Obdachlosigkeit mit all den Anschluss- und | |
Akzeptanzproblemen ist. Die Idee von Karuna sind „Common Places“, Orte der | |
Gemeinschaft, auf denen Urban Gardening und Atelier-Container für | |
Künstler:innen genauso Platz finden sollen wie ein Café als | |
Begegnungsstätte und eben auch drei oder vier der Tiny Homes. Dafür, so | |
Richert, arbeite er auch mit den Atelier- und Urban-Gardening-Beauftragten | |
des Senats zusammen. Denkbar seien Zwischen- oder dauerhafte Nutzungen auf | |
(noch) nicht bebauten privaten oder landeseigenen Flächen – am liebsten | |
natürlich zentral gelegen. | |
## Am Ende doch abgesprungen | |
Genau eine solche Fläche hatte Richert für den Modellversuch, der noch vor | |
Weihnachten starten sollte, gefunden. Die für den 23. Dezember geplante | |
Aufstellung der Wagen war vom Eigentümer, einem privaten Großinvestor, | |
befürwortet worden, ein benachbartes Café zeigte sich höchst solidarisch, | |
erzählt Richert, der die Namen der Beteiligten nicht öffentlich machen | |
möchte. Dann habe es aber große Vorbehalte bei den Mitarbeiter:innen eines | |
angrenzenden Geschäfts gegeben – und der Eigentümer zog zurück. | |
„Ich bin sicher, die Common Places werden Orte des Gelingens, für positive | |
Geschichten, die wir erzählen können, für nachbarschaftliche Solidarität“, | |
sagt Richert. Aber dafür brauche es dringend einen Platz zum Ausprobieren. | |
22 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://cms.karuna-ev.de/ | |
[2] /Obdachlosigkeit/!5589552 | |
[3] http://www.lesshome.de/ | |
[4] /Obdachlose-in-Berlin/!5643671 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
## TAGS | |
Soziales Engagement | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
Obdachlosenunterkünfte | |
Tiny Houses | |
Obdachlosigkeit | |
Obdachlosigkeit | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
Obdachlosigkeit | |
Rummelsburger Bucht | |
Stephan von Dassel | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Tiny Houses | |
Rummelsburger Bucht | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
Obdachlosigkeit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Obdachlosigkeit: Leere kleine Häuser | |
taz-Serie „Was macht eigentlich …“: In Friedrichshain-Kreuzberg stehen | |
mehrere Wohnboxen für obdachlose Menschen. Aber das Projekt liegt auf Eis. | |
Wohnboxen für Obdachlose in Hannover: Zurück auf Anfang | |
„Little Homes“ passen auf vier Europaletten und sollen Obdachlosen auf die | |
Beine helfen. In Hannover hat das Konzept Startschwierigkeiten. | |
Rummelsburger Bucht: Viel Rummel, wenig Hoffnung | |
Obdachlose und Initiativen trommeln gegen die Bebauung am Rummelsburger See | |
– ohne Erfolg. Ein Investor will dort ab Frühjahr ein Aquarium bauen. | |
Tiny Houses für Obdachlose: Mehr Hoffnung für Lesshomes | |
Winzige Wohnwagen: Bis Weihnachten sollten die ersten Obdachlosen | |
einziehen. Daraus wurde nichts. Nun schaltet sich die Politik ein. | |
Psychisch krank und obdachlos: „Alle spüren den Druck“ | |
Über 70 Prozent der Obdachlosen haben eine akute psychische Erkrankung, | |
sagt die Ärztin Stefanie Schreiter. Zu viele von ihnen blieben ohne Hilfe. | |
Obdachlos ohne Krankenversicherung: Die Leiden des Giovanni | |
Als EU-Bürger hat Giovanni Maramotti kaum eine Chance, mehr als die | |
Notfallversorgung im Krankenhaus zu bekommen. Dabei ist er depressiv. | |
Minimal-Behausungen für Wohnungslose: Das Dilemma aufgezeigt | |
Zwei Quadratmeter groß sind die Lesshomes für Obdachlose. Die sind besser | |
als die Straße – und zugleich ein Armutszeugnis. Ein Wochenkommentar. | |
Obdachlose in Berlin: Raus aus der Bucht | |
Die Bewohner*innen der Rummelsburger Bucht sollen in eine | |
Ausweichunterkunft umziehen. Noch ist nicht klar, ob alle das Angebot | |
annehmen werden. | |
Obdachlosigkeit in Berlin: „Die Räumung musste nicht sein“ | |
Das Obdachlosen-Camp am Mariannenplatz wurde vom Bezirk geräumt. Lutz | |
Müller-Bohlen von der Sozialgenossenschaft Karuna kritisiert das Vorgehen. | |
Obdachlosigkeit: Take it easy, altes Haus | |
Die zwei bei der Räumung zerstörten Tiny Houses auf dem Mariannenplatz in | |
Kreuzberg sollen andernorts wieder aufgebaut werden. |