| # taz.de -- Obdachlosigkeit: Leere kleine Häuser | |
| > taz-Serie „Was macht eigentlich …“: In Friedrichshain-Kreuzberg stehen | |
| > mehrere Wohnboxen für obdachlose Menschen. Aber das Projekt liegt auf | |
| > Eis. | |
| Bild: Little Homes: Seit Wochen sind sie leer und verschlossen | |
| Berlin taz | Die Holzhütten bieten 3,20 Quadratmeter Platz und stehen auf | |
| Europaletten. Jede Hütte enthält eine Matratze, ein Regalbrett, einen | |
| Feuerlöscher und ein Erste-Hilfe-Set. Gerade jetzt könnten diese kleinen | |
| Wohnboxen wieder Menschen vor Kälte schützen, die nirgendwo anders | |
| unterkommen können oder wollen. Drei davon stehen auch schon seit Anfang | |
| des Jahres am Ostbahnhof, und im Sommer kamen drei weitere am | |
| Mariannenplatz dazu. | |
| Nur: Seit Wochen sind sie leer und verschlossen. Grund dafür ist vor allem | |
| ein Streit zwischen dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und dem Verein | |
| Little Home e. V., der die Boxen zur Verfügung stellt. | |
| Ins Leben gerufen wurde [1][das Projekt „Safe Place“] vom Bezirk – mit dem | |
| Ziel, wohnungslosen Menschen existenzielle Sicherheit, einen Rückzugsraum | |
| und Schutz vor „schwierigen Witterungsbedingungen und gewalttätigen | |
| Übergriffen“ zu bieten. So steht es im Konzeptpapier vom Januar 2023. Dafür | |
| sollen die verschließbaren Holzhäuser „an vertrauten Orten“ der | |
| potenziellen Nutzer*innen“ aufgestellt werden. | |
| Besonders viel Wert wird auf das sozialpädagogische Personal gelegt, das | |
| die Bewohner*innen im Rahmen des Projekts bei der Bewältigung ihres | |
| Alltags unterstützen soll. Langfristig soll den Menschen so eine | |
| Wiedereingliederung ins Regelsystem ermöglicht werden. | |
| ## Eine kleine Oase | |
| Als Kooperationspartner nennt das Konzeptpapier den Little Home e. V., der | |
| 2016 von dem Restaurantfachmann Sven Lüdecke in Köln gegründet wurde. | |
| Seither gingen der Verein und sein Gründer durch die Medien: Die Wohnboxen | |
| sollen Menschen übergangsweise ein Dach über dem Kopf bieten, als „kleine | |
| Oase auf dem Weg zur weiteren Resozialisierung“ wird sie auf der Homepage | |
| des Vereins bezeichnet. Über 130 Menschen sollen laut Verein dadurch | |
| mittlerweile wieder festen Wohnraum gefunden haben. Deutschlandweit stehen | |
| Little Homes in über 24 Städten. | |
| Auch im Rahmen des Safe-Place-Projekts in Friedrichshain-Kreuzberg sind die | |
| Wohnboxen als Übergangslösung gedacht: „Die Konzeption geht von einer Dauer | |
| von zwei Jahren aus“, sagt Oliver Nöll (Linke), Sozialstadtrat von | |
| Friedrichshain-Kreuzberg. „Danach streben wir eigentlich die Vermittlung in | |
| regulären Wohnraum an.“ | |
| Das Projekt sollte weiter ausgebaut werden, bereits im Januar wurde in | |
| einem „Letter of Intent“ die Zusammenarbeit mit Neukölln angekündigt. | |
| Umgesetzt wurden diese Pläne bisher nicht. Tatsächlich liegt das Projekt | |
| nach nicht einmal einem Jahr wieder auf Eis. | |
| Dabei lief es nach Meinung des Sozialstadtrats zunächst gut an. Zwar habe | |
| keine der Personen, die in den Little Homes untergekommen sei, bislang in | |
| eine eigene Wohnung vermittelt werden können. Jedoch sei es gelungen, alle | |
| mit Regelleistungen nach den Sozialgesetzbüchern I und XII zu versorgen, | |
| also im Bereich der Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. „Außerdem konnten | |
| alle Bewohner*innen krankenversorgt und bei Amtsangelegenheiten | |
| unterstützt werden“, so Nöll. | |
| ## Rote Karte bei Regelverstoß | |
| Auch Sven Lüdecke spricht von einem guten Start. Anfangs sei man mit den | |
| Sozialarbeiter*innen sowie den Mitarbeiter*innen des Sozialamts | |
| gut zurechtgekommen, und das Projekt sei gut angenommen worden. Der Little | |
| Home e. V. verschenkt die Wohnboxen an ihre Bewohner*innen, behält sich | |
| aber vor, im Falle von Regelverstößen gelbe und rote Karten zu verteilen | |
| und den Schenkungsvertrag unter Umständen aufzuheben. Sowohl in dem Vertrag | |
| als auch in der Hausordnung des Vereins sei das so festgehalten, erklärt | |
| Lüdecke. | |
| Im Sommer dieses Jahres sei es dann zu einem solchen Regelverstoß gekommen: | |
| Eine Person soll aus ihrer Wohnbox heraus uriniert haben. Für Lüdecke ist | |
| die Situation nach diesem Vorfall „gekippt“. „Nachdem die Sozialarbeiter | |
| nicht reagiert haben, haben wir die rote Karte ausgegeben und das Haus | |
| verschlossen“, sagt er. Über den Menschen, dem der Schenkungsvertrag seiner | |
| Wohnbox entzogen wurde, sagt er: „Wir haben beim Bezirk von Januar bis Juni | |
| nachgefragt, was mit dieser Person passiert ist? Außer persönlichen | |
| Gesprächen wurde aber nichts erreicht.“ | |
| Stadtrat Nöll bewertet den Vorfall anders: Das Verhalten des Bewohners sei | |
| etwas, „womit man rechnen muss in diesem Personenkreis, der jahrelang auf | |
| der Straße gelebt hat. Der Verein war hier aber der Meinung, man müsse den | |
| Menschen sofort rauswerfen.“ | |
| Von Lüdecke komme der Vorwurf, das Sozialamt packe die Bewohner*innen | |
| in Watte, sagt Nöll: „Er hat da eher den Ansatz, man müsse die Menschen – | |
| ich zitiere wörtlich – ‚mit harter Hand anfassen‘. Dem haben wir nicht | |
| zugestimmt und in diesem Zuge kam es zu den Verwerfungen.“ Auch unter den | |
| Bewohner*innen habe die Situation für Unruhe und Unsicherheit gesorgt, | |
| sagt Nöll. Eine Person habe ihre Wohnbox am Ostbahnhof im Zuge des | |
| Konflikts verlassen. | |
| ## In der Wohnungslosenhilfe umstritten | |
| Der sozialpolitische Ansatz, der den Wohnboxen zugrunde liegt, ist in der | |
| Wohnungslosenhilfe umstritten. In einem Positionspapier aus 2019 kritisiert | |
| beispielsweise die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe die | |
| Etablierung von [2][Tiny Houses] als Antwort auf mangelnde | |
| Wohnraumversorgung: Sie befürchtet, dass auf diese Weise gerichtlich | |
| bestätigte Mindeststandards für die Unterbringung wohnungsloser Menschen | |
| unterlaufen werden und ein Zwei-Klassen-System des Wohnens entstehen | |
| könnte. | |
| Projekte wie Little Home fänden bei [3][wohnungslosen Menschen] nicht etwa | |
| Anklang, „weil die ‚Little Homes‘ so großartig sind, sondern weil die | |
| Alternativen dazu ziemlich beschissen sind“, sagt Stefan Schneider, | |
| Geschäftsführer der Wohnungslosen Stiftung, die sich für die | |
| Selbstorganisation wohnungsloser Menschen einsetzt. Man müsse sich selbst | |
| fragen: Würde ich in so einer Hütte wohnen wollen? „Du würdest | |
| wahrscheinlich sagen: ‚Nee, kann ich mir nicht vorstellen.‘“ Aber für | |
| obdachlose Menschen sei es dann offenbar doch gut genug. | |
| Natürlich gehe es auch darum, eine sinnstiftende Struktur für diese | |
| Personen zu finden, sagt Schneider. „Aber ich würde immer sagen: Eine | |
| Wohnungslosenhilfe muss mit einer Wohnung anfangen.“ | |
| 17 Dec 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Clara Zink | |
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