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# taz.de -- Die Wahrheit: Held der tausend Martyrien
> Ein trostloser neuer Trend im Kino: Die früher so strahlenden Filmheroen
> sind allesamt auf dem furchtbar absteigenden Ast.
Bild: Heruntergekommen, fertig, die Unnerbüx voll – ein typischer, düsterer…
Rund um die Oscars diese Woche war es besonders zu bemerken. Mit dem guten
alten Happy End hat’s ein Ende: „Bleakquels“ sind in Hollywood gang und
gäbe. Die düsteren (bleak) Fortsetzungen (sequels) entwickeln sich auch im
deutschen Kino zum trostlosen Trend.
Im Mainstreamkino von vorgestern war alles so simpel. Der Held (seltener:
die Heldin) wurde gegen anfänglichen Widerwillen auf eine Rettungsmission
geschickt, zog ein, zwei treue Begleiter auf seine Seite, verdiente sich
mit Köpfchen, Stärke und Kühnheit erste Sporen, kämpfte sich, Erfahrung
anhäufend, von Hindernis zu Hindernis, erlitt zwischendurch vielleicht mal
einen kurzen Rückschlag, bezwang aber am Ende das Böse, durfte knutschen
und sich zufrieden aufs Altenteil zurückziehen.
Mit solchem formelhaften Schmus lockt man ein „Avengers“- und „Game of
Thrones“-geschultes Publikum freilich nicht mehr hinterm Ofen vor. Die
Hauptfiguren in dessen Lieblingsfilmen werden geschunden, erniedrigt,
verraten, neu besetzt oder mit albernen CGI-Effekten verschönert.
„Auch in Deutschland haben die Leute inzwischen genug von Friede, Freude,
Eierkuchen – vermutlich, weil sie das aus ihrem Alltag und den Nachrichten
kennen“, analysiert Regisseurin Hermine Huntgeburth und gibt zu: „Ich
bereue es, dass mein Udo-Lindenberg-Biopic ‚Mach dein Ding‘ allzu
versöhnlich endet. Am liebsten hätte ich dem Protagonisten noch einen
heftigen Schicksalsschlag verpasst, was weiß ich, er kann sich nur noch
unverständlich artikulieren oder muss für immer in einem Hotelzimmer
residieren …“
## Lieblingsfohlen für Drogenschulden
Weniger geschont werden sollen dagegen die Kinderfilmfiguren Bibi und Tina
im für 2021 geplanten Reboot „Bibi und Tina: Redemption“. Darin suchen die
beiden Teenager eine Mediatorin auf, nachdem Tina Bibis Lieblingsfohlen an
die Firma Wilke verkauft hat, um ihre Drogenschulden zu tilgen, woraufhin
Bibi ihr 50.000 Instagram-Follower wegzaubert. Doch die Mediatorin spielt
die Freundinnen mit fiesen Psychotricks erfolgreich gegeneinander aus und
errichtet auf dem Reiterhof ein Prepper-Gelände für Reichsbürger.
„Das zeige ich allerdings erst nach dem Abspann“, kündigt Detlev Buck an,
„damit die Zuschauer umso nachhaltiger traumatisiert werden!“
Auch die Familie in Til Schweigers Kassenschlager „Honig im Kopf“ soll bald
so richtig schön leiden. Wann der lang erwartete zweite Teil (Arbeitstitel:
„Honig in Kopf und Körper – jetzt streut er in alle Organe!“) erscheinen
wird, ist noch unklar, Gerüchten zufolge wolle man warten, bis Dieter
Hallervorden komplett senil und tatterig ist.
„Auf Hallervordens Charakter liegt ein Fluch, der ihn einfach nicht sterben
lässt“, verrät Schweiger, „und dem Publikum soll schon vom bloßen Anblick
unwohl werden, so wie mir, wenn ich die Kritiken von euch Arschlöchern
lese. Moment, warum rede ich überhaupt mit euch? Fuck you!“
Ein weiterer nationaler Blockbuster-Garant haut in diese Kerbe: „Otto – der
Kriegsfilm“ schickt seinen Helden als Trottelrekrut nach Afghanistan. Nach
allerlei Wüsten-Tohuwabohu erleidet Otto ein ausgewachsenes Kriegstrauma,
in der zweiten Hälfte der genresprengenden Dramödie sehen wir ihn
ausschließlich bei der Therapie. Die Tagline steht bereits fest: „Ich bin
durch die Hölle gegangen, holladihiti!“
Und Altmeister Michael Haneke arbeitet an einem „Bleakquel“, mit dem
wahrlich niemand gerechnet hat. Die ehemaligen Pennäler der Klamaukreihe
„Die Lümmel von der ersten Bank“ sind in „Hurra, die Seele brennt“
(Erscheinungsjahr voraussichtlich 2022, Schwarz-weiß-Produktion, 170
Minuten Länge) selbst Lehrer geworden und leiden unter Burn-out, weil ihnen
die Schüler keine ulkigen Streiche mehr spielen, sondern zeitgemäß auf
Mobbing und Cyberbullying zurückgreifen. Den digital restaurierten Heintje
erwischt es am ärgsten: Er zieht sich einen Stimmbruch zu.
## Katharsis als Spende
Zwar keine Fortsetzung, aber definitiv die beklemmendste Story über einen
deutschen Superhelden erzählt Kultproduzent Nico Hofmann: „Wir verfilmen
das Leben von Bernd Eichinger. Woah. Auf diesen Parforcer-Ritt ist selbst
die Zielgruppe von RTL nicht vorbereitet.“ Stilistisch soll sich der
Sechsteiler an „Der Untergang“ orientieren, doch im Gegensatz zu Hitler
bekommt Eichinger eine Katharsis spendiert, die er sich hart erkämpfen
muss.
„Wenn Eichinger nach seinen letzten Machwerken ‚Resident Evil: Afterlife‘
und ‚Die Superbullen‘ jeglicher Perspektive beraubt ist, darf er bei Gott,
dargestellt von mir, Nico Hofmann, um eine zweite Chance bitten. Ob er sie
erhält, erfahren Sie im Herbst.“
Man munkelt, den im Jahr 2011 verstorbenen Eichinger wird Allzweckwaffe
Lars Eidinger verkörpern, nicht nur wegen der Namensähnlichkeit – der
Casting-Aufruf verlangte explizit nach einem „bewegten, aber kaputten Mann,
der mit prekären Situationen Erfahrung hat, weil er etwa in
Berlin-Charlottenburg wohnen oder nebenberuflich Platten auflegen muss“.
Was aber kommt, wenn die Lust an gebrochenen Helden und ausgewalzten
Martyrien verschwindet? Vielleicht „Leakquels“, deren Handlung bereits vor
dem Kinostart geleakt wurden und die somit eigentlich überflüssig sind?
Oder, auf gut Deutsch, „Siegquels“, wo die Hauptperson von Anfang an
gewonnen hat? Unsere Nerven hätten es wahrlich verdient.
14 Feb 2020
## AUTOREN
Torsten Gaitzsch
## TAGS
Film
Helden
Lars Eidinger
Kunst
Kinder
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Lars Eidinger
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