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# taz.de -- Die Wahrheit: Fucking Freitag
> Zum Black Friday: Kaufrausch, Schlussverkauf und Konsumkritik waren
> gestern. Heute ist wieder schwarzer Ramschtag für Normalos.
Bild: Monday I've got Friday on my mind …
Frankfurt am Main taz | Heute ist es wieder so weit: Junge Menschen auf der
ganzen Welt schwänzen die Schule und ziehen scharenweise in die
Innenstädte. Sie wissen, dass sie etwas tun müssen; dass nicht mehr viel
Zeit zum Handeln bleibt. Denn wenn der Black Friday zu Ende geht, enden
auch die herrlichen Rabatte und sagenhaften Sonderangebote. Dass die Jugend
schwarz sieht, ist nichts Neues, doch an diesem besonderen 29. 11. sehen
viele sogar rot – etwa wenn die doofe Gerlinde aus der 8a den letzten um
ein Viertel reduzierten WMF-Sous-vide-Garer weggeschnappt hat! Einige
Eltern lassen ihren Nachwuchs darum nur in voller Hockey-Montur bei „Black
Friday for Future“ mitmachen.
Überhaupt sind es selbstverständlich auch Erwachsene, die sich von der
Bewegung mitreißen lassen. Neu-Neuköllner Yuppies freuen sich, das dank den
Black-Friday-Schnäppchen gesparte Geld in ihr Start-up stecken zu können;
sogenannte Normies können mal eine zusätzliche Leasingrate für ihren
Daihatsu Cuore überweisen; und die vielfach geschmähten, aber stets
solventen Boomer halten das Konsumfest zwar für „kulturimperialistischen
Firlefanz“, schlagen aber trotzdem gern zu, wenn es bei Dehner zwei
Hollywoodschaukelauflagen zum Preis von einer gibt.
„Vielleicht ist dieser Tag das einzige Datum, das die gesamte Erste Welt
generationenübergreifend verbindet und dabei noch die Wirtschaft
ankurbelt“, analysiert BWL-Professor und Nestlé-Vorstandsmitglied Pjotr
Altenfrohne mit Tränen in den Augen. „Das gesamte Ausmaß auf unsere
Gesellschaft kann ich freilich nicht einschätzen, ich bin ja kein
Soziologe, ich will schließlich Geld verdienen, haha!“
In Ländern wie Frankreich, Brasilien, Polen, aber auch in Deutschland haben
die Black-Friday-Umsätze zuletzt sogar die des Weihnachtsgeschäfts
übertroffen. Die Wurzeln dieses Feiertags – das demnächst sogar mit Jeff
Bezos oder Friedrich Merz als Symbolfigur ein Pendant zu Santa Claus
erhalten soll – liegen indes natürlich in den USA. Es war im Neuengland des
Jahres 1639, als ein paar besonders umtriebige Pilgerväter den
amerikanischen Ureinwohnern erstmals masernverseuchte Wolldecken für nur 19
statt 20 Biberpelze verkauften. Der auf einen einzigen Tag beschränkte Deal
kam so gut an (wohl auch wegen der seitens der Kolonisten eingesetzten
Gewehre), dass man bis zum Ende des Jahres durchgehend schwarze Zahlen
schrieb – der Schwarze Freitag war geboren.
## Beliebte Bäuche und Routinen
Das Farbattribut wird heutzutage von Land zu Land unterschiedlich
interpretiert. In den Niederlanden begeht man den „Zwarte Vrijdag“, indem
sich Einzelhandelskaufmänner und Marketenderinnen die Gesichter mit
schwarzer Schuhcreme einreiben und ihre Waren in übertriebenem
Pseudogettoslang anpreisen. Kritik von Antidiskriminierungsverbänden stößt
auf taube Ohren.
„Het is heele maal een ur-oude Traditie“, rechtfertigt sich die
Unternehmerin Frau Antje auf Anfrage, „wir haben die um die Jahr
zweetausendzeven eingeführt, und de kinderen hebben eine Riesenspaß daran!
Leuk!“
Beliebte Bräuche und eingeschliffene Routinen lassen sich schwerlich
modifizieren. In Südafrika zumindest kann man eine Art Umdeutung
beobachten: Manche Standorte haben dort für heute einen „Friday for Blacks“
ausgerufen: Nichtweiße Kunden brauchen beim Verlassen des Geschäfts nicht
ihre kompletten Taschen auszuleeren, um zu beweisen, dass sie nichts
gestohlen haben.
## WSV im WWW
Und dann ist da freilich das Internet als inzwischen bedeutendster Player
im Ramsch-Business. Jeder Onlinestore, von Amazon über Otto bis zu
„Gudrun’s Makramee Eulen Lädchen“, veranstaltet einen sich oft über meh…
Wochen erstreckenden November-Sale. Mit ausgeklügelten psychologischen
Tricks (Kauf auf Rechnung, durchgestrichene Ziffern, bunte Blinker) gelingt
es den Shops, reihenweise Zahlungswillige aller Couleur zu ködern.
Und damit sind wir wieder bei der Jugend. Denn jene Mädchen und Jungen, die
sich nicht am Sturm auf Primark & Co. beteiligt haben, sitzen seit den
frühen Morgenstunden vor Webcam oder Handy und rezensieren ihre per
Same-Day-Delivery eintrudelnden Eroberungen aus dem WWW. „Das neue
[1][Lizzo-Album] auf Vinyl musste ich einfach haben. Ich weiß zwar nicht,
wie man das abspielt, aber 20 Prozent weniger sind halt mega – dafür krieg
ich zwei Tütchen Pfirsich-Melba-Badezusatz“, informiert die Influencerin
KeynesBabe02 ihre 870.000 Abonnenten auf YouTube. Zeitgleich bedankt sie
sich via Instagram-Story bei ihren Followern aus Bangladesch: „Much love
für das süße Teilchen, das ihr in 1 Sonderschicht zusammengenäht habt, ihr
Mäuse!!! <3 Ich bin innerlich tot.“
Noch bevor „Aspekte“ läuft, werden schätzungsweise 7 Millionen deutsche
Jugendliche ihr gesamtes Taschengeld für preisreduzierte Produkte
ausgegeben haben. Die strahlenden Gewinner dabei: alle. Thank god it’s
Friday.
29 Nov 2019
## LINKS
[1] https://www.n-tv.de/leute/Lizzo-laesst-nackte-Tatsachen-sprechen-article214…
## AUTOREN
Torsten Gaitzsch
## TAGS
Black Friday
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