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# taz.de -- Datenschutz-Grundverordnung: DSGVO ist in Kraft – und nun?
> Vor zehn Monaten trat die Datenschutz-Grundverordnung in Kraft. Doch
> VerbraucherInnen fühlen sich wenig informiert.
Bild: Für Verbraucher bedeutet die DSGVO: mehr Macht über ihre Daten
BERLIN taz | „Ich hatte Angst vor dem 25. Mai“, erzählt Sigrund Leisner,
hauptamtliche Geschäftsführerin des Wuppertalers Sportverein Vohwinkeler
STV. Als am 25. Mai 2018 europaweit die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)
in Kraft tritt, blickt sie wie der Rest Deutschlands vor allem mit
Fragezeichen auf die neue Regelung. Rechtzeitig habe sie sich auf die neue
Verordnung vorbereitet, zusammen mit einem Ehrenamtlichen des Vereins eine
Ausbildung zur Datenschutzbeauftragten absolviert. Doch so richtig gewusst,
was mit Inkrafttreten der DSGVO auf sie zukommen würde, habe sie nicht.
Vor allem die Verunsicherung unter den Vereinsmitgliedern durch die „in der
Presse hochgekochte Diskussion“ machte Leisner Sorgen. „Die rennen mir die
Türen ein und wollen wissen, was wir mit ihren Daten machen“, so beschreibt
sie rückblickend ihre Befürchtungen.
Dazu wären die Mitglieder auch befugt gewesen: Mit der
Datenschutz-Grundverordnung regelt die EU den Umgang mit personenbezogenen
Daten wie Namen, Adressen, E-Mail-Adresse und Ausweisnummer. Sie
verpflichtet Unternehmen und Vereine dazu, sorgsamer mit den Informationen
ihrer KundInnen umzugehen, sie umfassender zu informieren und
Einwilligungen für die Datenspeicherung einzuholen. Daten, die für den
ursprünglichen Speicherzweck nicht mehr benötigt werden, müssen gelöscht
werden.
Für die Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet dies mehr Macht über ihre
Daten: So können sie auf Grundlage der DSGVO die Löschung ihrer privaten
Informationen in Auftrag geben oder ihre Daten einem anderen Anbieter
übertragen. Verstöße können die NutzerInnen bei den Datenschutzbehörden
melden.
Die genaue Dimension der Datenschutz-Grundverordnung ist aber auch heute,
zehn Monate später, vielen Menschen nicht klar. Auf der einen Seite hinken
Unternehmen noch immer bei der Umsetzung hinterher. Auf der anderen Seite
prägen Schlagzeilen wie „Wegen Datenschutz: Kita schwärzt Kindergesichter
in Fotoalben“ das öffentliche Bild in der Bundesrepublik negativ. Vor allem
aber zeigen sie, wie groß die Verunsicherung in Deutschland in Bezug auf
die DSGVO und ihre vermeintlichen Folgen weiterhin ist.
## Wissenslücken
Aber weder die EU noch die Bundesregierung sehen sich selber in der
Pflicht, über die Verordnung aufzuklären. Von Anfang an sparten sie mit
öffentlich zugänglichen Informationen über die Verordnung. Aus dem
ursprünglichen Ziel, Interesse und Sensibilität für den Datenschutz zu
schaffen, wurde deshalb nichts.
Im Gegenteil: Sigrund Leisner vom Sportverein aus Wuppertal ist sich
sicher, dass den wenigsten Privatpersonen wirklich klar ist, was sich
rechtlich für sie geändert hat. Ihre Befürchtungen vor Inkrafttreten der
Verordnung erfüllten sich nicht. Bis heute, so erzählt Leisner, hat keines
der Mitgliedern des Vohwinkler STVs nachgefragt, was der Sportverein mit
den Daten macht. Einverständniserklärungen werden unterschrieben, ohne dass
sie sich jemand durchliest.
Ähnlich ahnungslos ist die Wirtschaft. Laut der aktuell veröffentlichten
Studie DSGVO-Index haben 18 Prozent der befragten Unternehmen noch immer
nicht mit der Durchführung der Verordnung begonnen, weitere 43 Prozent
schätzen unternehmensinterne Prozesse als nicht DSGVO-konform ein.
Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen haben Nachholbedarf: Ein
Drittel gibt an, noch mindestens sechs Monate zur vollständigen Anpassung
an die DSGVO zu benötigen.
Der Grund dafür sei jedoch nicht die fehlende Bereitschaft der Wirtschaft,
meint der Rechtsanwalt Sebastian Günnewig, der in seiner Kanzlei
Unternehmen zum Datenschutzrecht berät. Vor allem Falschinformationen sowie
Wissenslücken hätten dazu geführt, dass oft zu spät gehandelt wurde.
## Der große Ansturm
Erst einen Monat vor Inkrafttreten der Verordnung sei der große Ansturm auf
seine Telefone ausgebrochen: „Die zunehmende mediale Berichterstattung
damals hat dazu geführt, dass viele Unternehmen Angst vor horrenden
Bußgeldern hatten“, berichtet Günnewig. Vielen seiner Klient*innen sei der
zeitliche und finanzielle Aufwand der DSGVO-Umsetzung nicht bewusst
gewesen, die teilweise Monate dauert und sich nicht wie oft angenommen auf
die „schnelle Aktualisierung der Datenschutzerklärung“ beschränkt.
Die Überforderung der Branche zusätzlich vorangetrieben hat das Fehlen von
Weiterbildungen oder simplen Umsetzungsleitfäden. [1][Die Anforderungen der
Datenschutz-Grundverordnung sind für Laien oftmals nicht verständlich],
entsprechende Informationsangebote für Unternehmen nicht umfangreich genug.
Im Netz existieren deshalb zahlreiche Blogs und Facebook-Gruppen, in denen
sich Unternehmer*innen, aber auch Arbeitnehmer*innen über die DSGVO
austauschen und bei individuellen Problemen beraten. Große Unsicherheit
über die genaue Bedeutung der Datenschutz-Regelungen herrscht dort
weiterhin.
Bis zuletzt sieht sich die deutsche Bundesregierung nicht in der Pflicht,
Aufklärungskampagnen über die Verordnung zu starten. Lediglich auf der
Website des Innenministeriums werden einige häufig gestellte Fragen
beantwortet. Zudem führen die Wirtschafts- und Innenministerien mit
VertreterInnen der Wirtschaft und der Aufsichtsbehörden Gespräche zur
Umsetzung der Verordnung. Claudia Dörr-Voß, Staatssekretärin im
Wirtschaftsministerium, lobt den Dialog: „Der Austausch zwischen Wirtschaft
und Aufsichtsbehörden in dem bewährten Gesprächsformat des gemeinsamen
Round Table hat zu einem tieferen Verständnis von diesem wichtigen Thema
beigetragen.“ Konkrete Konzepte für die weitere Förderung der
DSGVO-Umsetzung legen die Ministerien jedoch weiterhin nicht vor.
Wer verantwortlich für die Kommunikation der Datenschutz-Grundverordnung
war und ist, darüber ist sich die Politik nämlich weiterhin uneinig.
Konstantin von Notz kritisiert: „Statt dem großen Beratungsbedarf gerecht
zu werden und die Datenschutzbehörden bei dieser Mammutaufgabe bestmöglich
zu unterstützen, hat die Bundesregierung in den ersten Wochen nach
Inkrafttreten der neuen Regelungen zusätzliche Ängste geschürt.“ Der
stellvertretende Fraktionsführer von Bündnis 90/Die Grünen hält der Großen
Koalition vor, „trotz der jahrelangen Übergangsfrist“ die Öffentlichkeit
weder ausreichend informiert, noch bei der Umsetzung unterstützt zu haben.
## „Pseudoskandale“
Laut dem digitalpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Tankred
Schipanski, lag die Hauptverantwortung jedoch nie bei der Bundesregierung.
Auf Anfrage der taz erklärt er, dass es „in erster Linie Aufgabe der
unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden von Bund und Ländern“ sei, die
„Öffentlichkeit für Risiken, Vorschriften und Rechte im Zusammenhang mit
der DSGVO zu sensibilisieren“. Auch die von der Bundesregierung finanzierte
Stiftung Datenschutz stelle umfassende Informationen für Unternehmen und
Verbraucher*innen bereit.
Deren Vorsitzender, Frederick Richter, widerspricht: Weder die Stiftung
noch die Datenschutzaufsichtsbehörden verfügen über genügend Mittel, um die
Öffentlichkeit angemessen zu informieren und zu beraten. Die Verantwortung
der Aufklärung sei von der Politik an diese Stellen abgetreten worden, aber
„wer Gesetze macht, muss sie auch erklären“, so Richter gegenüber der taz.
Als im letzten Jahr der 25. Mai näher rückte, sei wegen der ungenügenden
Aufklärung die große Panik in der Bundesrepublik ausgebrochen, mit
Falschinformationen etwa über Apotheker*innen, die kein Namensschild mehr
tragen dürften. „Alles Blödsinn“, so Richter, „aber wenn niemand da ist…
aufzuklären und zu vermitteln, glauben die Leute das.“
Die aufgeregte Berichterstattung habe die Öffentlichkeit weiter gespalten
und zum Unmut und Misstrauen gegenüber der DSGVO beigetragen, sind sich
Expert*innen einig. Ein Sprecher des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich
Kelber meint, dass vor allem „Pseudoskandale und Fehlinformationen“ in den
Medien dazu geführt hätten, dass „das Image der DSGVO zu Unrecht gelitten
hat“. Dabei sei die Verordnung insbesondere aus Sicht der Verbraucherinnen
und Verbraucher eines der „wichtigsten Gesetze der letzten Jahre“.
Dennoch: Die Unsicherheit der Verbraucher*innen im Hinblick auf die
Datenregelungen belegen auch Studien. So beurteilt jede*r Dritte in
Deutschland die Datenschutz-Grundverordnung alles in allem negativ, jede*r
Vierte hingegen positiv. Immerhin 27 Prozent zeigen sich währenddessen
komplett unschlüssig: Sie geben der DSGVO weder eine positive noch eine
negative Bewertung. Der Sprecher des Datenschutzbeauftragten Kelber ist
sich dennoch sicher, dass die Erkenntnis, den eigenen Datenschutz zukünftig
auch gegen „vermeintlich unantastbar wirkende Unternehmen“ durchzusetzen zu
können, auf lange Sicht „die Wahrnehmung der DSGVO entsprechend verändern“
werde.
Eine erste Entwicklung in diese Richtung könnte die zunehmende Ahndung von
Datenschutzverstößen sein. In mittlerweile 41 Fällen wurden deutschlandweit
Bußgelder verhängt, zahlreiche weitere Verfahren laufen. Prominente Fälle
wie ein jüngst in Frankreich [2][gegen Google verhängte Bußgeld] von 50
Millionen Euro könnten zusätzlich dafür sorgen, dass sich das Bewusstsein
der Öffentlichkeit in Hinblick auf die Datenschutz-Grundverordnung nach und
nach ändert.
13 Apr 2019
## LINKS
[1] /Debatte-Auswirkung-der-DSGVO/!5505311
[2] /Umsetzung-Datenschutzgrundverordnung/!5564168
## AUTOREN
Leonie Schöler
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