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# taz.de -- Studie zu Obdachlosigkeit in Deutschland: Ineffiziente Notfallhilfen
> Geflüchtete und Alleinstehende sind besonders oft wohnungslos. Es fehlen
> Beratungsstellen und bedarfsgerechte Angebote.
Bild: Aus der Not heraus: Pfandsammler am Maschsee in Hannover
Bremen taz | Zwischen 313.000 und 337.000 Menschen in Deutschland hatten
Ende Mai 2018 keinen festen Wohnsitz. Mietschulden und
Mietzahlungsschwierigkeiten sind mit großem Abstand der häufigste Auslöser
für Wohnungslosigkeit. Die größte Gruppe der Betroffenen sind Geflüchtete
mit Schutzstatus. Und bei der überwiegenden Mehrheit der wohnungslosen
Menschen handelt es sich um Alleinstehende.
Das sind die zentralen Aussagen einer am 4. November in Bremen
vorgestellten Studie. Die in der Stadt ansässige Gesellschaft für
innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS) hat damit erstmals seit
15 Jahren Daten und Zahlen zur Wohnungs- und Obdachlosigkeit in der
Bundesrepublik vorgelegt. Im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales befragten die Wissenschaftler mehr als 400 Einrichtungen in allen
Bundesländern, sie erarbeiteten Fallstudien und sprachen mit mehr als 30
wohnungslosen Menschen.
Wie viele Wohnungslose auf einzelne Bundesländer oder Städte entfallen,
steht jedoch auch in der neuen Studie nicht. Diese Zahlen soll demnächst
die von der Bundesregierung beschlossene Bundeswohnungslosenstatistik
erfassen, sagt Projektleiter Volker Busch-Geertsema. Schätzungen zufolge
leben in Bremen 500 bis 600 wohnungslose Menschen. In Niedersachsen könnten
es bis zu 20.000 sein. Laut der Studie ist Wohnungslosigkeit nicht mit
Obdachlosigkeit gleichzusetzen. Menschen ohne eigene Wohnung landen nicht
unweigerlich auf der Straße, sondern können zumindest zeitweise etwa bei
Bekannten oder Verwandten unterkommen.
Die Studie zeigt, dass das Recht in Deutschland zwar viele Instrumente zur
Vermeidung und Behebung von Wohnungslosigkeit vorsieht, diese jedoch nicht
immer und überall genutzt werden. Kommunale Wohnungsnotfallhilfen sind
häufig nicht ausreichend aufeinander abgestimmt.
Bedarfsgerechte Angebote fehlen insbesondere für junge Erwachsene, Frauen
und Familien mit minderjährigen Kindern, Menschen mit psychischen
Erkrankungen und Ältere sowie Menschen mit Migrationshintergrund.
Damit Wohnungslose oder von Wohnungsnot Bedrohte nicht in die
Obdachlosigkeit abgleiten, übernehmen Jobcenter unter bestimmten
Bedingungen Mietschulden. Den Autoren der Studie zufolge werden aber nicht
alle Anträge bewilligt, auch weil die rechtliche Grundlage ungenau
formuliert ist. Vielen sei zudem gar nicht bekannt, dass Mietschulden auch
dann übernommen werden können, wenn der oder die Betreffende keine
Sozialleistungen bezieht.
Beratungsangebote sollten in einer kommunalen Fachstelle für
Wohnungslosigkeit gebündelt werden, regen die Autoren an. In Bremen gibt es
bereits eine solche Stelle. Auch Obdachlosen werde hier flexibel geholfen,
heißt es aus dem Sozialressort. Das System bestehe aus einer Kombination
von Notunterkünften und kurzfristig angemieteten Plätzen in einfachen
Hotels.
Um sich medizinisch versorgen zu lassen, können Wohnungslose in Bremen auch
kostenlose Sprechstunden besuchen. In der Stadt gibt es drei Anlaufstellen
mit niedrigschwelligen Angeboten zur Notversorgung. Eine neue Einrichtung
mit 28 Plätzen soll Wohnungslose mit psychischen Problemen aufnehmen.
Vor ähnlichen Herausforderungen steht das Nachbarland Niedersachsen. Dort
forderte die Landesarmutskonferenz (LAK) am Montag, dass der soziale
Wohnungsbau massiv ausgeweitet wird. Der Bestand an Sozialwohnungen in
Niedersachsen müsse um mindestens 100.000 Einheiten erweitert werden. Zudem
dürfe die Sozialbindung von Sozialwohnungen nicht mehr nach einem
bestimmten Zeitraum wegfallen, sondern müsse unbefristet gelten.
Wegen auslaufender Sozialbindungen sinke die Zahl bezahlbarer Wohnungen für
niedrige und mittlere Einkommensschichten beständig, hieß es. Habe es 1987
in Niedersachsen noch rund 290.000 Sozialwohnungen gegeben, seien es 2018
nur noch 75.000 gewesen.
Die LAK verlangt, dass das Land Fördermittel deshalb vor allem an
öffentliche Wohnungsunternehmen und Genossenschaften vergeben soll. In den
vergangenen Jahren hat Niedersachsen nach Angaben des
Wirtschaftswissenschaftlers Matthias Günther vom Eduard-Pestel-Institut in
Hannover noch nicht einmal alle zur Verfügung stehenden Fördermittel des
Bundes für den sozialen Wohnungsbau abgerufen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund verlangt, die Landesregierung müsse endlich
wieder eine Landeswohnungsbaugesellschaft gründen. Die einstige
landeseigene Gesellschaft war 2004 an Investoren verkauft worden.
5 Nov 2019
## AUTOREN
Reimar Paul
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Obdachlosigkeit
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Bremen
Niedersachsen
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Wohnen
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