| # taz.de -- Die seltsame Akte der Marily S.: Widerrechtlich gespeicherte Daten | |
| > Trotz eines Gerichtsbeschlusses zur Löschung illegal erhobener Daten hat | |
| > der Hamburger Verfassungsschutz Informationen über Marily Stroux | |
| > gespeichert. | |
| Bild: Hat den Kampf mit dem Verfassungsschutz aufgenommen: Marily Stroux | |
| Hamburg taz | Die beim illegalen Einsatz von verdeckten Ermittlerinnen des | |
| Hamburger Landeskriminalamtes erfassten Daten, die sich zwischen 2008 und | |
| 2012 in Hamburgs linke Szene eingeschleust hat, sind trotz richterlicher | |
| Verfügung monatelang widerrechtlich beim Hamburger Landesamt für | |
| Verfassungsschutz (LfV) gespeichert worden. Dies geht aus Aktenvermerken | |
| des Inlandsgeheimdienstes hervor, die der taz vorliegen. | |
| Erst aufgrund einer Klage der Fotojournalistin Marily Stroux, die vor dem | |
| Verwaltungsgericht Hamburg die Löschung der über sie gesammelten | |
| beruflichen Daten beim Landesamt erstreiten möchte, sah sich der | |
| Inlandsgeheimdienst genötigt, die illegalen Datenbestände der Polizei zu | |
| löschen. | |
| Christiane Schneider, Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete der Linkspartei, | |
| befürchtet, dass womöglich weiterhin von der Polizei illegal erlangte Daten | |
| von Betroffenen, die zwischen 2001 und 2013 ins Visier dreier verdeckter | |
| Ermittlerinnen geraten waren, in den Geheimdienstdatenbanken ruhen. | |
| Schneider wird deshalb eine Senatsanfrage zu dem Komplex stellen. „Der | |
| Verfassungsschutz sah sich offenkundig trotz Anerkennungsurteile vorm | |
| Verwaltungsgericht erst dann veranlasst, die Daten zu löschen, als Marily | |
| Stroux klagte“, sagt die Linken-Abgeordnete. Sie hinterfragt, was mit den | |
| Daten der Betroffenen geschehen sei, die nicht gegen den Verfassungsschutz | |
| klagen. | |
| Die drei verdeckten Ermittlerinnen waren in dem besagten Zeitraum | |
| nacheinander oder sogar zeitgleich in Hamburgs linker Szene zur | |
| Gefahrenabwehr tätig und hatten dabei widerrechtlich Privatwohnungen | |
| betreten, private Feiern organisiert oder waren sogar Liebesbeziehungen | |
| eingegangen. Iris P. als „Iris Schneider“ (2001 bis 2007) in der | |
| queerfeministischen Szene und beim Radio „Freies Sender Kombinat“, Maria B. | |
| als „Maria Block“ (2008 bis 2012) in antirassistischen Strukturen und | |
| Astrid O. alias „Astrid Schütt“ (2007 bis 2013) in der antifaschistischen | |
| Szene. | |
| Bis 2016 sind alle drei Undercover-Einsätze vom LKA-Hamburg in Verfahren | |
| vor dem Verwaltungsgericht als rechtswidrig anerkannt und die Sperrung und | |
| Löschung aller illegal erhobenen Daten zugesichert worden – die | |
| Feststellungsurteile wurden allerdings ohne Beweisausnahme und | |
| Gerichtsverfahren ausgehandelt, weil die Polizei nicht durch eine | |
| Offenlegung der Ermittlungsakten Art und Umfang der jahrelangen | |
| Bespitzelung preisgeben wollte. | |
| Ausgangspunkt für den nun laufenden Rechtsstreit zwischen Stroux und der | |
| Stadt Hamburg war ein Zufall: Im Rahmen einer Routineanfrage wegen ihrer | |
| Einbürgerungspläne beim LfV Hamburg kam 2016 heraus, dass die Hamburgerin | |
| mit griechischen Wurzeln seit mehr als 25 Jahren vom Geheimdienst bei ihrer | |
| Arbeit ausspioniert worden ist. Über sie seien Daten im | |
| nachrichtendienstlichen Informationssystem Nadis der | |
| Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern erfasst worden, | |
| teilte das Landesamt Hamburg mit. Dem Inlandsgeheimdienst lägen | |
| Erkenntnisse vor, die „tatsächliche Anhaltspunkte“ für den | |
| Verdacht begründeten, dass Stroux sich „zumindest seit 1988 an | |
| Aktivitäten linksextremistischer Bestrebungen beteiligt“ | |
| habe. | |
| Als Indiz nennt der Inlandsgeheimdienst unter anderem Strouxs | |
| journalistisches Engagement im „Initiativkreis für den Erhalt der | |
| Hafenstraße“, dem Mitte der 1980er-Jahre auch RichterInnen, | |
| AnwältInnen, PolitikerInnen, PolizistInnen, PastorInnen und | |
| HochschulprofessorInnen angehörten, und der sich damals für den | |
| Erhalt der besetzten Häuser am Hafenrand einsetzte. Weitere Indizien | |
| für den Verfassungsschutz, um Stroux als angeblich „bedeutende Person | |
| innerhalb der linksextremistischen Szene“ zu werten: 31 Fototermine, | |
| auch für die taz, unter anderem, um Bilder der Flüchtlingsschiffe im | |
| Hamburger Hafen zu machen sowie Aktivitäten der Kampagne „kein Mensch ist | |
| illegal“. | |
| Doch laut Stroux sind beim Verfassungsschutz Termine aufgelistet, an denen | |
| sie „nachweislich in Griechenland“ war. Der Hamburger Anwalt Carsten | |
| Gericke, der sie gemeinsam mit Ünal Zeran vertritt, kritisiert, dass der | |
| Verfassungsschutz „das Eintreten für demokratische und rechtsstaatliche | |
| Prinzipien bei politisch links stehenden Personen und Organisationen als | |
| Anlass für Datenspeicherung“ nehme und „in entsprechenden | |
| Meinungsäußerungen Verhaltensweisen zu erkennen meint, die auf eine | |
| Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung gerichtet sind“. | |
| Nachdem Stroux 2016 Klage beim Verwaltungsgericht gegen die Stadt Hamburg | |
| eingelegt und die Löschung aller Daten gefordert hatte, ordnete der | |
| Hamburger Senat vorübergehend die Sperrung der Daten an. 2017 hat er sie | |
| jedoch wieder zur Verwendung freigegeben, weil sie, so heißt es in der | |
| Akte, weiterhin „zur Aufgabenerfüllung“ des LfV-Hamburg „notwendig“ se… | |
| Zudem würde sich Stroux über die Medien äußern und sich mit ihrer Broschüre | |
| „Shooting back“ gegen ihre Bespitzelung zur Wehr setzen, was ein weiteres | |
| Indiz für ihre extremistische Gesinnung sei. | |
| Inzwischen hat das Verwaltungsgericht die Akte zur Einsicht angefordert und | |
| auch einige Dokumente bekommen – ein Extrakt von rund 200 Blättern, die | |
| größtenteils geschwärzt sind. Mehr als 2.000 Seiten fehlen, weil der | |
| Inlandsgeheimdienst fürchtet, dass bei Bekanntwerden der Inhalte seine | |
| Arbeitsweise, Quellen und Informanten öffentlich würden und in der Folge | |
| bezahlte V-Leute um ihr Leben fürchten müssten. | |
| Dennoch blieb ein Aktenvermerk vom April 2017 ungeschwärzt. Darin heißt es, | |
| dass – nach der Entsperrung der Daten – die von den verdeckten | |
| Ermittlerinnen der Polizei rechtswidrig erhobenen Erkenntnisse unverzüglich | |
| aus den Datenbeständen des LfV-Hamburgs getilgt würden. Diese seien auch | |
| direkter Bestandteil der Klage von Stroux vorm Verwaltungsgericht und das | |
| Landesamt werde so „datenschutzrechtlichen Maximen“ gerecht. | |
| ## Politisch fragwürdig | |
| Für Strouxs Anwalt Carsten Gericke ist der Datenschutz ein „pharisäerhaft“ | |
| vorgeschobener Grund. „Vielmehr dürfte es darum gegangen sein, einmal mehr | |
| Aktenteile schnellstmöglich zu schreddern, um zu verhindern, dass bekannt | |
| wird, in welchem Umfang rechtswidrige Erkenntnisse seitens der | |
| Verfassungsschutzbehörden gespeichert wurden und werden“, so Gericke. | |
| Denn über die Hälfte der offiziell aufgelisteten 31 Anlässe, bei denen | |
| Stroux als Fotografin ins Visier des Verfassungsschutzes geraten ist, waren | |
| Aktionen, bei denen auch die verdeckten Ermittlerinnen Maria B. Und Astrid | |
| O. als Aktivistinnen eine wesentliche Rolle spielten, so Stroux zur taz. | |
| Dies bestätige, so Gericke, „dass die Beklagte bewusst personenbezogene | |
| Daten über die Klägerin erhoben hat, die originär ihre journalistische | |
| Tätigkeit betreffen“. Das aber wäre politisch fragwürdig. | |
| 8 May 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Kai von Appen | |
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