# taz.de -- SPD Berlin gegen Enteignungen: Zwischen Klassenkampf und Käse | |
> Früher war mehr Sozialismus: Nach zähem Verlauf spricht sich die SPD auf | |
> ihrem Landesparteitag gegen das Enteigungs-Volksbegehren aus. | |
Bild: Bloß weil die SPD deckelt, heißt es noch lange nicht, dass sie enteigne… | |
BERLIN taz | Von Aufbruch ist wenig zu spüren in der Berliner SPD. Sogar | |
das Tagungspräsidium wirkt irgendwann resigniert: „Selbst mit der Ehrung | |
von Geburtstagskindern kommen wir nicht so richtig voran.“ Der | |
SPD-Landesparteitag am Samstag ist da schon zweieinhalb Stunden alt und | |
noch weit davon entfernt, die Antworten auf die zwei zentralen und | |
eigentlich spannenden Fragen zu liefern: Unterstützt die SPD wie die | |
Koalitionspartner das Volksbegehren zu Enteignungen von Deutsche Wohnen und | |
anderen? Und ist sie doch noch für Verbeamtung von Lehrern, nachdem es erst | |
vor einem halben Jahr beim jüngsten Parteitag ein „Nein“ gab? | |
Statt Spannung aber: Unklarheiten im Ablauf, wüste Sprünge in der | |
Tagesordnung, Debatten über quotierte Redelisten, Auszählungsverzögerung | |
und Strukturdebatten. Und nicht mal die führt die SPD konsequent und | |
entscheidet etwa über eine beantragte Doppelspitze, sondern vertagt sie | |
wiederum auf künftige Parteitage. | |
Später Nachmittag wird es sein, bis die rund 240 Delegierten nach gut | |
zweieinhalbstündiger Debatte mit 137 zu 97 dagegen stimmen, großen | |
Wohnungsunternehmen nur jeweils 3.000 Wohnungen zu belassen, alle anderen | |
aber zu verstaatlichen. Grundsätzlich bekennt sich die Partei zwar zur | |
Möglichkeit der „Vergesellschaftung“ – dieses Wort enthält schließlich… | |
Artikel 15 des Grundgesetzes. Aber im konkreten Fall setzt sich ein Antrag | |
mit folgendem Kernsatz durch: „Die Vergesellschaftung der Bestände von | |
großen Wohnungsunternehmen in Berlin halten wir gegenwärtig nicht für | |
zielführend.“ | |
Noch mal zwei Stunden später ist auch die Verbeamtung von Lehrern | |
beantwortet (siehe Kasten): Man will, wenn auch grummelnd und gegen bessere | |
Überzeugung, zurück zur 2004 abgeschafften Regelung – was erst mal keine | |
praktischen Auswirkungen hat, weil die SPD damit in der rot-rot-grünen | |
Koalition allein steht. | |
## Weltweit per Livestream übertragen | |
Eingangs ist bei diesem Parteitag viel davon die Rede, dass man die SPD | |
attraktiver machen müsse, gerade für junge Frauen – deshalb auch der Ruf | |
nach einer quotierten Redeliste wie bei den Grünen und nach „Parité“, | |
gleicher Vertretung von Frauen und Männern in den Parlamenten. Aber die | |
erste Hälfte des Parteitags, von dem die Parteiführung in einer Begrüßung | |
tatsächlich hofft, dass ihn weltweit Menschen per Livestream verfolgen, | |
wirkt nicht gerade wie eine Werbeveranstaltung für Neumitglieder. | |
Lang und noch länger zieht sich der Tag im fensterlosen Parteitagssaal im | |
Interconti-Hotel in Tiergarten, ohne jegliche Form von Aufbruchstimmung zu | |
vermitteln – was etwas misslich ist an einem Tag, der für die SPD | |
bundesweit genau das der Öffentlichkeit und den Wählerinnen und Wählern | |
signalisieren soll. Denn während die Berliner Delegierten tagen, liegt in | |
der knapp vier Kilometer entfernten SPD-Bundeszentrale in Kreuzberg die | |
Auszählung über die künftige Bundesparteispitze in ihren letzten Zügen. | |
Unterhaltsamer war die sehr heterogene Phalanx von Demonstranten, welche | |
die SPD-Delegierten am Morgen vor dem Tagungshotel empfangen hat: links auf | |
der anderen Straßenseite der Parteinachwuchs von CDU und FDP, der vor | |
Enteignung warnt. „Genosse Erich wäre stolz auf Euch“, haben sie auf ein | |
Banner drucken lassen. Zehn Meter weiter – dazwischen stehen Klimaschützer | |
und die Gewerkschaft Verdi – fordern Unterstützer von „Deutsche Wohnen & | |
Co. enteignen“ genau das Gegenteil und eine zügige Prüfung des | |
Volksbegehrens, das im Juli die erste Hürde Richtung Entscheid schaffte. | |
Ähnlich gespalten zeigt sich die Partei, als im Hotel die | |
Enteignungsdebatte am Nachmittag endlich beginnt. Da sind jene, die das | |
Wort vom demokratischen Sozialismus aus dem eigenen Grundsatzprogramm | |
ausleben und die Partei linker ausrichten wollen. Und da ist die Gruppe um | |
Partei- und Regierungschef Michael Müller, der vor Verteufelung von | |
Investoren warnt und zum Klassenkampf sagt: „Das ist nicht mein Weg.“ Er | |
argumentiert in ruhigem Ton, will merklich die andere Seite nicht | |
entfremden, lobt sogar die Volksbegehren-Initiative: Die habe „der SPD | |
Beine gemacht“ – das festzustellen breche ihm keinen Zacken aus der Krone. | |
Müller verweist jedoch auf den gerade in der rot-rot-grünen Koalition | |
vereinbarten Mietendeckel und mag ihn nicht mit einer Enteignungsdebatte | |
gefährden. | |
Sein enger Vertrauter Christian Gaebler, der Senatskanzleichef, spitzt | |
stärker zu: „Lasst uns nicht linken und grünen Klassenkämpfern | |
hinterherlaufen, sondern einen sozialdemokratischen Weg gehen.“ | |
Finanzsenator Matthias Kollatz nennt es „Käse“, zu behaupten, man könne | |
einen hohen Anteil staatlicher Wohnungen wie in Wien nur mit Enteignungen | |
erreichen – und warnt vor Milliardenkosten: „Geld kann man bekanntlich nur | |
einmal ausgeben.“ Auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey schaltet | |
sich ein: „Für mich ist eine moderne Stadt eine, die nicht für Enteignung | |
steht, sondern für Innovation.“ | |
Aus dem Juso-Lager ist zu hören: „Lasst uns mal die Bedenken | |
beiseiteräumen und mutig sein.“ Auch drei Landes- und | |
Bundesparlamentarierinnen argumentieren so. Und die frühere | |
Juso-Bundeschefin Franziska Drohsel fragt, ob es angemessen sei, eine | |
Initiative, die sich für Mieter einsetze, als „Phantasten“ zu bezeichnen. | |
Es ist längst Abend, als der Parteitag zu Ende geht und inzwischen auch | |
klar ist, wer bei der Auszählung in der SPD-Bundeszentrale in Kreuzberg | |
vorne liegt. Gegen Enteignung und für Olaf Scholz ist also die Botschaft | |
des Tages. Vorerst jedenfalls. Denn nicht nur in der Frage des | |
Parteivorsitzes geht es in die zweite Runde – auch das Enteignungsthema | |
bleibt der SPD, wenn es auf dem Weg Richtung Volksentscheid weitergeht. | |
27 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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