| # taz.de -- Wahlen in Russland: Tritt vors Schienbein für Putin | |
| > Bei den Regional- und Kommunalwahlen muss die Partei „Einiges Russland“ | |
| > Federn lassen. Die Opposition erzielt einen Achtungserfolg. | |
| Bild: Wahlkommission in Wolgograd. Wie sagte einst Stalin: „Wichtig ist nur, … | |
| Moskau taz | Roman Juneman hatte wochenlang gekämpft, hat jeden Hof im | |
| Moskauer Stadtteil Tschertanowo abgeklappert, zuweilen nur vor einer | |
| Handvoll Menschen gesprochen, ihnen erklärt, dass Politik genau hier | |
| anfängt, zwischen den mehrstöckigen Plattenbauten des Schlafbezirks im | |
| Süden der Stadt. Er sprach entschlossen, routiniert, als wäre der | |
| 24-jährige Polit-Neuling schon lange in der Moskauer Lokalpolitik | |
| unterwegs. | |
| Am Montag nach der Wahl ist Roman Juneman leise, sehr leise sogar. Und er | |
| ist enttäuscht. Sprechen will er nicht. Gerade einmal 84 Stimmen haben dem | |
| Jungpolitiker, der als unabhängiger Kandidat angetreten war, gefehlt, um | |
| als Abgeordneter in die Moskauer Stadtduma einzuziehen. | |
| Das ist eine Institution, die in den Sommermonaten zu so etwas wie einem | |
| Ventil für die Unzufriedenheit vieler Menschen im ganzen Land geworden war, | |
| weil der Ausschluss einiger oppositioneller Kandidaten über Wochen | |
| [1][Tausende Demonstranten] auf die Straße getrieben hatte. | |
| Zwar offenbart die geringe Wahlbeteiligung – im ganzen Land lag sie | |
| offiziell bei 41,2 Prozent, in Moskau erreichte sie, ähnlich wie bereits | |
| vor fünf Jahren, 21,6 Prozent – nicht gerade eine politische Erweckung der | |
| Menschen. Dennoch zeigt sich in der Hauptstadt mehr als nur ein | |
| Achtungserfolg der Opposition, mag er auch taktischer Natur sein. | |
| ## Politisches Comeback | |
| Die Regierungspartei „Einiges Russland“ hat im politisch eher schwachen | |
| Gremium der Stadt 13 Sitze verloren. Selbst Andrej Metelski, der | |
| Vorsitzende der Partei in der Stadt, muss seinen Posten nach 18 Jahren in | |
| der Stadtduma für den Konkurrenten von den Kommunisten räumen. | |
| Nach Auszählung aller Wahlzettel in Moskau gehen 20 von 45 Sitzen an die | |
| offiziell geduldeten, dem Kreml loyalen Vertreter der Kommunistischen | |
| Partei und der Partei „Gerechtes Russland“ sowie vier Kandidaten der | |
| sozialliberalen Jabloko-Partei, der einzigen Oppositionspartei mit | |
| pluralistischem Programm. Gerade für Jabloko bedeutet der Ausgang der Wahl | |
| so etwas wie ein politisches Comeback. | |
| Die Niederlage von „Einiges Russland“ und der vom Rathaus unterstützten | |
| Bewerber spielt die Führung herunter. Der Moskauer Bürgermeister Sergei | |
| Sobjanin schrieb am Montag in seinem Blog, die Vielfalt tue der Stadtduma | |
| gut. Die Worte klingen zynisch, hatte doch gerade er einiges darangesetzt, | |
| die Opposition von der Wahl fernzuhalten – und sich verkalkuliert. | |
| Denn vor allem die Strategie des [2][Kreml-Kritikers Alexej Nawalny], für | |
| jeden anderen zu stimmen, nur nicht für die Vertreter von „Einiges | |
| Russland“, hat bei dieser Wahl offensichtlich gegriffen. Im ganzen Land. | |
| Noch in den Wahllokalen hatte so mancher zur „Nawalny-Liste“ gegriffen, mit | |
| der der einstige Anti-Korruptions-Blogger Empfehlungen zu den Kandidaten | |
| abgegeben hatte. „Kluges Wählen“ hatte er das genannt. | |
| ## Angeblich keine Manipulationen | |
| Diese auch in Oppositionskreisen umstrittene Strategie sorgte auf der | |
| Stadtparlaments- und Bezirksebene für Erfolge der kremltreuen Opposition. | |
| In der russischen Hauptstadt ist das ein massiver Tritt gegen das | |
| Schienbein der Mächtigen und erlaubt Nawalny, weiter in der Politik zu | |
| bleiben, wenn auch außerhalb von Ämtern | |
| Die Staatsführung ging auf die Verluste nicht ein. Die von | |
| Menschenrechtsgruppen offengelegten Manipulationen habe es nicht gegeben, | |
| sagte auch die Wahlkommission. „Die Partei ist die führende politische | |
| Kraft unseres Landes“, sagte der Premierminister Dmitri Medwedjew bereits | |
| am Wahlsonntag. | |
| Immerhin hatte in allen 16 Regionen, in denen ein Gouverneur gewählt worden | |
| war, „Einiges Russland“ gewonnen. Die Partei aber, die dem russischen | |
| Präsidenten Wladimir Putin stets als Blitzableiter dient, verliert seit | |
| Monaten an Zustimmung. Viele Kandidaten traten lieber als quasi Unabhängige | |
| an und versprachen sich so mehr Erfolg. | |
| Früher hatte genau das Gegenteil gegriffen. Karriere machen konnte nur | |
| der/diejenige, der/die bei „Einiges Russland“ mit dabei war. Mittlerweile | |
| dümpelt „Einiges Russland“ politisch vor sich hin. Über die Ausrichtung d… | |
| Partei reden weder Medwedjew noch andere Parteiführer gern. Von einem | |
| „faktischen Tod“ der Partei spricht bereits der Soziologe Konstantin Gaase | |
| vom Moskauer Carnegie-Zentrum. | |
| Deshalb zeigt sich in Moskau, aber auch zum Beispiel in der Metropole | |
| Chabarowsk an der Grenze zu China, dass im Kleinen durchaus Bewegung | |
| möglich ist. Die Opposition ist angesichts dieser Mini-Schritte | |
| hoffnungsvoll. Ihre Tritte lassen das System Putin kurz erzittern. Umfallen | |
| wird es (vorerst) aber dennoch nicht. | |
| 9 Sep 2019 | |
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| Inna Hartwich | |
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