# taz.de -- Ökonom Ulrich Schmidt über Konsum: „Weniger Ressourcen verbrauc… | |
> Ulrich Schmidt vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel hält das | |
> Klimapaket für mutlos. Der Verhaltensökonom über regionales Wirtschaften. | |
Bild: Nicht mehr so akzeptiert: Städtetrip per Flugzeug | |
taz: Herr Schmidt, als Volkswirt und Verhaltensökonom gehen Sie vermutlich | |
davon aus, dass Menschen sich rational verhalten. Aber beim Klimawandel tun | |
sie es nicht. Scheint das Problem zu weit weg? | |
Ulrich Schmidt: Gerade als Leiter des Forschungsbereichs für | |
Verhaltensökonomie gehe ich nicht davon aus, dass Menschen sich rational | |
verhalten. Schließlich studieren wir hier die Auswirkungen von | |
Fehlverhalten oder freundlicher gesagt das Abweichen vom Optimalen. Der | |
Klimawandel ist seit 40 Jahren bekannt, das Thema ist lange auf der | |
politischen Agenda. Aber ja, es schien weit weg. Wir sprechen von der | |
kognitiven Dissonanz, also dem Wunsch, Negatives zu verdrängen. Und der | |
Overconfidence, dem Glauben daran, es werde sich eine Lösung finden, wenn | |
es akut wird. Individuell gibt es die Verantwortungsdiffusion: Warum soll | |
ausgerechnet ich etwas tun? Aber das kann sich ändern, wenn sich die | |
sozialen Normen ändern. | |
Heißt? | |
Neulich wollte ich einen Kurztrip per Flugzeug machen, ich bin mehrfach | |
angesprochen worden, ob das angesichts des Klimawandels sein müsse. Das ist | |
neu. | |
Das ist in Ihrer und meiner Blase so, aber viele Menschen sind nicht | |
bereit, ihr Verhalten zu ändern. Wie gelingt es, auch die mitzunehmen? | |
Soziale Normen wandeln sich nicht schlagartig und in allen Gruppen | |
gleichzeitig. Darum ist es wichtig, dass Klimapolitik sozialverträglich | |
gestaltet wird, damit ärmere Schichten es nicht als Bedrohung empfinden. | |
Aber davon sind wir weit entfernt. | |
Vor haupt- und ehrenamtlichen Naturschützer*innen sprechen Sie heute in | |
Neumünster über die CO2-Steuer, direkt nach | |
Fridays-for-Future-Aktivist*innen, die sich für einen sofortigen Verzicht | |
auf Kohle, Öl und Auto einsetzen. Was sagen Sie denen? | |
Der Sprung von Hundert auf Null ist gesellschaftlich und politisch nicht | |
durchsetzbar, radikale Maßnahmen halte ich für überzogen. Schon heute, in | |
wirtschaftlich guten Zeiten, laufen der AfD die Wähler zu. Was, wenn die | |
Arbeitslosigkeit steigt? Es gilt das Pariser Abkommen, das Ziel sollten wir | |
erreichen. | |
Was halten Sie vom [1][Klimapaket der Regierung]? | |
Mein Hauptkritikpunkt ist, dass es nicht sozial verträglich ist. | |
Schließlich geben Haushalte mit geringem Einkommen einen prozentual | |
größeren Anteil für Strom, Heizen und Auto aus. Wenn diese Kosten steigen, | |
sind sie überproportional betroffen. Zudem teilt die Politik den | |
Energieverbrauch in Sektoren ein. Ich plädiere für einen einheitlichen | |
Preis pro verbrauchter Tonne CO2. Damit würde dort viel reduziert, wo es | |
einfach und kostengünstig geht. | |
Klingt, als kämen andere Bereiche dann gut davon? | |
Nein, denn die finanzielle Belastung trifft alle und schafft Anreize zu | |
sparen. Aber bis dahin würde der CO2-Ausstoß schneller gesenkt werden. Dem | |
Klima ist es egal, ob eine Tonne CO2 durch Verkehr oder Heizung entsteht. | |
Hätte die Politik angesichts von rund 1,4 Millionen Demonstrant*innen, die | |
Ende September allein in Deutschland für mehr Klimaschutz auf die Straße | |
gegangen sind, mutiger sein müssen? | |
Ein CO2-Preis von zehn Euro pro Tonne ist ein Witz, das ist eine | |
homöopathische Dosis. Die Preise müssen steigen, aber sie müssen gerecht | |
verteilt werden. | |
Wie kann das gehen? | |
In der Schweiz wird die CO2-Steuer von allen gezahlt und am Jahresende | |
wieder zurück verteilt. Wer mehr verbraucht als der Durchschnitt, zahlt | |
drauf, wer darunter liegt, bekommt Geld zurück. Das ist eine Umverteilung | |
von Reich zu Arm, und es erzeugt richtige Anreize, nämlich für weniger | |
Verbrauch bei allen. Ob Steuer oder Zertifikat, dies ist das optimale | |
Verteilsystem. | |
Aber das Ziel ist doch, dass der CO2-Verbrauch deutlich sinkt. Wenn das gut | |
klappt, könnten etwa Pendler*innen, die erst unter dem Schnitt liegen, bald | |
darüber sein? | |
Ja, das kann im Einzelfall ein Problem sein. Aber wir müssen auch Dinge in | |
die Bilanz einbeziehen, die bisher kaum besteuert werden wie Fleisch und | |
natürlich Flugbenzin. Wer sich hier nicht einschränkt, wird über dem | |
Durchschnitt liegen. | |
Der Kern des Kapitalismus ist Wachstum, aber angesichts endlicher | |
Ressourcen kann es doch nur um weniger Verbrauch gehen. Müssen wir das | |
System kippen? | |
Hier in Kiel in der Forschungsgruppe versuchen wir, Alternativen zum | |
Bruttosozialprodukt als Maßstab gesellschaftlichen Erfolgs zu finden. Statt | |
mehr Waren könnte man mehr Freizeit konsumieren, mit Angeboten wie Sport | |
oder Kunst, die keine Ressourcen verbrauchen. Gerade jetzt, in der | |
Null-Zins-Phase, wäre es möglich, solche Modelle zu entwickeln. | |
Wie könnte das aussehen? | |
Im Moment setzen die Unternehmen auf Shareholder Value als einzige Größe, | |
sie müssen und wollen wachsen. Aber parallel entwickeln sich Betriebe, die | |
das Allgemeinwohl maximieren wollen und Wachstum nicht mit Geld | |
gleichsetzen. | |
Auch Google ist mit dem Motto „Don’t be evil“ gestartet, heute zählt die | |
Mutterfirma Alphabet mit Amazon und anderen zu den Weltgiganten, die mehr | |
das Problem als die Lösung sind. Selbst wenn die Politik andere Modelle | |
wollte, käme sie gegen diese Monster an? | |
Großunternehmen sind schwierig. Die Globalisierung wurde lange Zeit | |
gefördert, aber die Digitalisierung hat die Spielregeln geändert, weil die | |
Grenzen von Zeit und Raum wegfallen und Unternehmen weltweit Produktion und | |
Gewinne so verteilen, wie es für sie am besten ist. Die Politik ist da | |
größtenteils machtlos. Die Mindestforderung ist, die Besteuerung zu | |
vereinheitlichen und sie zumindest mit heimischen Firmen gleichzustellen. | |
Wer heute wenig verbraucht, tut das meist nicht freiwillig. Um Armut in | |
anderen Regionen der Welt zu mindern, müssten Sie und ich unseren | |
Lebensstandard deutlich einschränken – können, wollen wir das? | |
Das ideale Konzept wäre, die CO2-Zertifikate weltweit zu verteilen. Dann | |
würden die Ärmeren, deren Klima wir mit schädigen, immerhin eine | |
Kompensation erhalten. Aber da schon die Verteilung des Geldes schwer sein | |
dürfte, bleibt das eine Utopie. | |
Und nun? | |
Das Hauptziel der CO2-Bepreisung ist, Anreize für Forschung zu bieten. Wenn | |
es gelingt, CO2-neutral zu produzieren, dann müssen wir keine Angst davor | |
haben, dass andere Regionen wirtschaftlich aufsteigen. Die Idee eines | |
Post-Wachstums halte ich für Quatsch. Aber es ist auch klar: Konsum muss | |
weniger Ressourcen verbrauchen. | |
Sie schlagen vor, regionale Wirtschaftsbeziehungen zu stärken, weil Waren- | |
und Geldverkehr ökologisch und sozial negative Folgen haben. Wie ließe sich | |
das jenseits von Verboten denn durchsetzen? | |
Im Moment zahlen Firmen, die per Flieger oder Schiff Waren nach Deutschland | |
bringen, nicht für die Umweltverschmutzung. Diese Dinge ließen sich teurer | |
machen, hinzu kommen die sozialen Normen. Wo genau die Grenzen sind und | |
welche Waren produziert werden, muss man testen. Schleswig-Holstein ist | |
stark im Energiesektor. Vielleicht gibt es Wege, den Windstrom direkt zu | |
verwenden, statt ihn in den Süden zu transportieren. | |
23 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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