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# taz.de -- Debatte um Mietendeckel: Wohneigentum ist keine Schande
> Die Diskussion um den Mietendeckel wird grotesk: Einige arbeiten sich an
> Eigentümern einzelner Wohnung ab. Der Feind ist ein anderer.
Bild: Deckel drauf: Demonstration gegen Mieterhöhung und Gentrifizierung in Be…
Fangen wir mit den Begrifflichkeiten an. Gerade hat der Berliner Senat den
sogenannten Mietendeckel beschlossen. Ein richtig blödes Wort, das doch
eigentlich etwas Gutes meint. Deckel auf Töpfen, in denen es brodelt und
kocht, waren noch nie eine gute Idee, weder physikalisch noch politisch. So
betrachtet darf meine Geburtsstadt Berlin künftig als einzigartige
sozialpolitische Versuchsanordnung betrachtet werden: Entweder das Ding
fliegt irgendwann komplett in die Luft. Oder der Deckel bleibt drauf und am
Ende werden alle satt – auch die bislang hungrig Gehaltenen.
Eigentlich handelt es sich [1][beim Mietendeckel] um einen auf fünf Jahre
begrenzten Mietenstopp. Betroffen sind davon anderthalb Millionen
hauptstädtische Wohnungen, was bei dreieinhalb Millionen BerlinerInnen
keine Kleinigkeit ist. Künftig müsse jene um ihr als Naturrecht
verstandenes Renditeversprechen bangen, die schon bisher den Hals nicht
voll bekommen haben: Anleger von börsennotierten Immobilientrusts, denen
die Menschen in ihren „Mietsachen“ herzlich egal sind. Zumindest solange
sie ohne zu mucken pünktlich zum 1. d. M. zahlen.
Das Problem ist nun jedoch, dass das Leben, wie so oft, nicht ganz so
eindimensional zu erklären ist. Denn weil es den anonymen
Immobilienmillionären aus Barcelona, Moskau oder Bad Godesberg bislang
herzlich egal war und weiterhin ist, wenn Menschen in Berlin, München oder
Frankfurt sauer auf sie sind und vor Sorge um ihren Platz im Leben schlecht
schlafen, verlegen sich kritische MieterInnen neuerdings lieber darauf,
EigentümerInnen einzelner Wohnungen oder Häuser zu schmähen.
Statt sich prinzipiell und gemeinsam gegen den überhitzten Wohnungsmarkt
und globale Hedgefonds zu positionieren, richtet die Wut sich der
Einfachheit und ideologischen Übersichtlichkeit halber auf EigentümerInnen
einzelner Wohnungen und Grundstücke. Leute also, die sich privat Geld für
einen Kredit borgen, sich von ihren Eltern und Großeltern schon zu deren
Lebzeiten ihr Erbe oder einen Teil davon auszahlen lassen oder – ja, das
gibt es – die ganz gut verdienen.
Bei Twitter etwa wurde diese Woche eine Kollegin, die den Mietendeckel
wegen seiner Auswirkungen auf KleinvermieterInnen kritisiert hat, teils
aufs Übelste beschimpft. Sie bekam Drohmails, wurde sexistisch angegangen
oder ultimativ aufgefordert, ihre private finanzielle Situation öffentlich
darzulegen. Sie wurde als wahlweise dummes junges Ding oder abtrünnige
Neoliberale geschmäht.
Der schlichte argumentative Angang in der Debatte ist in der Regel etwa
dieser: Dass du eine Wohnung bezahlen kannst, ich aber nicht, beweist, dass
du ein privilegiertes Arschloch bist. Es wird dann gern ein bisschen
persönlich, die Aufforderung, sich für Privatestes zu rechtfertigen, steht
im Raum. Der eigene Distinktionsgewinn, zumal im zeigefreudigen digitalen
Raum, wächst bei ansteigendem Ton recht angenehm.
Hier meine Gegenthese: Sorry, Wohneigentum ist keine Schande, erst recht
nicht, wenn es um die selbst genutzte Immobilie geht.
Um die Sache hier etwas zu verklaren, soll nicht unerwähnt bleiben, dass
ich als Autorin dieses Textes glasklar der Arschloch-Fraktion angehöre. Ich
besitze mit meinem Mann ein Haus im Brandenburgischen, das wir vor über
zwanzig Jahren mit Unterstützung durch unsere Familien anfinanziert und
dann fleißig abbezahlt haben. Wir waren Anfang dreißig, hatten zwei kleine
Kinder und keinen Bock mehr, jeden Monat die üppige Szenequartier-Miete zu
zahlen. Dann doch lieber das bisschen Geld, das wir verdienten, in was
Eigenes investieren. Klingt uncool? War es auch. Aber eben auch nicht
unschlau.
Wir hatten damals, Mitte der Neunziger, nicht gut verhandelt, der Kasten
war im Grunde zu teuer und für den Preis nicht im allerbesten Zustand. Als
dann während der deutschen Wirtschaftskrise in den 2000er Jahren der Wert
der Immobilie sank und sank, befürchteten wir, das Ersparte unserer
Nachkriegs-Elterngeneration hoffnungslos in den märkischen Sand gesetzt zu
haben.
Unsere Stimmung hellte sich erst wieder etwas auf, als die ersten Freunde
und Kollegen uns scheinbar nebenbei fragten, ob da draußen in den Weiten
Brandenburgs noch etwas käuflich zu erwerben sei. Wenn diese hippen Hobos
zu uns in die Provinz kommen wollten, dachten wir, mussten wir wohl
irgendwas richtig gemacht haben. Und da hatten wir verdammt noch mal recht.
Denn die Zeiten hatten sich komplett gedreht. Aus Arm-aber-sexy-Berlin war
Reich-und-unsexy-Berlin geworden. Meine Stadt war verkauft worden und hatte
nun keinen bezahlbaren Platz mehr für Familien, Alte oder Lebenskünstler.
Immobilien wurden zur Ware und der einsetzende Mangel entzweite die
BewohnerInnen gefühlt in Mieter und Verbrecher. Seit vielen Jahren nun ist
Berlin wieder geteilt: in Eigentümer und jene, die nicht schnell und – oft
unverdient qua Herkunft, aber deshalb eben auch nicht schuldhaft – flüssig
genug gewesen waren, sich in den Eigentümerstatus zu retten.
## Panikmache der Immobilienbranche
Denn anders als Rettung kann man kaum nennen, was sich in jenen Jahren
vollzog. 2004 hatte der rot-rot geführte Berliner Senat es für eine gute
Idee gehalten, [2][gemeinnütziges Wohnungseigentum an zwei global
operierende Fondsgesellschaften zu verkaufen]; der zuständige Finanzsenator
war ein gewisser Thilo Sarrazin. Der Deal brachte die gesamte soziale
Tektonik der Stadtgesellschaft ins Wanken.
Ab 2010, mit Beginn der Eurokrise, konnten sich Familien dann endgültig
nicht mehr einfach entscheiden zwischen Miete oder Rate. AnlegerInnen aus
Krisenländern und Autokratenstaaten steckten ihre Millionen in Berliner
Altbauten. Der Mietmarkt war im Nu leergefegt, Wohnen wurde unbezahlbar
sowohl für wachsende Familien als auch für Rentner, Alleinerziehende und
jene traumhafte Vielfalt, die Berlin bis dahin ausgemacht hatte. Jene, die
okaye Vermieter hatten, hielten sich an ihrer Butze fest und hofften, dass
nicht doch irgendwann der Brief eines Immobilienanwalts in der Post liegt.
Viel zu viele hofften umsonst.
Seither sind die Preise immer nur gestiegen. Der Mietendeckel ist der
folgerichtige Versuch der Politik, Gier und neoliberaler Kälte etwas
entgegenzusetzen. Schon sacken die Aktienwerte von Deutsche Wohnen oder
Vonovia ab – massenhafter, anonymer Immobilienerwerb wird erfreulich
unattraktiv.
Das aktuell lautstarke Geheule der global vernetzten Immobilienlobby, die
Politik sei dafür verantwortlich, was wegen des Mietendeckels ab jetzt
Grauenhaftes mit ihren angeblich ach so pfleglich behandelten MieterInnen
passieren werde, ist wohlfeil und sehr wahrscheinlich nichts als
Panikmache. Allein 2018 wurden in Berlin [3][27.500 Immobilien für 19,2
Milliarden Euro] verkauft. Gleichzeitig ist die Zahl der Käufe um 11
Prozent gesunken – ein zunehmender Anteil der Immobiliengeschäfte in Berlin
spielt sich also im oberen Preissegment ab.
## Keine Lust auf Arschloch- und Privilegierten-Schmähung
Viele, auch sich selbst als links verstehende Zeitgenossen, haben in den
zurückliegenden anderthalb Jahrzehnten ihr Heil im Eigentum gesucht. Sie
kauften sich in Baugruppen ein, in Stadtrandsiedlungen und neue Gated
Communities. Dass sie Eigentümer wurden und es bis heute sind, darüber wird
eher nicht so gern gesprochen.
Warum auch? Sein persönliches Schicksal einem unbekannten Bauinvestor
anvertraut und die Anzahlung auf eine deutlich zu eng geplante und
überteuerte Baulücke geleistet zu haben, stellte zu dieser Zeit mitunter
die einzige Möglichkeit dar, sich vor anmarschierenden Immobilientrusts zu
schützen. Aber sich dafür auch noch beschimpfen lassen? Danke, nein.
Es sind genau diese Leute, die heute beim Thema Mietendeckel lieber
Stillschweigen bewahren, weil sie keine Lust haben auf Arschloch- und
Privilegierten-Schmähungen. Das Beispiel der taz-Redakteurin zeigt ja, wie
mit Leuten verfahren wird, die eine differenzierte, eine andere und von mir
aus auch kritische Sicht auf Entscheidungen der Politik haben.
Die tatsächlichen Gegner, das sind doch nicht Leute wie die Kollegin. Oder
ich auf meiner brandenburgischen Scholle. Oder das Paar, das sein geerbtes
Haus in München vermietet. Das Problem sind die Trusts mit den
Fantasienamen, die sich durch deutsche Städte fressen und ihre Anwälte von
der Kette lassen, wenn die Mieter nicht spuren.
Sich an EigentümerInnen abzuarbeiten, die ein Gesicht, ein Gewissen und
vielleicht auch mal eine andere Meinung haben, ist eine wohlfeile
moralische Entlastungshandlung, weil die anderen nicht zu fassen sind.
Solange jedoch der Ton derart selbstgewiss und hochfahrend bleibt, wird es
keine echte Auseinandersetzung geben, sondern nur marktgetriebenes
Misstrauen. Übrigens auch kein Füreinander. Und das wird in spätestens fünf
Jahren wieder nötig sein. Dann nämlich wird der Mietendeckel vom Topf
genommen.
28 Oct 2019
## LINKS
[1] /Rot-Rot-Gruen/!5632989/
[2] https://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/pressemitteilungen/2004/pressemitte…
[3] https://www.rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2019/07/berlin-wohnungspreise-immob…
## AUTOREN
Anja Maier
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Für R2G könnte das ein Aufbruchsignal sein. Könnte.
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