Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Justiz gegen Oppositionelle in Russland: Knapp am Knast vorbei
> Der Student Jegor Schukow hatte an Protesten der Opposition teilgenommen.
> Dafür wurde er nun zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Bild: Der Moskauer Student Jegor Schukow (Mitte) nach dem Gerichtsurteil
Moskau taz | Ein Gericht in Moskau hat den Studenten Jegor Schukow zu einer
dreijährigen Strafe auf Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte
vier Jahre Lagerhaft für den Blogger und Studenten von der Hochschule für
Ökonomie gefordert. Hunderte Kommilitonen und Demonstranten fanden sich
schon am frühen Freitag Morgen vor dem Gericht im Stadtteil Kunzewo ein.
Mit Sprechchören begleiteten sie die Urteilsverlesung im Gericht, wo nur
wenige an der Verhandlung teilnehmen konnten. „Keine Repressionen“,
„Freiheit für politische Häftlinge“ und „Klaut uns nicht die Zukunft“,
skandierten hunderte Demonstrantinnen.
Schukow ist einer [1][der bekanntesten Angeklagten seit den Demonstrationen
gegen den Ausschluss der Opposition von den Moskauer Regionalwahlen] im
Sommer.
Zur Solidarisierung trug noch bei, dass der 21-jährige zunächst wegen
Aufrufs „zu Massenunruhen“ angeklagt werden sollte. Es stellte sich jedoch
heraus, dass Jegor Schukow mit einem anderen Aktivisten verwechselt worden
war. Der fuchtelte mit den Armen in der Luft und rief angeblich zu
Widerstand auf.
## Der Willkür ausgeliefert
Die Strafverfolgungsbehörden sind selten bereit, Fehler einzusehen und
Anklagen fallen zu lassen. Wer einmal in die Fänge des Justizsystems gerät,
ist meist der [2][Willkür der Behörden] auf Gedeih und Verderb
ausgeliefert.
In Schukows Fall ließen die Ermittler denn auch nicht locker und
konstruierten im Anschluss eine Anklage wegen öffentlicher Aufrufe zu
„Extremismus“. Im September wurde er schon in einer offiziellen Liste für
„Extremisten und Terroristen“ namentlich geführt.
Die Beweisführung im Extremismusverdacht übernahm der Experte Alexander
Korschikow vom Geheimdienst FSB. Der wertete eine Aussage wie „beliebige
Formen des Protestes aufgreifen“, bereits als Indiz extremistischer
Überzeugungen. Damit hätte Schukow Feindseligkeit gegenüber der
Verfassungsordnung gezeigt und wolle die soziale Ordnung destabilisieren,
hieß es in der Anklage.
Auch frühere Videos wurden auf verdächtiges Material durchgesehen und
Seminararbeiten des BA-Studenten im Fach Sozialwissenschaften auf
Umsturzgedanken untersucht.
## Demonstranten abschrecken
Das Ziel des Kreml ist eindeutig: Einschüchtern und durch drakonische
Strafen Demonstranten abschrecken. Auch ein Video, in dem Schukow das Buch
vorstellt „198 Methoden gewaltlosen Widerstands“ wurde als Indiz
herangezogen.
Die junge Generation lässt sich nicht mehr so einfach einschüchtern. Sie
verlacht die Machthaber, wenn diese absurde Vorwürfe ersinnen, um am Ruder
zu bleiben. Dahinter verbirgt sich mehr als ein üblicher
Generationenkonflikt. „Je schlimmer meine Zukunft, desto breiter mein
Lächeln“, sagte Schukow in seinem Schlusswort vor Gericht.
Der Dichter und Oppositionelle Dmitrij Bykow stand ebenfalls vor Gericht.
Gegenüber dem TV Kanal Doschd sagte er, auch die Richterin verspüre die
„Vibrationen im Rückenmark“, die von jenen Menschen ausgehen, die unter den
Repressionen leiden. Das Justizpersonal hätte sehr „entwickelte Fühler“,
meinte er: „Je lauter die Rufe und stärker die Erschütterungen, desto
schneller wird das Personal von der Botschaft erreicht. Die Richter
fürchten sich selbst vor Lagerhaft und haben Angst vor dieser Jugend“, so
Bykow.
Das scheint sich auch in dem abgemilderten Urteil widerzuspiegeln. Die
Vizedirektorin der Hochschule Valerija Kasamara verwahrte sich gegen
Spekulationen, die Universität könne Schukow nun ausschließen. „Warum
sollten wir?“, sagte sie. Schukow kann weiter bis zum BA studieren.
## Nur unter Auflagen
Allerdings wurden Auflagen verhängt, die es ihm untersagen, im Internet
eine Site und einen youtube Kanal zu unterhalten. Auch die Nutzung des
Internets wurde eingeschränkt.
Beobachter sehen in dem Urteil indes noch mehr: Die unabhängige Beurteilung
politischer Zusammenhänge im Internet wurde so deutlich erstmals unter
Strafe gestellt.
Schukow ist einer von zehn Demonstranten, die bereits in der „Moskauer
Sache“ verurteilt wurden. Gegen dreizehn Protestler laufen noch
Ermittlungen und Strafverfahren.
6 Dec 2019
## LINKS
[1] /Wahlen-in-Russland/!5621076
[2] /Repression-gegen-russischen-Journalisten/!5602653
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Russland
Justiz
Protest
Russische Opposition
Russland
Einiges Russland
Einiges Russland
Russland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Aus Le Monde diplomatique: Millionär werden leicht gemacht
In Russland kritisiert die Opposition gern die grassierende Korruption.
Wenn sich wirklich etwas ändern soll, reicht das aber nicht aus.
Regionalwahlen in Russland: Putins Partei hat abgewirtschaftet
Das Ergebnis der Wahlen in Russland, vor allem in Moskau, ist mehr als nur
ein Achtungserfolg für die Opposition. Die braucht jetzt eine Strategie.
Wahlen in Russland: Tritt vors Schienbein für Putin
Bei den Regional- und Kommunalwahlen muss die Partei „Einiges Russland“
Federn lassen. Die Opposition erzielt einen Achtungserfolg.
Gelenkte Wahlen in Russland: Für die Liebe
Ljubow Sobol ist zum Gesicht der russischen Opposition avanciert. Weil sie
nicht in Haft ist wie ihre Mitstreiter aus der Opposition.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.