| # taz.de -- Verfassungsschutz muss Daten löschen: „Dem Humbug ein Ende“ | |
| > Der Hamburger Verfassungsschutz muss seine 32 Jahre umfassende Sammlung | |
| > über die einstige taz-Fotoreporterin Marily Stroux vernichten. | |
| Bild: Arbeitete auch für die taz: die Fotografin Marily Stroux | |
| Hamburg taz | Nach energischem Widerstand ist der Hamburger | |
| Verfassungsschutz im [1][Rechtsstreit mit der Fotojournalistin Marily | |
| Stroux] vor dem Verwaltungsgericht eingeknickt: Sämtliche vom | |
| Nachrichtendienst erfassten Daten über Stroux aus ihrer 32-jährigen | |
| Tätigkeit als Fotoreporterin und Dokumentarin, die zum größtem Teil auch | |
| dem Gericht verheimlicht werden sollten, müssen gelöscht werden. Das sieht | |
| ein Vergleichsvorschlag des Hamburger Verwaltungsgerichts nach vierjährigem | |
| Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung vor, dem das Landesamt für | |
| Verfassungsschutz (LfV) nun überraschend zustimmte. | |
| Damit ist die Intention der Klage von Stroux mehr als erfüllt. „Es ist | |
| schön, dass ein Richter beim Verwaltungsgericht sich getraut hat, diese | |
| unsägliche Akte – die wie eine heiße Kartoffel offensichtlich herumgereicht | |
| worden ist – nach vier Jahren Klage in die Hand zu nehmen, zu lesen, zu | |
| verstehen und dem Humbug ein Ende zu setzen und selbst die Löschung von | |
| 2.000 geheimen Seiten zu verfügen“, kommentiert Stroux gegenüber der taz | |
| den Vergleich. | |
| Trotzdem bleibt ein fader Beigeschmack. Denn der Sinneswandel der | |
| Verfassungsschützer basiert nicht auf der Einsicht, dass die Ausforschung | |
| journalistischer Tätigkeit grundsätzlich als verfassungsrechtliches Tabu | |
| anzusehen ist. Im Gegenteil: Der Sachbearbeiter des Komplexes beharrte bis | |
| zuletzt auf der Auffassung, die Bespitzelung der Journalistin sei | |
| verfassungskonform und durch das Hamburgische Verfassungsschutzgesetz | |
| gerechtfertigt gewesen und schließlich auch nicht vom Hamburgischen | |
| Datenschutzbeauftragten beanstandet worden. | |
| Vielmehr wird nun die formale – und altersdiskriminierende – Begründung | |
| angeführt, dass es seit fünf Jahren beim LfV keine neuen Einträge in | |
| Stroux’ vermeintlich verfassungsfeindliches Sündenregister mehr gegeben | |
| habe. Aufgrund der abnehmenden Bedeutung und des Alters der 69-jährigen | |
| Klägerin sei für die Aufgabenerfüllung des LfV Hamburg eine Erfassung von | |
| Stroux’ Tätigkeiten nach jetziger Einschätzung des Geheimdiensts nicht mehr | |
| erforderlich, so das LfV. | |
| Fünf Jahre kein Eintrag? Das klang [2][vor einem Jahr noch ganz anders]. | |
| Damals musste das LfV in dem Rechtsstreit auf Aufforderung dem | |
| Verwaltungsgericht die Akte vorlegen, die der Geheimdienst über Stroux’ | |
| journalistische Tätigkeit seit 1988 erstellt hatte. Eine Tätigkeit, die der | |
| Verfassungsschutz als privates Engagement als Aktivistin missdeutete. | |
| Neben dem Dossier, das 31 Termine – Veranstaltungen und Demonstrationen – | |
| umfasst, die Stroux unter anderem für die taz Hamburg und die Wochenzeitung | |
| Zeit wahrgenommen hatte, umfasst die Akte mehr als 2.000 leere weiße | |
| Blätter oder großflächig geschwärzte Seiten. Deren Inhalt sollten auch vor | |
| dem Gericht geheimgehalten werden, um Quellen, Praktiken und Arbeitsweisen | |
| zu verschleiern sowie verdeckte ErmittlerInnen und V-Leute des | |
| Inlandsgeheimdienstes zu schützen, so die Begründung. Bei einer Enttarnung | |
| müssten diese „um ihr Leben fürchten“. | |
| Nachdem Stroux 2016 Klage beim Verwaltungsgericht gegen die Stadt Hamburg | |
| eingelegt und die Löschung aller Daten gefordert hatte, ordnete der | |
| rot-grüne Hamburger Senat vorübergehend die Sperrung ihrer Daten an. 2017 | |
| hat er sie dem Verfassungsschutz jedoch wieder zur Verwendung freigegeben, | |
| weil sie, so heißt es in der Akte, weiterhin „zur Aufgabenerfüllung“ des | |
| LfV Hamburg „notwendig“ seien. Zudem arbeite Stroux an der Broschüre | |
| „Shootings back“, mit der sie gegen die Langzeitobservation durch den | |
| Verfassungsschutz aufmerksam machen wolle. | |
| Ins Visier des Geheimdienstes war Stroux wegen ihrer journalistischen | |
| Arbeit über den „Initiativkreis für den Erhalt der Hafenstraße“ und | |
| das „Komitee zur Rettung der Hafenstraße“ geraten. Dem „Komitee“, das … | |
| für den Erhalt der besetzten Häuser am Hafenrand einsetzte, gehörten | |
| Mitte der 1980er-Jahre auch RichterInnen, AnwältInnen, | |
| PolitikerInnen, PolizistInnen, PastorInnen und | |
| HochschulprofessorInnen sowie der Mäzen Jan Philipp Reemtsma an. | |
| In der Tat war Stroux in diesen Jahren als taz-Fotografin bei | |
| Polizeieinsätzen in der Hafenstraße zugegen gewesen und gehörte | |
| während der notstandsmäßigen „Barrikadentage“ von 1987 zu einer | |
| Handvoll JournalistInnen, die Zugang zur verbarrikadierten | |
| Häuserzeile und den BewohnerInnen hatten. Die Häuser wurden | |
| schließlich erhalten und sind nun im Besitz einer Genossenschaft. Für ihre | |
| Fotodokumentation „Das Leben in der Hafenstraße“ wurde Stroux | |
| später von der Hochschule für bildende Künste und der Patriotischen | |
| Gesellschaft in Hamburg ausgezeichnet. | |
| Weitere Indizien, Stroux seitens des Verfassungsschutzes als angeblich | |
| „bedeutende Person innerhalb der linksextremistischen Szene“ zu | |
| werten, waren die besagten 31 Fototermine. Dabei fotografierte Stroux unter | |
| anderem BewohnerInnen der Flüchtlingsschiffe im Hamburger Hafen sowie | |
| Aktivitäten der Kampagne „Kein Mensch ist illegal“. Diese Fotos wertete der | |
| Verfassungsschutz als „tatsächliche Anhaltspunkte“, die den Verdacht | |
| begründeten, dass Stroux sich „zumindest seit 1988 an Aktivitäten“ | |
| und „linksextremistischen Bestrebungen beteiligt“ habe. | |
| Der Hamburger Anwalt Carsten Gericke, der Stroux im Auftrag der Deutschen | |
| Journalistenunion (DJU) in der Gewerkschaft Ver.di vertritt, kritisierte, | |
| dass der Verfassungsschutz „das Eintreten für demokratische und | |
| rechtsstaatliche Prinzipien bei politisch links stehenden Personen und | |
| Organisationen als Anlass für Datenspeicherung“ nehme und „in | |
| entsprechenden Meinungsäußerungen Verhaltensweisen zu erkennen meint, die | |
| auf eine Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung | |
| gerichtet sind.“ | |
| ## Versehentlich nicht geschwärzt | |
| Daher ist Anwalt Gericke mit dem Ausgang des Verfahrens „sehr zufrieden“, | |
| denn nun müssten nicht nur die Daten über die bekannten 31 Vermerke, | |
| sondern auch die 2.000 Seiten mit den geschwärzten und gesperrten Vermerken | |
| gelöscht werden. „Ich bin froh und erleichtert, dass nach 32 Jahren | |
| Beobachtung die ganzen Akten gelöscht werden müssen“, sagt Stroux. | |
| Stroux geht aber davon aus, dass der Verfassungsschutz vor allem einlenkt, | |
| um rechtsstaatlich bedenkliche Praktiken in einem Gerichtsverfahren nicht | |
| der Öffentlichkeit preisgegeben zu müssen. Vergangenes Jahr war im Prozess | |
| durch einen versehentlich nicht geschwärzten Vermerk in der Stroux-Akte | |
| aufgedeckt worden, das Daten, die beim illegalen Einsatz von verdeckten | |
| Ermittlerinnen des Hamburger Landeskriminalamtes erfasst worden waren, | |
| trotz richterlicher Verfügungen noch monatelang widerrechtlich beim LfV | |
| Hamburg gespeichert gewesen waren. Die Ermittlerinnen hatte die Polizei | |
| zwischen 2008 und 2012 in Hamburgs linke Szene eingeschleust. | |
| ## Gefühl der Unsicherheit | |
| Mehr als die Hälfte der offiziell aufgelisteten 31 Anlässe, bei denen | |
| Stroux als Fotografin ins Visier des Verfassungsschutzes geraten war, waren | |
| Aktionen, bei denen auch die [3][verdeckten Ermittlerinnen Maria B.] alias | |
| „Maria Block“ und Astrid O., Tarnname „Astrid Schütt“, als Aktivistinn… | |
| eine wesentliche Rolle spielten, so Stroux zur taz. Zudem fürchte der | |
| Inlandsgeheimdienst eine mögliche weitere gerichtliche Rüge, wie im Fall | |
| des Bremer Rechtsanwaltes und Bürgerrechtlers Rolf Gössner. Dessen | |
| Langzeit-Observierung über 38 Jahre hinweg wurde vom Oberverwaltungsgericht | |
| Nordrhein-Westfalen in Münster für verfassungswidrig erklärt. | |
| Trotz des Ausgangs des Verfahrens fühlt sich die gebürtige Griechin, die | |
| seit mehr als 40 Jahren in Hamburg lebt, nach den rassistischen | |
| Morddrohungen der vergangenen Wochen gegen linke PolitikerInnen und | |
| JournalistInnen nicht sicher. Nach bisherigen Erkenntnissen stammen die | |
| dafür verwendeten Adressdaten aus Polizeikreisen. „Was mir Sorge bereitet“, | |
| sagt Stroux, „ist die Tatsache, dass ich trotz der Löschung der Daten nicht | |
| weiß, wer alles Zugriff auf diese Akten 32 Jahre lang hatte oder noch immer | |
| hat.“ | |
| 5 Aug 2020 | |
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| Kai von Appen | |
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