# taz.de -- Ein Jahr Chemnitzer Ausschreitungen: War Rechtsterror möglich? | |
> Vor einem Jahr sorgten Rechtsextreme in Chemnitz für Unruhen. Nun stehen | |
> acht von ihnen vor Gericht. Sie sollen sogar Terroranschläge geplant | |
> haben. | |
Bild: Oberlandesgericht Dresden: Hier beginnt am Montagmorgen der Prozess | |
Am Montagmorgen werden die acht Männer erstmals wieder in die | |
Öffentlichkeit treten, in den Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts | |
Dresden, der abgeschirmt am Stadtrand liegt. Es werden Bauarbeiter, | |
Securities, Arbeitslose sein, 21 bis 32 Jahre alt, alle üppig vorbestraft, | |
einige mit Tattoos auf den Armen, die „Wehrsturm Sachsen“, „Skin“ oder | |
„ANAB“ („All Niggers are Bastards“) lauten. Acht Rechtsextreme, keine | |
Frage. Und auch Terroristen? | |
Vor einem Jahr noch standen die Männer in Chemnitz auf der Straße. Mit | |
teils tausenden anderen Rechten [1][zogen sie im Spätsommer 2018 durch die | |
Stadt], nachdem dort der 35-jährige Daniel H. erstochen worden war, | |
[2][mutmaßlich von zwei Geflüchteten]. Es war eine Eruption, Rechte aus der | |
ganzen Republik reisten an, die AfD, Pegida, Hooligans. Der Protest zog | |
sich über Wochen. Und er schlug in Gewalt um. | |
Den acht in Dresden Beschuldigten soll das nicht gereicht haben: Sie sollen | |
gar eine Terrorgruppe namens „Revolution Chemnitz“ gebildet und Anschläge | |
geplant haben, auf Politiker, Migranten und Linke. So jedenfalls sieht es | |
die Bundesanwaltschaft, die sie angeklagt hat. Der Prozess, der am Montag | |
beginnt, ist damit mehr als eine weitere Nachlese der rechten Unruhen in | |
Chemnitz. Er soll auch die Frage klären, ob der Straßenkrawall bis hin zum | |
Rechtsterror hätte eskalieren können. | |
## Von Anfang an auf der Straße | |
Die jetzt Angeklagten waren jedenfalls von Anfang an dabei, als der Protest | |
in Chemnitz losbrach. Schon einen Tag nach der tödlichen Messertat vom 26. | |
August 2018 gingen einige von ihnen auf die Straße. Drei von ihnen kannten | |
Daniel H. persönlich. Auch die acht kannten sich untereinander, einige | |
schon seit der Jugend, andere von Stadionbesuchen beim Chemnitzer FC, aus | |
dem Knast oder aus einer früheren rechtsextremen Kameradschaft – dem „Sturm | |
34“. | |
Nun reihten sich die acht in Chemnitz in die Proteste ein. „Ausländer | |
raus“, schalte es über die Straßen, oder „Unsere Stadt, unsere Regeln“. | |
Genau dies wollten die acht offenbar in die Tat umsetzen. Auf der Straße | |
schaukelte sich die Stimmung hoch, und auch die nun Beschuldigten heizten | |
sich in privaten Chats weiter an. Man habe die „Kanacken“ satt, die | |
„Rotzer“, den „Abschaum“, hieß es dort. | |
Man wolle diese „boxen“, „schlachten“, „Jagd“ auf sie machen. Für … | |
Mörder von Daniel H. brauche es ein „Kopfgeld“. Auch die „Zecken“ soll… | |
man „ausrotten“. So halten es Ermittlungsergebnisse fest, welche die taz | |
einsehen konnte. | |
Als es auf den Demos tatsächlich zu Gewalt kam, waren die acht begeistert: | |
„Geil“ seien die Szenen gewesen, wurde in den Chats gejubelt. Der nun als | |
Rädelsführer angeklagte Christian K., ein Teilzeit-Security, erst ein Jahr | |
aus der Haft, ohne festen Wohnsitz, schrieb: „Die Zeichen stehen auf | |
Sturm.“ Man solle jedem Bescheid sagen, der „Bock hat sich rum zu prügeln�… | |
oder auch „ein Schritt weitergeht“. Er jedenfalls sei bereit, es „bis zum | |
Ende durchzuziehen“. | |
## Einen „Wendepunkt in der Geschichte“ erzwingen | |
Die Chats zeichnen nach, wie sich die Eskalationsspirale in Chemnitz damals | |
immer weiterdrehte. Wie die Demos kippten. Hitlergrüße wurden dort gezeigt, | |
dann auch Migranten, Gegendemonstranten und Journalisten attackiert, ebenso | |
wie ein jüdisches, ein türkisches und zwei persische Restaurants in der | |
Stadt. Allein bei den ersten beiden Aufzügen nach Daniel H.s Tod zählte das | |
LKA Sachsen 38 Gewaltdelikte. Die Gesamtbilanz nach den Ausschreitungen in | |
Chemnitz lag am Ende bei 138 rechtsmotivierten Straftaten. | |
Auch Christian K. reichte das Demonstrieren nun nicht mehr. Er gründete am | |
10. September eine Chatgruppe, verschlüsselt, beim Messenger-Dienst | |
Telegram: „Planung zur Revolution“. Es sei nun „an der Zeit, nicht nur | |
Worte sprechen zu lassen, sondern auch Taten“, schrieb der 32-Jährige. Es | |
gehe um eine „Systemwende“, ja einen „Bürgerkrieg“. Dafür brauche es | |
„effektive Schläge“ gegen die „Linksparasiten“ und „Merkel-Zombies�… | |
Der NSU werde dagegen nur „wie die Kindergartenvorschulgruppe wirken“. Der | |
Mitbeschuldigte Tom W., ein Handwerker, der bereits als 16-Jähriger wegen | |
rechtsextremer Straftaten verurteilt wurde, antwortete: „Für mich geht kein | |
Ding zu weit.“ | |
Die Gruppe suchte Waffen. Heckler & Koch oder Walther wären gut, wie es im | |
Chat hieß. Für 800 Euro könne er etwas besorgen, schrieb Christian K. Auch | |
Tom W. sicherte zu: „Waffen also scharfe Sachen kann ich machen“. Ein | |
anderer Beschuldigter gestand in seiner späteren Vernehmung, es sei darum | |
gegangen, „jemanden umzubringen“. | |
Und Christian K. legte bereits ein Datum zum Losschlagen fest: den 3. | |
Oktober, in Berlin. Dort, wo die Leute säßen, „die abgesetzt werden | |
müssen“. In Berlin werde man, am Rande einer Demonstration und mit | |
deponierten Waffen, einen „Wendepunkt in der Geschichte“ der Bundesrepublik | |
erzwingen, so Christian K. Der Plan war, auch Polizisten auf die eigene | |
Seite ziehen: Die Ausschreitungen müssten nur so aussehen, als hätten die | |
Linken angefangen, schrieb K. Dann seien „die Bullen zu 88,88 Prozent auf | |
unserer Seite“. | |
## „Revolution Chemnitz“-Chats entdeckt | |
Zu der Aktion indes kam es nicht mehr. Denn bereits zwei Wochen zuvor hatte | |
sich Mitte September die Gruppe mit anderen Rechtsextremen zu einem | |
„Probelauf“ in Chemnitz verabredet. Nach einer erneuten „Pro Chemnitz“-… | |
zogen sie los, mit Schlaghandschuhen, abgebrochenen Flaschen, einem Messer, | |
einem Elektroschocker. Ein junges Pärchen fragten sie, ob sie Deutsche | |
seien, schlugen dem Mann ins Gesicht. | |
Auf der Schlossteichinsel bedrängten sie erst eine Jugendgruppe, dann | |
attackierten sie eine Gruppe von Iranern, warfen einem eine Bierflasche an | |
den Kopf. Alarmierte Polizisten schritten ein, nahmen die Männer fest – und | |
zogen ihre Handys ein. Hier nun entdeckten die Beamten die „Revolution | |
Chemnitz“-Chats. Am [3][1. Oktober 2018 wurde auch der Rest der heute | |
Verdächtigen festgenommen]. | |
Die Ermittler trafen auf einschlägige Bekannte: Bei einem Beschuldigten | |
entdeckten sie eine Reichskriegsfahne neben dem Fernseher, bei einem | |
anderen eine Gartenlaube mit Hitlerbild, bei einem dritten einen | |
Partykeller mit raumhohem Hakenkreuz. | |
## Bildung einer Terrorgruppe | |
Die freitäglichen Proteste in Chemnitz gingen indes auch danach weiter. | |
Einer der Organisatoren, Martin Kohlmann, Chef der rechtsextremen | |
Kleinpartei „Pro Chemnitz“, relativierte auf einer Demo nur wenige Tage | |
nach der Festnahme: Die Terrorpläne seien ein „Märchen“. Es gehe doch nur | |
um Leute, die „in Handynachrichten ein bissl Frust ablassen“. Kohlmann | |
attackierte vielmehr die Ermittler: „Für wie blöd halten die uns | |
eigentlich?“ | |
Für die Bundesanwaltschaft dagegen ist klar: „Revolution Chemnitz“ hatte | |
eine feste Struktur, es agierte konspirativ und verfolgte ein klar | |
gewaltsames Ziel. Es sei den Rechtsextremen um die „Überwindung des | |
demokratischen Rechtsstaats“ gegangen und um „todbringende Anschläge“. A… | |
um Terror. Verteidiger der Angeklagten nennen die Vorwürfe dagegen „dünn“: | |
Es sei zweifelhaft, dass eine reine Chatgruppe reiche, um bereits eine | |
Terrorgruppe zu bilden. | |
Die Vorgeschichten der acht Angeklagten zeigen indes, dass ihre | |
Radikalisierung in den Tagen von Chemnitz keineswegs aus dem Nichts kam. | |
Tatsächlich verübten die Männer schon seit Jahren rechtsextreme Straftaten | |
und waren in Strukturen der Szene eingebunden. | |
So war der Beschuldigte Tom W. einst Anführer der 2007 verbotenen | |
Kameradschaft „Sturm 34“ aus Mittweida, 20 Kilometer vor Chemnitz. Mit | |
äußerster Gewalt zog die Gruppe über Dörfer. Ziel sei eine „Säuberung“… | |
Gebiets von „Ausländern“, „Linken und Zecken“ gewesen, heißt es im | |
Verbotsbescheid. Laut Ermittlern war auch der nun Mitangeklagte Sten E. | |
damals „Sturm 34“-Mitglied, ein weiterer Beschuldigter sei Sympathisant | |
gewesen. Christian K. und ein weiterer Angeklagter verübten einst mit den | |
Kameradschaftlern Gewalttaten. | |
K. pflegte zudem Kontakte zur Kameradschaft „Nationale Sozialisten | |
Chemnitz“, die ebenfalls für ihre Gewalt berüchtigt war, Schießtrainings | |
absolvierte und 2014 verboten wurde. Ein anderer Beschuldigter wiederum war | |
zuletzt Administrator einer Chatgruppe namens „Wehrsturm Sachsen“: Auch | |
dort wurden Migranten als „Drecksbrut“ und „Mistbiester“ beschimpft. St… | |
E. hatte zudem Kontakt zu Leuten der früheren Hooligan-Gruppe „Elbflorenz“ | |
aus Dresden, und bei Tom W. fanden die Ermittler auch einen NPD-Ausweis. | |
Die Vernetzung in die rechtsextreme Szene – offenbar nicht nur der | |
Angeklagten – erklärt auch, warum die Aufmärsche in Chemnitz so schnell | |
derart groß und gewalttätig wurden. Über WhatsApp-Gruppen wurde damals | |
bundesweit nach Chemnitz mobilisiert. Einer namens „Bündnis zur Bewegung“ | |
gehörten immerhin 350 Mitglieder aus mehreren Bundesländern an, darunter | |
auch fünf der Angeklagten. Und auch hier schrieb der Chatgründer | |
unmissverständlich: Man wolle „eine Wende in unserem Land herbeiführen“. | |
Auch dieser Mann war einst „Sturm 34“-Mitgründer. | |
Dazu tauchte erst dieser Tage ein Foto auf, das auch Stephan Ernst, den | |
mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, auf | |
einem der Protestmärsche Anfang September in Chemnitz zeigen soll. Die | |
Aufzüge entblößen sich damit einmal mehr als Machtprobe der bundesweiten | |
rechtsextremen Szene – das von der AfD bis hin zu Terrorbereiten reichte. | |
## Hartes Gerichtsurteil erwartet | |
Die Aufarbeitung im „Revolution Chemnitz“-Prozess hätte dabei noch eine | |
bizarre Wendung nehmen können. Denn zwischenzeitlich war auch Martin | |
Kohlmann als Verteidiger mandatiert, der „Pro Chemnitz“-Chef, der Anheizer | |
der Aufmärsche, von Beruf Anwalt. Offenbar aber überwarf sich Kohlmann mit | |
seinem Mandanten. Noch heute aber ätzt er, die Terrorpläne entstammten „dem | |
Bereich der Phantasie“. | |
Selbst einige der nun Angeklagten sehen es anders. Das Ziel sei schon so | |
„etwas wie ein Bürgerkrieg“ gewesen, gestand einer den Beamten. Das wäre | |
ihm letztlich „zu heiß“ geworden. Ein Mitbeschuldigter sprach dagegen noch | |
in seiner Vernehmung von „dreckigen Südländern“. Und bei Christian K. | |
fanden Beamte noch in seiner Gefängniszelle ein Foto von ihm mit einem | |
Mitbeschuldigten – auf dem beide den Hitlergruß zeigen. | |
Folgt das Gericht der Anklage, dürften die Beschuldigten kaum auf Milde | |
hoffen. Schon 2017 wurden vier Neonazis als Rechtsterroristen verurteilt, | |
die als „Oldschool Society“ in einer Chatgruppe über Anschläge sinniert | |
hatten. Zur Umsetzung kam es nicht, die Richter schickten sie dennoch bis | |
zu fünf Jahre in Haft – wegen der „ernsthaften, verbindlichen Ziele“. | |
Zumindest Christian K., der mutmaßliche „Revolution Chemnitz“-Anführer, | |
dürfte ahnen, was auch seiner Truppe droht. Im Chat warnte er einmal seine | |
Mitstreiter: „Ihr könnt euch ja vorstellen, dass wir hier über mehr als ein | |
Kurzzeiturlaub sprechen, wenn da mal was offengelegt wird.“ | |
30 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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