# taz.de -- Datenschützer über Seehofer-Vorstoß: „Ungerechtfertigte Stigma… | |
> Innenminister Horst Seehofer will Daten von Extremisten 25 Jahre lang | |
> speichern. Datenschützer Ulrich Kelber über den Fall Lübcke, Extremisten | |
> und Löschfristen. | |
Bild: Wie lange Daten auch gespeichert werden – eines sollte in jedem Fall st… | |
taz: Herr Kelber, Innenminister Seehofer prüft, ob die Löschfrist bei Daten | |
von Extremisten von [1][10 auf 25 Jahre verlängert werden soll]. Anlass ist | |
der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Die | |
Verfassungsschutz-Akte des mutmaßlichen Täters war zum Tatzeitpunkt schon | |
ausgesondert und nur zufällig noch greifbar. | |
Ein einziger Fall kann nicht unbedingt rechtfertigen, dass sehr viele | |
Personen [2][künftig länger gespeichert] werden. Es müsste schon dargelegt | |
werden, dass es ein Muster gibt, scheinbar ein bürgerliches Leben | |
anzufangen, um dann mehr als zehn Jahre später überraschend zuzuschlagen. | |
Der Fall genügt Ihnen nicht? | |
Er genügt schon deshalb nicht, weil noch völlig unklar ist, ob die | |
Ermittlungen ohne Kenntnis der Verfassungsschutz-Akte tatsächlich verzögert | |
oder behindert gewesen wären. Zudem verlangen die datenschutzrechtlichen | |
Vorschriften nicht automatisch eine Löschung, sondern nur die Prüfung, ob | |
die Daten noch benötigt werden. Wenn es gute Gründe gibt, personenbezogene | |
Daten nicht zu löschen, dann müssen sie nicht gelöscht werden. Zwar wird | |
immer von „Löschfristen“ gesprochen, in Wirklichkeit sind das aber | |
Prüffristen. | |
Sie sind skeptisch, dass die Behörden gründlich gearbeitet haben? | |
Wenn ein Rechtsextremist, der als hochgradig gewaltbereit bekannt war, | |
einen politischen Mord begeht, fällt es schwer zu glauben, dass er in der | |
Zwischenzeit jahrelang ein völlig harmloses Leben geführt hat. [3][Hat es | |
da wirklich keine auffälligen Vorfälle gegeben?] Statt immer wieder die | |
Gesetze zu verschärfen, sollten die politisch Verantwortlichen lieber | |
sorgfältig analysieren, ob die Behörden richtig aufgestellt sind, um diese | |
extremistischen Betätigungen zu erkennen und die gespeicherten Erkenntnisse | |
damit zu aktualisieren. | |
Fordern Sie damit nicht indirekt eine lückenlose Überwachung von | |
Extremisten? | |
Natürlich nicht. Aber ich warne – auch im Interesse der Sicherheit – | |
durchaus vor einer Verlängerung der Prüffristen. Wenn Informationen über | |
eine Person 25 Jahre lang gespeichert werden können, ohne dass etwas Neues | |
hinzukommen muss, dann besteht doch die Gefahr, dass sich niemand um diese | |
Person kümmert und sie in Vergessenheit gerät. Besser wäre es, alle fünf | |
oder zehn Jahre zu prüfen, ob noch Grund zur Speicherung besteht. Dann | |
verliert man die Leute auch nicht aus den Augen. | |
Mag sein. Aber schadet es? | |
Je älter Daten sind, desto weniger valide sind sie. Nehmen wir einen jungen | |
Mann, der sich als Kleinkrimineller im Umfeld der Organisierten | |
Kriminalität bewegte. 20 Jahre später gerät er nach einer Straftat in | |
Verdacht. Die Polizei freut sich über den Treffer in der Datenbank und | |
ermittelt in Richtung organisierte Kriminalität – dabei ist der Mann längst | |
Rechtsextremist oder Islamist. Veraltete Daten können die Behörden also | |
durchaus in die Irre führen. | |
Was ist mit den Betroffenen? | |
Hier droht die Gefahr einer ungerechtfertigten Stigmatisierung. Die | |
Einstufung als Verfassungsfeind ist ein schwerwiegender | |
Grundrechtseingriff. Dies gilt erst recht, wenn Informationen 25 Jahre | |
lang gespeichert werden können, obwohl keine neue Erkenntnis hinzukommt. Da | |
werden auch kleinere Sünden der Vergangenheit konserviert, obwohl der | |
Betroffene diese Phase vielleicht längst überwunden und hinter sich | |
gelassen hat. Oft werden ja nicht einmal bewiesene Taten gespeichert, | |
sondern nur Verdachtsmomente. | |
Wen stört es, wenn so etwas in einer Datei steht, die außer den | |
Sicherheitsbehörden keiner sieht? | |
So banal ist das nicht. Jede Speicherung hat potenzielle Folgen. Wenn die | |
Daten keine Auswirkungen hätten, gäbe es ja auch keinen Grund, sie in einer | |
Datei zu speichern. Zudem fragen immer wieder Stellen beim | |
Verfassungsschutz nach, ob etwas gegen eine Person vorliegt. Etwa wenn | |
jemand eine Arbeit aufnehmen will, bei der eine Sicherheitsüberprüfung | |
vorgeschrieben ist. Da können veraltete Informationen Lebenschancen | |
verbauen. | |
Sie haben Anfang des Jahres ein Moratorium für neue Sicherheitsgesetze | |
gefordert. Wäre die Verlängerung der Löschfristen ein Fall für dieses | |
Moratorium? | |
Absolut! Falls Prüffristen verlängert werden sollen, obwohl kürzere Fristen | |
genügen oder sogar effizienter sind, dann ist das nicht nur politisch | |
bedenklich, sondern auch rechtlich relevant. Dadurch würde eine | |
Verschärfung unverhältnismäßig und somit verfassungswidrig. | |
23 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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