# taz.de -- Der Streit um den Mietendeckel ist faul: Je weniger Zweifel, desto … | |
> Beim Streit um den Mietendeckel gehts um das bessere System. Das wäre ok, | |
> gingen dabei nicht alle Zweifel am eigenen Richtigsein flöten. | |
Bild: Alle mal untenbleiben, tief durchatmen – und dann diskutieren | |
Die Städte sind kaputt. Das hab ich oft gedacht, als in dieser Woche die | |
Fetzen flogen wegen [1][des Mietendeckels]. Digitale Fetzen natürlich, denn | |
wo begegnen Menschen sich schon noch, um zu streiten, außer auf Twitter? | |
Keine Sorge, ich will hier nichts gegen das Internet sagen, ich bin | |
bekennender Fan seit 1999, oder wann immer das war, als ich rausfand, dass | |
man da prima von den Eltern unbelauscht mit der Welt draußen kommunizieren | |
konnte. Man kann im Netz natürlich auch viel Vertrautes lesen, | |
Filterbubbles sei Dank. Das kann angenehm sein, aber auch bizarr langweilig | |
werden, wenn die Blasen zu feinporigem Schaum werden: je dichter, desto | |
schlechter die Sicht. | |
In den Städten ist es ähnlich, je mehr Menschen hinziehen, desto feiner | |
sortieren sich [2][die Grüppchen der Gleichen]. Dabei ist das Dach überm | |
Kopf so ziemlich das letzte Haptische, was der Mensch noch braucht. Der | |
meiste andere Kram, inklusive menschlicher Wärme, fände sich theoretisch | |
digital. Warum also der ganze fuss [3][um bezahlbaren Wohnraum in den | |
Innenstädten]? Ist es nicht eigentlich wurscht, wenn ein paar Superreiche | |
da unter sich wohnen und der Rest von uns aus ihren Butzen in Britz und | |
Blankenfelde am – ohnehin digitalen – öffentlichen Leben teilnimmt? | |
Es ist nicht wurscht, klar. Wohnraum ist halt mehr als das Dach über Kopf, | |
es ist auch das, was um die eigene Butze so drumherum ist. Die Stadt ist da | |
schon immer noch das Ideal. Weil sie Aufregung, Abenteuer und Amüsement | |
verheißt und ab und an auch liefert. Warum strömen die Menschen denn in | |
Scharen in die Metropolen, wenn nicht, um den immer selben Nasen in ihrem | |
oberhessischen oder ostanatolischen oder nordkatalanischen Dorf zu | |
entfliehen und mal was anderes zu sehen, zu hören, zu riechen? Ja, ja, der | |
billigen Mieten wegen – die es schon lange in keiner Metropole mehr gibt. | |
Der Jobs wegen – als ob sich die meisten unserer Bullshit-Jobs im 21. | |
Jahrhundert nicht prima von einer Strandhütte in Bali aus erledigen lassen | |
würden. Auch diese Kolumne braucht kein Büro. | |
In Wahrheit ist es die Lust am Unterschied, denke ich. Städte sind Orte, wo | |
Menschen ihn feiern. Theoretisch. Allzu viel davon will dann doch kaum | |
einer, scheint es mir. Während die einen unter sich bleiben, weil sie die | |
Einzigen sind, die sich bestimmte Gegenden leisten können, bleiben die | |
anderen zumindest ideell gern unter sich. Wenn man sich schon so viel Mühe | |
macht, das richtige, das gute Leben zu leben, soll bitte keiner mit einem | |
anderen Konzept vom guten Leben stören. (Bevor es jetzt wieder zu | |
Missverständnissen kommt: Mit Unterschiede feiern meine ich nicht, mit | |
Rechten zu reden oder Menschenverachtung gleichmütig hinzunehmen.) Aber was | |
gerade um den Mietendeckel wütet, ist ein kalter Krieg im urbanen Biotop. | |
Entweder du bist für Eigentum oder für Enteignung. Individualismus gegen | |
Kollektivierung, Kapitalismus gegen Kommunismus. Drunter wird gerade nicht | |
geschossen. | |
Ich hab nichts dagegen, über das bessere System zu diskutieren – oder | |
vielleicht sogar über eines, das tatsächlich gut wäre. Aber ich finde es | |
menschlich und intellektuell ermattend, wenn schon im Biotop derer, die | |
auszogen, den Unterschied zu feiern, jetzt peinlich zwischen Freund und | |
Feind unterschieden wird. Wenn Leute als Großkapitalisten gedisst werden, | |
[4][die eine Eigentumswohnung besitzen]. Sorry, das Leben ist nicht | |
gerecht. Weder im Kapitalismus noch im Sozialismus. Selbst wenn alle zur | |
Einheitsmiete wohnen (und ja, Wohnen ist ein Menschenrecht, finde ich ja | |
auch): Es gibt immer einen Nachbarn, der ein größeres Auto, mehr | |
Sexualpartner, schönere Haare hat. Kann man sich drüber ärgern (dann wird’s | |
mit den Sexualpartnern noch schwieriger), oder man geht raus und amüsiert | |
sich. | |
Das ist eigentlich immer die beste Lösung, und klar: Deshalb wohne auch ich | |
lieber in der Innenstadt, da, wo die Straßen von Platanen gesäumt sind und | |
die Luft nach Lindenblüten duftet. Wo ich zum Club laufen kann und es zum | |
besten Falafel auch nachts um 3 nur zehn Minuten sind. Wo ich in der Kneipe | |
an der Ecke schöne und gebildete Menschen treffen, mit denen ich über den | |
[5][Feminismus in der Netflixserie „Fleabag“] oder die letzte | |
René-Pollesch-Inszenierung diskutieren kann. | |
Sprich: Wo ich vor allem mich selbst feiern kann. Weil ich natürlich nach | |
Feierabend auch lieber höre, dass ich nicht ganz falsch liege mit meinem | |
Leben. Eine Runde Bestätigung, bitte. Wenn ich in der Kneipe niemanden | |
finde, der einen ausgibt, kann ich im Netz gucken. Da gibt’s immer einen | |
mit meiner Meinung. Das Problem ist nur: je mehr Bestätigung, desto weniger | |
Zweifel. Je weniger Zweifel, denke ich gerade mal wieder, desto schlechter | |
die Gesellschaft. | |
Der Mietendeckel mag für die einen mehr Gerechtigkeit schaffen. Mehr | |
Zweifel am eigenen Richtigliegen bei uns allen schafft er gerade nicht. | |
28 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ariane Lemme | |
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