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# taz.de -- Karliczeks Batteriezentrum: Ein Forschungsinstitut für Münster
> Es wurde eine Kommission gegründet, um den besten Standort für das
> Institut zu finden. Dann entschied das Forschungsministerium ganz anders.
Bild: Forschungsministerin Anja Karliczek soll ihre Entscheidung für den Stand…
Berlin taz | Bundesforschungsministerin Anja Karliczek musste an diesem
Mittwoch zum zweiten Mal im Forschungsausschuss des Deutschen Bundestags
antreten, um Auskunft in der sogenannten Batterieaffäre zu geben. [1][Seit
drei Monaten wird der Politikerin vorgehalten,] dass ihr Bundesministerium
für Bildung und Forschung (BMBF) in der Standortentscheidung über die
Errichtung einer Forschungsfabrik für Batteriezellen die NRW-Stadt Münster
bevorzugt hatte, unmittelbar neben dem Wahlkreis der
CDU-Bundestagsabgeordneten Karliczek. Zuletzt standen sogar
Rücktrittsforderungen im Raum, sogar [2][von der CDU-Kultusministerin
Susanne Eisenmann] aus dem unterlegenen Baden-Württemberg, ein
ungewöhnlicher Vorgang – „friendly fire“.
Die Batterieaffäre hat in den letzten Wochen die Kommunikationsfähigkeit
des deutschen Forschungsministeriums – mit 18 Milliarden Euro immerhin der
viertgrößte Einzelplan im Haushalt der Bundesregierung – bis an die Grenzen
belastet. Hintergrundgespräche und Briefings in Folge, eine außerplanmäßige
Anhörung des Ausschusses in der Sommerpause, durchgestochene Dokumente aus
den Beratungen – auf den Ministeriumsneubau am Rande der Spree rollte
offenbar ein Polit-Tsunami zu.
Oder doch nur ein Sturm im Wasserglas? Am Dienstag dieser Woche trifft die
Ministerin im Morgengrauen mit zwei Journalisten der Süddeutschen Zeitung
zusammen, um Fehler einzugestehen, was sie tags darauf auch im
Parlamentsausschuss wiederholen wird. Aber die Schuldeingeständnisse sind
eher banal. So hätte die „Gründungskommission“ der Zellenfabrik aus ihrer
Sicht einen weniger missverständliche Namen tragen müssen.
Tatsächlich aber ist die fragwürdige Vergabepraxis für die Forschungsfabrik
nur die innere Puppe einer Art russischer Matroschka, die tiefer reichende
Defizite der deutschen Innovations- und Industriepolitik in größeren
Zusammenhängen symbolisiert. Puppe 2: Die innovative Fehlentwicklung der
deutschen Automobilwirtschaft, die jedes Jahr Abermilliarden an
Forschungsgeldern in die Fortentwicklung auslaufender
Verbrennungstechnologien investiert und den Epochenübergang zur
Elektromobilität verschlafen hat, zum Schaden des gesamten deutschen
Volkswirtschaft.
Puppe 3: Der widerstandslose Abbau der Elektrochemie – einst ein Paradefeld
deutscher Grundlagenforschung – in den Hochschulen der 80er und 90er Jahre,
mit dem Nebeneffekt, dass der einst führende Batteriehersteller Varta in
diesen Jahren zerlegt wird. Ausstieg aus einem Zukunftsfeld, auch durch
Fehleinschätzungen der damaligen Wissenschaftspolitik. Der diesjährige
Chemie-Nobelpreis 2019 für die Lithium-Ionen-Batterie geht logischerweise
an keinen deutschen Forscher.
## Ein internationales Wettrennen
Nun muss sich Deutschland sputen, um im internationalen Wettrennen um die
Stromspeicher von morgen nicht abgehängt zu werden. Batterien
unterschiedlicher Bauart werden nicht nur für die Elektromobilität auf der
Straße oder die mobile Kommunikationstechnik, sondern vor allem als Puffer
für die erneuerbaren Energien benötigt. In den letzten Jahren hat das BMBF
rund 500 Millionen Euro in den Aufbau neuer Strukturen für die
Batterieforschung investiert. Am stärksten profitiert hat davon der
Standort Ulm in Baden-Württemberg.
Im vorigen Jahr reiften im BMBF die Pläne zum Aufbau einer Forschungsfabrik
für neue Verfahren zur Produktion von Batteriezellen, die mit 500 Millionen
Euro aus dem Forschungsetat finanziert wird. Als Träger wurde die
Fraunhofer-Gesellschaft ausgewählt. Vorbild ist die vor einigen Jahren
installierte „Forschungsfabrik Mikroelektronik“, die von Fraunhofer
zusammen mit der Leibniz-Gemeinschaft realisiert wurde.
Das BMBF-Vorhaben läuft parallel zum Aufbau einer konventionellen Fabrik
zur Produktion von Batteriezellen, die das Bundeswirtschaftsministerium
(BMWi) aus seinem Etat mit einer Milliarde Euro bezuschusst. Den Antrag
eines europäischen Industriekonsortiums hat Wirtschaftsminister Peter
Altmaier am 9. Oktober bei der EU-Kommission in Brüssel zur Genehmigung für
ein sogenanntes IPCEI (Important Project of Common European Interest)
eingereicht. Hauptziel ist es hier, die Abhängigkeit der europäischen
Autoindustrie von asiatischen Antriebsbatterien zu verringern.
An dem Interessensbekundungsverfahren des BMWi hatten sich mehr als 30
Unternehmen aus der gesamten Wertschöpfungskette „mit Vorschlägen hoher
Qualität beworben“, teilte das Altmaier-Ministerium mit. „Sie kommen aus
den Bereichen Rohstoffe und Exploration, Materialgewinnung und Recycling,
Kathoden-, Anodenfertigung und mechanische Komponenten,
Batteriezellproduktion, -integration und -anwendung.“ Die
Standort-Entscheidung soll in den nächsten Wochen getroffen werden.
## Datenvernetzte Fabriken
In der Forschungsfabrik des BMBF sollen dagegen neue Wege beschritten
werden. Anfang des Jahres 2019 wurde auf einer Veranstaltung des
Batterieforums das BMBF-„Dachkonzept Forschungsfabrik Batterie“
vorgestellt, das den „Aufbau und Betrieb einer weltweit einzigartigen
Pipeline für Batterieinnovationen“ umriss. Dabei geht es vor allem um die
drei Teilbereiche „ Materialkonzepte“, „Zellkonzepte“ – wie sie auch …
in der Forschungsproduktionsanlage am ZSW in Ulm „validiert“ wurden sowie
um „Produktionskonzepte“, bei denen die deutschen Stärken im Bereich von
„Industrie 4.0“, der datenvernetzten Fabrik, ausgespielt werden sollen.
Durch die Forschungsfabrik solle einerseits die „Innovationspipeline“ mit
neuen Technologien kontinuierlich gefüllt werden. „Andererseits muss eine
Demonstration von Forschungsergebnissen mit Blick auf die großskalige
Massenproduktion ermöglicht werden“, heißt es in dem Basispapier des BMBF
weiter, „um den Transfer in die Industrie zu erleichtern und
Eintrittshürden für neue Hersteller (Massenfertigung) zu senken“. Es gelte,
„eine Brücke von der prototypischen Demonstration zur Großserienfertigung
zu schlagen“.
Noch im Januar wurde vom BMBF eine „Gründungskommission benannt, die sich
aus acht Industrievertretern und den Fachexperten der
Fraunhofer-Gesellschaft und den Ministerien für Forschung und Wirtschaft
zusammensetzte. Ihr Auftrag: die besten Akteure aus der Batterieforschung
zur Realisierung des Konzepts ausfindig zu machen. In einer ersten
Auswertung der Bewerbung von acht angeschriebenen Standorten ergab sich
unter den Forschungseinrichtungen – nach den Auswahlkriterien Kompetenz,
Industrie, Finanzierung, Zeit – die Reihenfolge: 1. Ulm, 2. Salzgitter, 3.
Augsburg, 4. Münster/Ibbenbühren. Die Industrievertreter konnten damit
leben und teilten dies Außenstehenden auch unter der Hand mit. Ein
Verhalten, das Karliczek heute nicht mehr billigen würde, wie sie bei ihrer
Fehleranalyse zugab.
## Ein Bergwerksschacht in Ibbenbühren
Sie selbst mischte sich nicht in das Auswahlverfahren ein, aber ihre
zuständigen Beamten waren mit dem Ergebnis nicht zufrieden, wie sich aus
den Verfahrensunterlagen ergibt. Neue Bewertungskriterien wurden
nachgeschoben. Nun ging es auf einmal auch um die Kompetenz der beteiligten
Forscher, den volkswirtschaftlichen Nutzen und um ökologische Kriterien,
wie die des Recyclings der ausgedienten Batterien. Hier ergaben sich
plötzlich aussichtsreiche Chancen in einem ausgedienten Bergwerksschacht in
Ibbenbühren, wo Karliczek vor ihrem Politik-Einstieg ein Hotel leitete.
Mit den neuen Kriterien hatte sich die Rangfolge geändert: Nun galt Münster
wegen seines universitären Batteriezentrums als der optimale Standort der
Forschungsfabrik, vor Salzgitter und Ulm. Vor der Schlussrunde der
Expertenkommission Ende Juni wurde der Ablauf immer turbulenter, die
Industrievertreter erklärten sich für befangen, das BMBF übergab den
Vorsitz aus Neutralitätserwägungen an das BMWi, traf dann aber die
Entscheidung durch einen Unterabteilungsleiter dann doch selbst. In der
Folge protestierten die zu kurz gekommenen süddeutschen Standorte Ulm und
Augsburg, unter anderem durch Briefe ihrer Ministerpräsidenten an die
Bundeskanzlerin. Die Batterie hatte Feuer gefangen – der Worst Case dieser
Speichertechnik.
Die nächste Etappe der Affäre – die Rekonstruktion der Entscheidungsfindung
– dauert bis heute an. Als die Open Knowledge Foundation über das
Informationsfreiheitsgesetz beim BMBF Einsicht in die Akten beantragte,
wurde ihr mitgeteilt, „dass in den Standortbewerbungen inkl. Anlagen (2.898
Seiten) personenbezogene Daten Dritter (§ 5 IFG) sowie Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse (§ 6 IFG) enthalten sein können“. Das erfordere die
„Durchführung von Drittbeteiligungsverfahren“, um sensible Stellen zu
schwärzen, was mit „derzeit ca. 50 Arbeitsstunden im höheren Dienst“
veranschlagt wurde. „Sofern die gesamte Akte (insgesamt 5.547 Seiten)
begehrt wird“, werde die Nutzungsgebühr „voraussichtlich 500 Euro
betragen“.
## Ein „freihändige Entscheidung“
Anna Christmann von der Grünen-Bundestagsfraktion konnte als Mitglied des
Forschungsausschusses die Akten, die ihr im September vom Ministerium nach
längerer Wartezeit zur Verfügung gestellt wurden, immerhin kostenlos
einsehen. „Die Akten zeigen eindeutig: Das Vergabeverfahren war eine
Farce“, stellte die aus Stuttgart kommende Abgeordnete fest: „Es gab
nachweislich keinen fairen und transparenten Wettbewerb, sondern eine
freihändige Entscheidung des Ministeriums entgegen fachlicher Expertise.“
Vier Expertisen hätten sich „unmissverständlich für den Standort Ulm“
ausgesprochen, seien aber vom Ministerium nicht an die Kommission
weitergeleitet worden. Christmann: „Argumente für den Standort Münster
kommen einzig und allein vom Ministerium selbst und beruhen auf plötzlich
hinzuerfundenen Kriterien.“
Vorige Woche war die Landesgruppe der CDU-Bundestagsabgeordneten aus
Baden-Württemberg zu Gast im BMBF. Natürlich war die Batteriefabrik das
Topthema. Wie verlautete, will Baden-Württemberg aus dem 500-Millionen
Euro-Topf einen Anteil von 50 Millionen für ihr Zentrum im Ulm bekommen.
Genaueres wird am 28. Oktober im Hause Karliczek verhandelt. Dann sitzen
alle Beteiligten der Forschungsfabrik an einem Tisch, um die genaue
Aufteilung der halben Milliarde zu vereinbaren.
Während die politische Treibjagd noch nicht ganz zu Ende ist (FDP-MdB
Thomas Sattelberger: „Karliczek muss jetzt ihren Hut nehmen“), wird das
finanzielle Fell des Bären nun verteilt.
24 Oct 2019
## LINKS
[1] /Streit-um-Batterieforschungsfabrik/!5612690
[2] /Standort-fuer-Batterieforschungsfabrik/!5629887
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
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