# taz.de -- Berliner Mietendeckel: Augen auf beim Wohnungskauf | |
> Kleinvermieter*innen in Berlin beschweren sich: Der Mietendeckel treffe | |
> auch sie. Ein paar Antworten zur Orientierung abseits der Emotionen. | |
Bild: Fürs Alter vorgesorgt haben: ein schöner Gedanke | |
## Der Berliner Mietendeckel trifft nicht nur die Miethaie, sondern auch | |
die Kleinvermieter*innen. Das sind doch die Guten? | |
Kleinvermieter*innen gelten als die Engel unter den Vermietenden, weil sie | |
nur eine oder wenige Wohnungen besitzen, ihre Mieter*innen womöglich | |
persönlich kennen und deshalb fairer sind. In Deutschland werden laut IW | |
Köln 60 Prozent der Wohnungen auf diese Weise vermietet, für Berlin | |
kursiert ein Schätzwert von rund einem Drittel der Wohnungen, das wären | |
500.000. | |
Grundsätzlich werden die Mieten mit dem Mietendeckel wieder auf den | |
Mietspiegel von 2013 gesenkt. Wer also damals eine Wohnung gekauft und | |
tatsächlich mit fairen Mieteinnahmen kalkuliert hat, der hat überhaupt kein | |
Problem. Wer sogar davor gekauft hat, hat ohnehin das Geschäft seines | |
Lebens gemacht. Seit den 90ern hat sich der Wert von Wohn- und | |
Geschäftshäusern in Berlin im Schnitt verfünffacht, zitiert die | |
Immobilienzeitung einen Fachmann. | |
Wer Ende 2011 eine Wohnung gekauft hat, genoss bis Ende 2018 laut | |
Investitionsbank Berlin mehr als eine Verdopplung des Werts. | |
Lediglich, wer später als Anfang 2017 gekauft hat und mit den damaligen, | |
bereits hohen Mieten kalkulierte, hat sich verzockt: Marktanalysten von | |
Empirica Systeme haben grob überschlagen, dass 56 bis 84 Prozent | |
derjenigen, die sich in den letzten 1,5 Jahren eine vermietete Wohnung in | |
Berlin gekauft haben, vom Mietendeckel betroffen sind und 17 bis 38 Prozent | |
weniger Einnahmen erzielen. Damals aber gab es längst Warnungen vor einer | |
Immobilienblase in deutschen Großstädten. Hätte man wissen können. Zwingt | |
der Mietendeckel die Betroffenen jetzt zum Verkauf, so liegt der | |
Wertzuwachs ihrer Wohnung im Schnitt unter den Kaufnebenkosten. | |
## Was sind Kaufnebenkosten? | |
Die sind echt ätzend. In Berlin sind das 15 Prozent für Staat, Makler, | |
Notar und Grundbucheintrag. Wer als Kleinsparer*in 2018 eine Wohnung für | |
400.000 Euro gekauft hat, zahlte 60.000 zusätzlich, allein für die | |
Möglichkeit, eine Butze zu erwerben. Puff, weg. Verlustgeschäft. | |
## Wie hoch darf in Berlin eigentlich eine Miete sein, damit sie noch als | |
fair gilt? | |
[1][Der Berliner Senat sagt]: Zwischen 3,92 pro Quadratmeter für den, der | |
im Altbau von vor dem vorletzten Weltkrieg ohne vernünftiges Bad wohnt, und | |
9,80 Euro für einen Neubau bis 2013. Die Hauptstadt hat die Mieten nun für | |
alle Häuser älter als 2013 für fünf Jahre gedeckelt. Wer 20 Prozent mehr | |
zahlt, als vom Senat vorgesehen, der kann verlangen, dass die Miete gesenkt | |
wird. | |
Da freuen sich viele Mieter*innen, viele hatten die Schnauze voll, weil | |
sich selbst die Mittelschicht keine Wohnung in der Stadt mehr leisten | |
konnte. Im Schnitt stiegen die Kaltmieten für neu bezogene Wohnungen von | |
Ende 2012 bis Ende 2018 in Berlin um 54 Prozent auf 10,7 Euro pro | |
Quadratmeter. Die großen privaten Immobiliengesellschaften verlangten | |
[2][laut Daten von Mietenwatch] zuletzt alle über 12, viele bereits 20 Euro | |
Kaltmiete pro Quadratmeter – welche Familie kann sich schon 2.000 Euro | |
Kaltmiete leisten? Das durchschnittliche Nettoeinkommen Berliner Haushalte | |
liegt bei 2.025 Euro [3][(Quelle: IBB)]. | |
## Und wie argumentieren die Kleinvermieter*innen, was fair ist? | |
Vermieter*innen argumentieren für gewöhnlich mit ihrer Eigenkapitalrendite. | |
Also dem, was bei ihnen unterm Strich hängen bleibt: die Mieteinnahmen | |
minus aller Kosten und Steuern. Um zu beurteilen, ob das eine faire Rendite | |
ist, eignet sich das langfristige durchschnittliche Wirtschaftswachstum. | |
Zwischen 2000 und 2018 betrug es in Deutschland 1,4 Prozent pro Jahr. | |
Wer Geld also so anlegt, dass es mehr Rendite abwirft als das, der zieht | |
Wohlstand von anderen ab. Oder aus dem Ausland; das weltweite Wachstum | |
liegt höher. Übrigens gilt das auch für Riester-Sparer: Mein Vertrag wirft | |
2,5 Prozent im Jahr ab, ich spare auf Kosten anderer für die Rente. Sollte | |
jemand sogar versuchen, von seinen Mieter*innen mehr als 6 Prozent Rendite | |
einzutreiben, dann ist das der langfristige Versuch, den Aktienmarkt zu | |
schlagen. Eindeutig Zockerei. Was natürlich passieren kann ist, dass eine | |
Vermieterin oder ein Vermieter eine Wohnung wegen der allgemeinen | |
Preisexplosion so teuer gekauft hat, dass die Rendite zwar niedrig ist | |
(vulgo: fair), die Mieten aber trotzdem so hoch ausfallen, dass sie nur | |
Betuchte zahlen können. Glücklich ist hier nur, wer die Immobilie so teuer | |
verkauft hat. | |
Nebenbei: Wer so wenig verdient, dass nichts zum Sparen fürs Alter übrig | |
bleibt, ist seit Jahren am Arsch. Er oder sie sieht nichts als steigende | |
Mieten. | |
## Und wenn Kleinvermieter*innen nur fürs Alter sparen wollen? | |
Ein berechtigtes Anliegen. Aber dahinter steckt der Anspruch der | |
Vermieter*innen, ihnen doch bitte zu ermöglichen, eine Wohnung oder ein | |
Haus an die Nachkommen zu vererben. Wer nämlich von Mieteinnahmen leben | |
will, der will von den Zinsen (den Mieteinnahmen) seines Kapitalstocks (der | |
Wohnung) leben. Und verlangt, dass dieser Kapitalstock bis zu seinem Tod | |
komplett erhalten bleibt. | |
Wer mit Riester, Aktien oder einem Banksparplan für die Rente vorsorgt, der | |
gibt das Ersparte im Alter aus. Riester-Rentner haben in der Regel eine | |
zehnjährige Garantie, dass die Nachkommen im Todesfall noch einen mit der | |
Zeit kleiner werdenden Teil des angesparten Geldes ausbezahlt bekommen. | |
Danach gibt es nichts mehr. Wer also wegen des Mietendeckels seine | |
vermietete Wohnung bis 65 oder 67 nicht abbezahlt bekommt, kann auch die | |
Immobilie verkaufen, den Restkredit tilgen und den Erlös verfrühstücken. | |
## Was verdienen Kleinvermieter*innen? | |
Die Angaben schwanken extrem, aber es gibt Anhaltspunkte, etwa bei | |
[4][Immowelt] oder bei [5][Empirica Systeme]. Wer in den letzten zehn | |
Jahren eine Wohnung in Berlin gekauft hat, erzielt demnach zwischen 2 und 6 | |
Prozent der Kaufsumme als Einnahmen im Jahr. | |
Bemerkenswert dabei ist, dass unvermietete leere Wohnungen als besonders | |
attraktiv galten, weil man dann bei Neuvermietungen gleich mal die Miete | |
hochtreiben kann. Auf die Mietpreisbremse des Bundes pfeifen die meisten | |
Anbieter, hat Mietenwatch ermittelt. | |
Nun sind die 2 bis 6 Prozent aber rein brutto. Davon müssen die | |
Vermietenden Einkommenssteuern auf den Gewinn abziehen sowie allerlei | |
Kosten. Dazu zählen neben Verwaltungskosten auch Rücklagen für | |
Instandhaltung. Laut dem Verband Haus & Grund sind das je nach Alter des | |
Hauses zwischen 7,1 Euro und 11,5 Euro pro Quadratmeter und Jahr. Grob über | |
den Hausflur gepeilt, entspricht das einer Monatsmiete. | |
## Aber wenn man einen Kredit aufgenommen hat, muss man als Vermieter*in | |
doch auch die Zinsen dafür bezahlen? | |
Darüber klagen die meisten Kleinvermieter*innen. In der Debatte darüber | |
geht auch am meisten durcheinander. Die meisten Vermieter*innen stellen | |
einen Kredit als Last dar, die Zinsen würden ihre Einnahmen schmälern. Das | |
ist Blödsinn. Ein Immobilienkredit erhöht die Eigenkapitalrendite. Das geht | |
so: Angenommen, Sie haben 100.000 Euro und bekommen mit einem alten | |
Sparvertrag 3 Prozent Zinsen. Nach einem Jahr haben Sie mit Ihrem | |
eingesetzten Kapital also 3.000 Euro verdient. | |
Oder aber, Sie hatten dank Ihres Eigenkapitals das Privileg, vor ein paar | |
Jahren einen günstigen Immobilienkredit bekommen zu haben. Sagen wir, | |
300.000 Euro zu 2 Prozent Zinsen. Dafür berappen Sie 6.000 Euro Zinsen im | |
ersten Jahr (die als Werbungskosten auch noch Ihre Steuerlast senken). Ihre | |
insgesamt 400.000 Euro investierten Sie in eine vermietete 2,5-Zimmer | |
Wohnung in Mitte, 70 Quadratmeter. Die Mieter*innen finanzieren Ihnen mit | |
rund 14 Euro pro Quadratmeter 3 Prozent Rendite auf den Kaufpreis (so war | |
es in den letzten Jahren üblich). Sie nehmen also 12.000 Euro ein, und | |
abzüglich der Zinskosten haben Sie mit Ihrem selbst eingesetzten Kapital in | |
einem Jahr 6.000 Euro verdient. | |
Der Kreditzins ist also keine Last, weil Sie mithilfe des Kredits Ihren | |
Gewinn abzüglich der Zinsen sogar verdoppelt haben. Das nennt sich | |
„hebeln“, Investoren machen es ständig. Und nun müssen Sie bedenken, dass | |
die Zinsen für Ihren Immobilienkredit, der das Hebeln erst ermöglicht, | |
gerade so niedrig ist, weil die Europäische Zentralbank das so will. | |
Darunter leiden wiederum Ihre Mieter*innen, die fürs Alter etwa | |
Riester-Verträge abgeschlossen haben: Diese werfen wegen der niedrigen | |
Zinsen gerade immer weniger ab. | |
## Wird wegen des Mietendeckels weniger gebaut? | |
Vermutlich nicht, aus einem ganz einfach Grund: Der Deckel gilt nicht für | |
Neubauten. Die Wohnungssituation in Berlin wird der Mietendeckel sicherlich | |
auch nicht entspannen, aber das war ja auch nicht die Idee. Sondern eine | |
Entlastung der Mieter*innen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung | |
hat kürzlich verschiedene Formen der Mietregulierung in den letzten 100 | |
Jahren in 27 Länder untersucht. (Erkenntnis nebenbei: Dass der Staat | |
eingreift ist üblich, kein DDR-Sozialismus). Das Ergebnis zeigt, dass | |
Mietbremsen häufig dazu führten, dass mehr Menschen eine Eigentumswohnung | |
kaufen, weil Investoren auf Renditesuche ihre Immobilien abstoßen und | |
weiterziehen. Das wäre nicht das schlechteste Ende der Geschichte. | |
2 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Berliner-Wohnungspolitik/!5635716 | |
[2] /Mietenwatch-Studie/!5628555 | |
[3] https://www.ibb.de/media/dokumente/publikationen/berliner-wohnungsmarkt/woh… | |
[4] https://www.immowelt-group.de/presse/pressemitteilungenkontakt/immoweltde/2… | |
[5] https://www.empirica-systeme.de/2019/10/06/immobilienmarktdaten-update-q3-2… | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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