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# taz.de -- Start der Karnevalssession: Wider den männlichen Ernst
> Der Aachener Karnevalsverein, Platzhirsch des Kamellehumors vor Ort,
> nimmt nach 160 Jahren nun auch Frauen auf.
Bild: Der Elferrat
Aachen taz | In Aachens Karneval wird 2019 mit einem Brauchtum gebrochen,
das man seit Erfindung des Tusches für unantastbar hielt: Die Session
(restdeutsch: Saison, vulgo „Fünfte Jahreszeit“) beginnt in diesem Jahr
offiziell am 10. statt am 11.11. Denn, so die Begründung: Sonntags hätten
die Menschen mehr Zeit zu feiern, vulgo: zu saufen. Eine Zäsur, ein
Erdrutsch.
Noch fassungsloser machen einen die Änderungen im Aachener Karnevalsverein
AKV. Dieser Jeckenklub, 160 stolze Jahre alt und damit prägend für die
Humor-DNA der Stadt, hat viele wichtige Funktionsträger: Elferrat,
Elferrats-Präsident, Senatoren, Ehrensenatoren, Ehrenhüte, dazu jedes Jahr
Ritter oder Ritterin Wider den tierischen Ernst. Und man hat viele sehr
langjährige treue Vereinsmitglieder: ausschließlich Männer. Aber das ist
jetzt anders.
Die Jahreshauptversammlung Ende August wird dafür in die Annalen eingehen:
Tatort Quellenhof, ein plüschig-biederer Übernachtungstempel mit fünf
Sternen, Aachens feinste Hoteladresse. Es gibt viele Ehrennadeln für 25-
oder 65-jährige Mitgliedschaft, dann hat Cilly Schumacher, 91 Jahre alt,
ihren Auftritt.
Man wird einmal sagen: Sie war die erste, als damals, 2019, tatsächlich
leibhaftige Frauen in seine Reihen aufgenommen hat. Cilly, die mit dem
würdevollen Lächeln einer gerührten Dame nach vorne geführt wird, erhält
sogar gleich die Ehren-Mitgliedschaft. Es setzt prasselnden Applaus von den
fast hundert anwesenden Vereinsmitgliedern. Oche Alaaf!
AKV-Präsident Werner Pfeil, 53, Rechtsanwalt und FDP-Landtagsabgeordneter,
spricht von einem „historischen Moment“. Cilly hatte, ganz Frau,
jahrzehntelang ihren verstorbenen Gatten bei seiner Humorarbeit im Verein
unterstützt und sich so für die Mitgliedschaft qualifiziert. Nach ihr
kommen noch sechs weitere Frauen nach vorn, alle sind neue Mitgliederinnen
im Alaafistenzirkel.
Das Finanzamt ist schuld
Wie konnte es so weit kommen mit dem feinen Kamelleklub, dessen Herren
sich, angeblich mit Selbstironie, seit jeher Lackschuhkarnevalisten nennen?
Feministische Lichtblicke?
Es war profaner: Die Finanzbehörden drohten mit Entzug der
Gemeinnützigkeit, falls der diskriminierende Passus, „jede unbescholtene
männliche Person“ könne Mitglied werden, nicht geändert würde. Das Wort
männlich musste raus. Der Satzungsänderung stimmten im Mai immerhin 80
Prozent des Herrenclubs zu. Nach Lackschuhen jetzt halt auch Stöckelschuhe,
hatte damals wer tuschwürdig gesagt.
Zudem, erklärt jetzt Kolja Linden, Sprecher des Elferrates, hätten auch die
Ordensritterinnen Kramp-Karrenbauer und Klöckner zuletzt gefragt, warum
denn nur Männer… ? „Da war es Zeit“, sagt er.
Begeistert klingt das nicht. Nein, es habe keine Ablehnungen bei weiblichen
Eintrittsbegehren gegeben. Und nein, es gab auch keine Austritte derer, die
sich für einen weiteren reinen Männerverein ins Zeug gelegt hatten.
Immerhin gab es einige freche Nein-Stimmen bei den Wiederwahlen zum
Elferrat. „Wir hatten mehr befürchtet.“
Bei den Wahlen, ebenfalls auf der Hauptversammlung, kommt es dennoch zu
einem kleinen Eklat wie es ihn nie zuvor gab, sagten nachher
jahrzehntelange Mitglieder: Der erste Wahlzettel einer der Neunärrinnen
wurde vergessen einzusammeln. „Kaum sind Frauen dabei, geht es schon
schief“, spottete nachher die übersehene Claudia Cormann, 56, Redakteurin
beim ARD-Morgenmagazin. Sie sei „die Erste gewesen, die noch am Abend der
Satzungsänderung den Mitgliedsantrag abgegeben“ habe. Stöckelschuhe trägt
sie nicht. Auch keine der anderen, von denen eine sich freut, jetzt könne
der AKV „Aachen in ein noch besseres Licht setzen“. Allerdings, sagt Werner
Pfeil nachher, das werde nicht mit einer Prinzessin Karneval statt eines
Prinzen passieren. „Das wollen wir so beibehalten.“
Karnevalisten beugen sich dem Klima
Das sei doch „umwerfend und grandios“ mit der Öffnung für Frauen, sagt
Cormann hinterher strahlend: „Wir haben Geschichte geschrieben.“ Ein
Gschmäckle hat ihr Eintritt dennoch, als sich herausstellt, dass sie
FDP-Politikerin ist: Erste Nachrückerin in spe für den Landtag und mit
Pfeil und einem anderen alten AKV-Fahrensmann zusammen in der
Parteifraktion des Rates der Städteregion Aachen. Der AKV, eine
Unterabteilung der FDP? Oder umgekehrt?
Wie auch immer: Pfeil hat inzwischen den nächsten Brauchtumsbruch
angekündigt, im nächsten Sommer werde die traditionelle AKV-Oldtimerrallye
wohl erstmals ausfallen. Aachen hat den Klimanotstand erklärt, da dürfte es
für Spaßfahrten der betagten Abgasschleudern keine Erlaubnis mehr geben.
Stattdessen, so Pfeil, plane man jetzt etwas mit Elektromobilität. Und dann
unterzeichnen beide noch den Radentscheid Aachen und halfen, dass das
Bürgerbegehren mit über 38.000 Stimmen der erfolgreichste Radentscheid
Deutschlands wurde. Zwei prominente FDP-Stimmen – das war fast so
sensationell wie Frauen im Alaafistenzirkel. Entschuldigung: jetzt auch
Alaafistinnenzirkel.
Am vergangenen Mittwoch nahm der Stadtrat das Bürgerbegehren dann an, fast
einstimmig. Allein die drei Abgesandten der Autofahrerpartei FDP votierten
aufrecht dagegen, gemeinsam mit einem aus der rechten „Allianz für Aachen“.
Wenigstens auf politische Borniertheit bleibt in Aachen Verlass.
10 Nov 2019
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
Karnevalsvereine
Aachen
FDP
Frauenbewegung
Gleichberechtigung
Fasching
Pferde
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Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Fasching
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