# taz.de -- Verfassungsänderungen in Russland: Alte Helden für Putins Zukunft | |
> Stars aus Sport und Kunst sollen am Umbau der Verfassung mitarbeiten. | |
> Hauptsache kremltreu. Auch das ist ein Grund für die jüngsten Proteste. | |
Bild: Protestierende gegen Putins Reformen halten die Verfassung in den Händen | |
MOSKAU taz | Der 19. Januar ist für die Opposition in Russland seit Langem | |
ein Pflichttermin. 2009 waren der Menschenrechtsanwalt [1][Stanislaw | |
Markelow] und die Journalistin Anastassija Baburowa von Attentätern aus der | |
rechtsextremen Szene im Moskauer Stadtzentrum durch mehrere Schüsse | |
niedergestreckt worden. Seither ist der Tag der Morde zu einem festen | |
Gedenktag geworden. Die Täter wurden sogar ermittelt und zu langjährigen | |
Lagerstrafen verurteilt. | |
Am vergangenen Sonntag stießen noch einige Hundert neue Demonstranten zum | |
Gedenkmarsch hinzu. Sie verlangten auf Transparenten „Nein zur Diktatur“ | |
und forderten auf einem Pappschild „Putin hau ab“. Sie gehörten zu jenen | |
Demonstranten, die die Veranstaltung noch nutzen wollten, um gegen | |
[2][Präsident Wladimir Putins Coup] zu protestieren. Am Mittwoch hatte der | |
Kremlchef in seiner Rede zur Lage der Nation angekündigt, dass er den | |
staatsrechtlichen Aufbau Russlands verändern wolle. | |
Die Behörden hatten die Demonstranten schon im Vorfeld gewarnt, die | |
Veranstaltung „thematisch nicht umzuwidmen“. Insgesamt nahmen Polizei und | |
Nationalgarde auch zehn Personen in Gewahrsam. Darunter den Pappkameraden | |
mit der Empfehlung für den Kremlchef, sich aus dem Staub zu machen. Unter | |
den Demonstranten waren auch Oppositionspolitiker wie die unabhängige | |
Moskauer Abgeordnete Julia Galjamina. | |
Die Demonstranten deuteten die vagen Ankündigungen des Präsidenten als | |
einen Versuch, die Amtszeit bis in die Ewigkeit auszudehnen. Eigentlich | |
läuft die Präsidentschaft 2024 aus. Durch eine geplante Machtverschiebung | |
zum einflusslosen Parlament und eine Aufnahme des bislang lediglich | |
beratenden Staatsrates in die Verfassung könnte die Präsidentschaft jedoch | |
überflüssig werden. | |
## Narr und Prophet | |
Der rechtsradikale Politiker Wladimir Schirinowski deutet dies bei der | |
Agentur Ruptly bereits an. Er bekleidet gelegentlich die Doppelrollen von | |
Narr und Prophet in der russischen Politik. Er spricht als erster aus, was | |
andere noch nicht dürfen. | |
Bei Ruptly gab er zu Protokoll, die vorherige Präsidentenwahl sei auch die | |
letzte in Russland gewesen. Die Machthaber hätten es satt, die Wahlen zu | |
manipulieren. Ein Staatsrat werde jetzt alle entscheidenden Kräfte | |
versammeln. So wie in China unter Xi Jinping. Putin werde man dann wie | |
einst Mao Zedong beisetzen, meinte Schirinowskij. | |
Mit den Änderungen im politischen System wurde offiziell eine Gruppe von 75 | |
Personen beauftragt. Ende April sollen sie die Ergebnisse voraussichtlich | |
vorlegen, über die dann die Bürger abstimmen können. Noch steht der | |
Wahlmodus dafür jedoch nicht fest. | |
Ein Blick auf die geplante Zusammensetzung des beratenden Gremiums lässt | |
indes erschaudern: Besonders kremltreue Sportler, Künstler und Musiker | |
sollen sich um den Zukunftsentwurf kümmern. Die Hochspringerin Jelena | |
Issinbajewa sitzt neben der Eiskunstläuferin Irina Rodnina nebst einigen | |
Pianisten und Schauspielern. | |
## Erste Frau im Weltall | |
Auch der Schriftsteller Sachar Prilepin gehört zu dem erlesenen Kreis. Bei | |
Kämpfen in der Ostukraine befehligte er russische Freischärler und zählt zu | |
den Apologeten des Diktators Josef Stalin. | |
Die Rolle der Sowjetheldin bekleidet die erste Frau im Weltall, die | |
Kosmonautin Walentina Tereschkowa. Eine alte Kommunistin, die nun auch als | |
Aushängeschild des russischen Patriotismus herhalten muss. Dessen Vertreter | |
waren früher einmal Vorbilder und Autoritätsfiguren. Ihre Zeit ist | |
inzwischen vergangen. Wladimir Putin lebt jedoch noch immer in jenen | |
Sphären. | |
20 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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