# taz.de -- Regierungswechsel in Russland: Großes Rätselraten | |
> Experten sinnieren über die Motivation von Präsident Putin. Der könne | |
> künftig seine Macht abgeben, ohne sie abzugeben, lautet ein Szenario. | |
Bild: Tete-a-Tete: Russlands Präsident Wladimir Putin und der neue Premier Mic… | |
MOSKAU taz | In Russland ist die Zeit der Spekulationen angebrochen. Nach | |
dem überraschenden Rücktritt der Regierung am Mittwoch, der nach der | |
jährlichen Rede zur Lage der Nation des Präsidenten [1][Wladimir Putin] | |
erfolgte, rätselt das Land über die Motivation für diesen Schritt. Vieles | |
bleibt unklar, sicher ist aber eines: Die Zeit des „Macht-Transits“, wie | |
die Russen sagen, habe begonnen, schrieben russische Kommentaren am Morgen | |
nach dem politischen Paukenschlag. | |
Zunächst aber stellte sich der designierte Premier Michail Mischustin den | |
Fraktionen im russischen Parlament. Bei seinem Fünf-Minuten-Auftritt blieb | |
er blass und referierte lediglich die Thesen Putins vom Vortag: | |
Armutsbekämpfung, Infrastrukturprojekte, Änderungen im Staatsbau. | |
Einen großen Wurf, wie er die Wirtschaft ankurbeln und die sozialen | |
Probleme im Land anpacken wolle, lieferte er nicht. Auch widmete er sich | |
nicht dem Thema Digitalisierung, bei dem sich der bisherige Leiter der | |
Nationalen Steuerbehörde bestens auskennt. | |
Die Abgeordneten sprachen sich in einer nicht geheimen Abstimmung für den | |
Vorschlag Putins aus, Mischustin zum Premier zu ernennen. 85,1 Prozent der | |
Duma-Abgeordneten waren für Mischustin, niemand gegen ihn. Putin | |
unterschrieb ein entsprechendes Ernennungsdekret. | |
## Schlechte Umfragewerte | |
Der Moskauer Technokrat soll vor allem die Effektivität der sogenannten | |
Nationalen Projekte steigern, Putins Lieblingsprogramm zur Ankurbelung der | |
Wirtschaft. Soziale und wirtschaftliche Themen sind der Gradmesser für die | |
Zufriedenheit mit der Regierung. Deren Umfragewerte waren zuletzt immer | |
schlechter geworden. | |
Die Projekte sollen umgerechnet mehr als 360 Milliarden Euro kosten. Doch | |
der Regierung fällt es offenbar schwer, Geld auszugeben. Mit den | |
Investitionen in die „Nationalen Projekte“ liegt sie weit hinter dem Plan. | |
Der „Neue“ soll es richten. | |
Derweil traf sich Putin am Donnerstagnachmittag mit einer Arbeitsgruppe, | |
die Vorschläge ausarbeiten soll, wie die [2][vom Präsidenten | |
vorgeschlagenen Verfassungsänderungen] zu gestalten seien. In diese Gruppe | |
hat er Senatoren, Wissenschaftler und Abgeordnete berufen, aber auch die | |
Olympiasiegerin Jelena Issinbajewa und den Krawallschriftsteller Sachar | |
Prilepin. Dieser hatte im Donbass gekämpft und wohl auch Kriegsverbrechen | |
begangen. | |
Die Gruppe ist angehalten, ihre Vorschläge möglichst schnell vorzulegen. | |
Wie die russische Agentur Tass meldete, sollen die möglichen Änderungen am | |
1. Mai dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. | |
## Keine Rede von Referendum | |
Der Kreml drückt im Hinblick auf die Parlamentswahl 2021, bei der die | |
Regierungspartei Einiges Russland bessere Ergebnisse liefern soll als | |
zuletzt, aufs Tempo. Wie diese Abstimmung aussehen soll, steht nicht fest. | |
Das Wort „Referendum“ war in Putins Rede nicht gefallen. | |
Der 67-Jährige hatte während seiner Ansprache vor den beiden Kammern des | |
Parlaments sieben Bereiche genannt, die zu ändern seien. Eine | |
Verfassungsreform mit klarem Ziel ist das nicht, sondern ein Mix aus | |
unterschiedlichen Maßnahmen. | |
Diese machen Russlands Präsidialsystem zwar vordergründig | |
parlamentarischer, doch sie beschneiden auch die Vollmachten der Regionen | |
und Gemeinden. Die „Vertikale der Macht“ wird dadurch noch stabiler. Die | |
Änderungen zielen darauf ab, die Verfassung so umzubauen, dass Putin seine | |
Macht abgibt, ohne sie abzugeben. | |
Russische Beobachter richten vor allem den Blick darauf, dass der bislang | |
eher als dekorativ wahrgenommene Staatsrat Verfassungsrang bekommen soll. | |
Das 2000 von Putin eingerichtete Organ aus Spitzenbeamten und Gouverneuren | |
besitzt keine klar definierten Befugnisse. Putin könnte den Staatsrat zu | |
seiner künftigen Basis machen und eine Art Parallel-Machtstruktur | |
erschaffen, wenn seine Amtszeit 2024 ausläuft. | |
Die Politologin Jekaterina Schulman spricht von einem Kasachstan-Szenario. | |
Der einstige kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew hatte im März 2019 | |
nach fast 30 Jahren an der Macht seinen Rücktritt verkündet – und wurde auf | |
Lebenszeit Chef im kasachischen Sicherheitsrat. Damit hält er auch weiter | |
alle Zügel in der Hand. Putin könnte Ähnliches im Schilde führen. | |
16 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
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